Drei Jahre Pandemie liegen hinter uns.
Der Infektiologe Huldrych Günthard und der Epidemiologe Marcel Tanner erklären, wie wir im Westen die Pandemie besiegt haben, wie gefährlich die neue Variante XBB.1.5 aus den USA ist und ob noch eine grosse Corona-Winterwelle kommt.
In China füllen sich die Spitäler nach der Aufhebung der Null-Covid-Strategie mit Coronapatienten. Bei uns ist die Pandemie nach drei Jahren auf der Zielgeraden zur Endemie.
Endemie bedeutet aber nicht, dass von Sars-CoV-2 automatisch keine Gefahr mehr ausgeht. Auch die Malaria ist in vielen Ländern weitgehend endemisch und kann lokal immer wieder tödlich zuschlagen.
Ein grosser Teil ist aktives Verdienst, das sagen sowohl der Infektiologe Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich als auch der Epidemiologe Marcel Tanner im Gespräch.
In der ersten Phase hat die Lockdownpolitik mit Distanz-Halten, Kontakte-Reduzieren und Masken-Tragen dazu geführt, dass man Zeit gewinnen konnte bis zur Entwicklung und Prüfung einer Impfung. «Hätte man das nicht gemacht, wären bis zur Impfkampagne viel mehr Menschen gestorben», sagt Günthard.
Die Impfung war der entscheidende Faktor, hält der Infektiologe fest. Mit Ach und Krach habe man in der Schweiz eine akzeptable Impfquote erreicht. Dabei sei es wichtig gewesen, dass man in der Schweiz auf die Risikopersonen fokussiert habe, sagt Tanner.
So ist es mit der Impfung gelungen, die Zahl der schweren Krankheiten deutlich zu reduzieren. «Der Impfschutz hat vor allem in den verletzlichen Bevölkerungsgruppen stark gewirkt, bei den Älteren, den Übergewichtigen und Menschen mit Co-Infektionen und Diabetes oder Herz-Kreislauf-Problemen», so Tanner.
Die Schweiz habe schnell erkannt, dass man das Virus nicht stoppen, sondern nur dessen Übertragung reduzieren könne. Die Variante Omikron bezeichnete Tanner schon vor einem Jahr als «Weihnachtsgeschenk 2021». «Mit den Omikron-Infektionen, die weniger schwere Verläufe verursachten, und zusätzlich den Boosterimpfungen hat man einen guten Immunstatus erreicht», sagt Günthard.
«Omikron hat uns von der Epidemie in die Endemie getragen», ergänzt Tanner.
Todesfälle seien im ersten Pandemiejahr unumgänglich gewesen, sagt Tanner. «Aber grundsätzlich sind wir gut durchgekommen mit einer offenen, immer einen Ausblick bietenden Coronapolitik.» Das zeige auch der Vergleich mit Deutschland, wo ein Hang zur Null-Covid-Strategie zu sehen war.
Am besten könne man das an den Kindern und den Schulschliessungen zeigen. In der Schweiz gab es davon nur wenig und vor allem nur kurz, während Deutschland über Monate die Schulen schloss. «Wir haben uns mit der Covid-Taskforce durchgesetzt und Schulschliessungen verhindert», sagt das ehemalige Taskforce-Mitglied Tanner.
Ein Bildungsrückstand sei schwierig zu kompensieren, deshalb habe man versucht, eine Balance zwischen Schutz vor Covid und dem Erhalt des sozialen Gewebes zu finden.
«Faszinierend an den mRNA-Impfstoffen war das Tempo, mit dem der Impfstoff verfügbar gemacht wurde. Und das zusammen mit wirklich guten, qualitativ hochstehenden Studien dazu», sagt Günthard.
Das bedeute aber nicht, dass drei Impfungen mit herkömmlichen proteinbasierten Impfstoffen zwingend schlechtere Resultate ergeben hätte. Auch der Wirkstoff von Astrazeneca habe zum Beispiel gute Daten ergeben, sagt Tanner. Bei den chinesischen Impfstoffen zeigt sich aber, dass die Impfantwort schlechter ist. «Aber auch beim mRNA-Impfstoff ist entscheidend, dass man dreimal impft», sagt Günthard.
Tragisch sei die Situation nun in China, das am Anfang der Pandemie gute Daten zum neuen Virus geliefert und schnell ein Krankheitsbild beschrieben habe, das stimmte und zur schnellen Entwicklung der Impfungen genutzt werden konnte. China habe seine anfänglich wirkende Null-Covid-Strategie nicht genutzt, um die Risikopersonen zu impfen.
Auch der zweite Booster verbessert die Immunantwort eines Menschen wieder. Nur kurzzeitig gegen Infektion, aber langfristig gegen schwere Erkrankung. Das gilt im Moment vor allem für Risikopersonen.
«Es gibt gute Daten, die zeigen, dass der zweite Booster in der Risikopopulation etwas bringt. Vermutlich auch gegen Long Covid», sagt der Infektiologe Günthard. Deshalb wird die Impfung auch nur für Menschen ab 65 und jüngere Risikopatienten empfohlen. Der zweite Booster wird dementsprechend nicht flächendeckend eingesetzt, was auch deshalb Sinn macht, weil die Impfung bei jungen Menschen, vor allem bei Männern, das Risiko von Myokarditis erhöhen kann.
Von 100'000 Geimpften kann eine bis zehn Personen eine Herzmuskelentzündung entwickeln. Bei den meisten geht die Entzündung schnell wieder weg, bei ganz wenigen kann es zu schwereren Fällen kommen. «Es muss aber auch gesagt werden, dass die natürliche Infektion deutlich mehr Myokarditisfälle als die Impfung verursacht», sagt Günthard.
«Gesunde Leute unter 65 können den zweiten Booster grundsätzlich weglassen, Ausnahmen gibt es immer», sagt Tanner.
Die Leute werden sich weiterhin mit Sars-CoV-2 anstecken, somit wird es auch Long Covid geben. Long Covid sei komplex, könne bei Reinfektionen einen Anfang nehmen und habe oft nicht nur mit einer Infektion zu tun, sagt Tanner.
Das mit Long Covid vergleichbare und schon vor Covid oft diagnostizierte Chronic Fatigue Syndrome (CFS) ist breit multikausal und geht von Reaktionen auf Infektionen über Immunreaktionen bis hin zu psychischen Faktoren. Zum Beispiel hätten die Restriktionen während der Pandemie dazu geführt, dass manche Menschen gestresst waren und depressiv wurden. Das führte unter anderem zu Alkoholismus und häuslicher Gewalt, wie man in Frankreich in Studien zeigen konnte, wo die Massnahmen viel einschneidender waren als in der Schweiz.
Jetzt leiden viele unter dem grässlichen Krieg, fallen in eine düstere Stimmung. Eine Infektionskrankheit wie Corona verschlimmert die Situation Einzelner auch psychisch. Beide Experten halten Long Covid für eine diffuse Krankheit. Sie sei schwierig zu verstehen und müsse deshalb genau untersucht werden, sowohl auf der viralen als auch auf der psychologischen Ebene, sagt Tanner.
Generell leiden drei bis vier Prozent der Infizierten länger an Covid. Gegenüber dem Long-Covid-Risiko im Jahr 2020 haben die Impfung und Omikron das Risiko etwa halbiert.
Huldrych Günthard hält die Übersterblichkeit für eindrücklich. Diese sei teilweise auf Covid zurückzuführen. Es gebe neue Studiendaten, die zeigten, dass Covid-Infektionen bei Vulnerablen gefährlich sind und mehr Todesfälle erzeugen.
Die Infektion schlägt auf die Blutgefässe, macht Entzündungen, kann zu Lungenembolien und Herzinfarkten führen. In einer optimalen Welt wäre es gemäss dem Infektiologen deshalb wichtig, Covid-Erkrankungen sofort zu diagnostizieren und schnell mit dem Medikament Paxlovid zu behandeln. Leider nützten die Antikörper-Therapien nicht mehr viel, weil sich das Virus verändert hat. «Aber wir haben im Spital glücklicherweise Paxlovid und Remdesivir», sagt Günthard.
Darauf, dass einige Impfgegner die Impfung für die Übersterblichkeit verantwortlich machen, reagiert Günthard so: «Omikron ist nicht einfach ein mildes Virus. Entscheidend ist, auf welche Immunität diese Variante in der Bevölkerung trifft.» Was mit einer schlecht geimpften Bevölkerung geschehe, sehe man momentan in China. Das sollte jedem zeigen, was die Impfungen gebracht hätten, sagt Günthard.
Natürlich gebe es Nebenwirkungen, aber ohne die Impfungen wären die Auswirkungen von Coronainfektionen viel fataler.
Allerdings biete eine Impfung keinen bleibenden Schutz, dieser lasse mit der Zeit nach und müsse deshalb je nach Situation wieder aufgefrischt werden. «Der Haupteffekt, schwere Verläufe zu verhindern, hat man erreicht», sagt Günthard.
In Hongkong hatte man Anfang 2022 eine sehr hohe Sterblichkeit, weil die vulnerablen Personen wenig geimpft waren, hat ETH-Professorin Tanja Stadler im «Tages-Anzeiger» dazu gesagt. Wäre die Übersterblichkeit eine Folge der Impfung, müsste diese konstant hoch sein. Die Daten zeigten aber: Je höher die Impfquote in einem Land, desto kleiner das Defizit an Lebenserwartung.
Eine grosse Winterwelle ist bis jetzt nicht zu sehen. «Vielleicht kommt dann in Zukunft auch bei uns wie in den USA die Variante XBB.1.5 und wird sich durchsetzen, aber bisher scheint diese Variante nicht gefährlicher zu sein», sagt Günthard.
Die Abwasserdaten deuten darauf hin, dass mit der Variante BQ1.1 die Zahlen wieder steigen könnten. Aber Omikron schafft es nicht mehr, in dieser immunisierten Bevölkerung einen grossen Teil anzustecken, sondern noch etwa 10 bis 25 Prozent. So wie in den letzten beiden Wellen mit BA.5 im Sommer und im Herbst. Die Belastung der Spitäler erfolgt nicht mehr hauptsächlich durch Covid-Patienten.
Auch wurde nicht gesagt, dass die Entzündungen, Blutgefäss Probleme, etc., allgemein auftreten. Es ist nicht einfach so, dass diese Effekte nur bei Vorerkrankten auftreten. Haben ja alle Gefässe, bis zuhinterst im Körper.
Und dann dieser Fokus auf psychisch bei Long Covid ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. In einem Satz werden mal nebenbei körperliche Ursachen erwähnt, von da an wird nur noch auf "psychisch" eingegangen. Natürlich...