Mehr Fälle, mehr Angst – die Anrufe beim Sorgentelefon häufen sich
Immer mehr Leute greifen zum Hörer und rufen wegen Corona das Sorgentelefon an. Das zeigt eine Studie über die Nutzung von Helplines. Sie hält fest, dass bereits während dem Lockdown überdurchschnittlich viele Anrufe bei der Dargebotenen Hand – auch bekannt als «Tel 143» – eingingen. Nun, nachdem die Kurve im Sommer leicht abflachte, steigen die Zahlen wieder an.
Der Studien- und Grafik-Autor Marius Brülhart schliesst daraus, dass Covid-19 und dessen Bekämpfung mehr psychisches Leiden verursacht.
Menschlicher Kontakt fehlt
Das bestätigt auch Marco Hofstetter. Er arbeitet bei der Dargebotenen Hand in der Geschäftsleitung der Regionalstelle Winterthur, Schaffhausen, Frauenfeld. «Die bedrohliche Situation durch Corona macht den Menschen schwer zu schaffen und erschwert ihren Alltag», so Hofstetter.
Die Anrufenden suchen bei der Dargebotenen Hand besonders etwas: menschlichen Kontakt. «Durch Covid-19 sind wir isolierter», sagt Hofstetter. «Das führt zu Krisen bis hin zu Suizidgedanken.»
Lass dir helfen!
Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen.
In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.
– Die Dargebotene Hand: Tel 143, www.143.ch
– Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel 147, www.147.ch
– Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch
«Es fällt auf, dass Gespräche mit akut suizidalen Menschen im Vergleich zu 2019 zugenommen haben», so Hofstetter. Er nimmt an, dass die angespannte Situation besonders bei psychisch instabilen Personen dazu führe, dass sie keinen Sinn mehr verspürten, weiterzuleben.
«Wir beruhigen Leute und lindern ihre Angst», sagt Hofstetter. Es gehe um eine möglichst niederschwellige Anlaufstelle und um das offene Ohr. «Wo können Sie sonst morgens um 3 Uhr anrufen, wenn Sie vor lauter Sorgen nicht schlafen können?»
Am Rand der Kapazität
Zurzeit arbeiten 47 Festangestellte und rund 670 Freiwillige für die Dargebotene Hand, sagt Sabine Basler. Die Geschäftsführerin des Verbands sieht der Entwicklung mit Besorgnis zu. «Im Moment schaffen wir es, die Anrufe zu bewältigen, aber wir überlegen uns jetzt schon: Was machen wir, wenn es wieder deutlich mehr gibt?»
Im April erhöhte der Verband die Schichten um Rund 300 Stunden pro Woche, wie er im April mitteilte. Die meisten Anrufe drehten sich um die Themen Alltagsbewältigung und psychisches Leiden. Die Sorgen um eine mögliche Infektion mit Covid-19 kamen an dritter Stelle.
Im Sommer flachte die Kurve wieder ab, doch seit ein paar Tagen seien die Anzahl Gespräche zum Thema Corona wieder steigend. «Die Kapazitätserhöhung könnte bald wieder ein Thema sein», so Basler.
