Die Corona-Neuinfektionen in der Schweiz steigen wieder an. Auch bei den Hospitalisationen ist eine Trendwende zu registrieren. Die Intensivstationen sind davon (noch) nicht betroffen. Fest steht: Rund drei Wochen nach der Aufhebung fast aller Massnahmen und der Verbreitung des Omikron-Subtyps BA.2 in der Schweiz entwickelt sich die Situation ungünstig.
Gestern haben sich auf Twitter auch zwei Schweizer Expertinnen in Threads dazu geäussert. Beide wurden rund um die Corona-Pandemie in den letzten zwei Jahren landesweit bekannt. Der eine ist Marcel Salathé, Epidemiologe und Professor an der ETH Lausanne und bis Februar 2021 Mitglied der Taskforce des Bundes. Die andere ist Isabella Eckerle, Virologin und Leiterin des Zentrums für neuartige Viruserkrankungen in der Abteilung für medizinische Fachgebiete an den Universitätskliniken Genf. Sie beschäftigt sich insbesondere auch mit der Rolle der Kinder in der Pandemie.
Wir haben die wichtigsten Aussagen aus den beiden Twitter-Threads hier zusammengestellt.
Salathé beginnt seinen Thread mit: «Krass, wie wir nicht aus diesem kurzfristigen Denken rauskommen. Die Zahlen steigen JETZT, macht was JETZT! Es ist – wieder mal – zu spät dafür.» Für ihn ist klar, was jetzt passieren muss: «JETZT muss die Schweiz sich den grossen Fragen dieser Pandemie stellen, vor allem auf den Herbst.»
Im Weiteren fragt der Epidemiologe, warum in der Schweiz keine grossen, landesweiten Covid-Kohorte entstehen. Das müsse nicht nur wegen LongCovid geschehen. Zudem fordert er einen landesweiten «Aufrüstungswettkampf», in welchem alle öffentlichen Gebäude mit «sauberer Innenluft» sicher gemacht werden sollen. In der Folge stellt er weitere Fragen wie zum Beispiel, welchen Krisenstab es im Herbst geben wird und warum keine strukturellen Änderungen stattfinden.
Krass, wie wir nicht aus diesem kurzfristigen Denken rauskommen. "Die Zahlen steigen JETZT, macht was JETZT!" Es ist - wieder mal - zu spät dafür.
— Marcel Salathé (@marcelsalathe_d) March 11, 2022
JETZT muss die Schweiz sich den grossen Fragen dieser Pandemie stellen, vor allem auf den Herbst.
Diese sind:
1/
>> Coronavirus: Alle News im Liveticker
Kaum hatte Salathé seinen Thread beendet, schreibt auch Eckerle ihre Gedanken zur «Zukunft in #SARSCoV2 #COVID19» in einem Thread bei Twitter nieder.
Sie fand es «selten schwieriger, die mittelfristige Zukunft abzuschätzen», stellt aufseiten des Virus eine «weiterhin hohe evolutionäre Dynamik fest». So löse nicht nur BA.2 die Variante BA.1 ab, BA.2 diversiziere sich weiter und es gibt «zunehmend Berichte von Rekombinationen (z.B. Omikron BA.1/Delta).»
Insbesondere stellt die Virologin aber bei sehr hohem Infektionsgeschehen eine «zunehmende Unlust/abnehmende Energie von Politik & Bevölkerung fest, noch weiter in wenigstens minimalen Infektionsschutz zu investieren (Stichwort Masken).»
In Kombination mit dem «aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine und gleichzeitig der anhaltenden Pandemie sei dies Neuland, welches sicher nichts Gutes hoffen» lässt. Das steigere auch das Risiko von weiteren Infektionskrankheiten.
Die ganze Situation sei «nun wesentlich komplexer als Intensivbetten frei/belegt. Auch gesellschaftliche Schäden durch Pandemie & Lösung sind komplex: psychisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Von vielen nun fast kindlicher Reflex, dass doch endlich alles wieder so sein muss wie vorher.»
Ihr ernüchterndes Fazit im Thread: «Die Pandemie hat zwar augenscheinlich einen Teil des sichtbaren Schreckens verloren, bleibt aber eine schlecht vorhersagbare Herausforderung, wahrscheinlich noch für Jahre. Es wird vorerst kein Zurück zum Leben vor 2020 geben (und nicht nur wegen #SARSCoV2 #COVID19).»
Zukunft in #SARSCoV2 #COVID19: Es erschien selten schwieriger, die mittelfristige Zukunft mit #SARSCoV2 abzuschätzen als im Moment. Auf Seiten des Virus weiterhin hohe evolutionäre Dynamik: #Omicron BA.2 löst BA.1 ab, weitere Diversifizierung von BA.2, zunehmend Berichte
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) March 11, 2022
Heute Samstag legt Eckerle auf Twitter nach. Ironisch schreibt sie: «Endlich so viel Freiheit!» und meint damit, die Freiheit, andere anzustecken, Risikopersonen zu gefährden oder neue Mutationen zu fördern. Es sei die «Freiheit, mit allem so weiterzumachen, dass man weiterhin Pandemien provoziert.»
Die Virologin schliesst ihren Tweet mit: «Freiheit, die Realität auszublenden. Wenn man nicht mehr an die Pandemie erinnert wird, dann wird endlich wieder alles wie es war! Oder?»
Freiheit, bereits bestehende soziale Ungleichheiten durch mehr #COVID19 & #LongCovid zu verstärken, Freiheit, die Wissenschaft zu ignorieren, Freiheit, die Realität auszublenden. Wenn man nicht mehr an die Pandemie erinnert wird, dann wird endlich wieder alles wie es war! Oder?
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) March 12, 2022
Keine Zugfahrt, in der man nicht jemanden ohne Maske sieht, beim Einkaufen wird einem wieder in den Nacken geatmet, alles wie vorher, Freude (und Sorglosigkeit) herrscht.
Im Herbst wird dann vermutlich die Quittung kommen.