Für kurze Zeit sah es so aus, als ob die Schweiz die Coronazahlen im Griff hätte. Nach einem langsamen, aber stetigen Anstieg seit Mitte Juni begann die Fallkurve im September zu sinken. Der sonst sehr kritische Lausanner Epidemiologe Marcel Salathé war Ende des Monats in der «Sonntagszeitung» des Lobes voll: «Es sieht gerade wirklich, wirklich gut aus.»
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Die Freude ist verflogen. In den letzten Tagen schoss die Zahl der Neuinfektionen steil nach oben. Am Mittwoch wurden mehr als 1000 neue Fälle innert 24 Stunden vermeldet, so viele wie nie seit sechs Monaten. Beunruhigend ist die hohe Positivitätsrate. «Es ist keine einfache Situation im Moment», sagte Gesundheitsminister Alain Berset am Dienstag in Zug.
Grund zur Panik besteht (noch) nicht, denn die Hospitalisationen sind längst nicht so hoch wie im Frühjahr. Dennoch fragt man sich, was eigentlich die zuständige Behörde macht. Auf dem Höhepunkt der ersten Pandemiewelle im Frühjahr hatte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bis zu dreimal pro Woche eine Medienorientierung durchgeführt.
Ein für Montag geplanter «Überblick über die aktuelle Lage» wurde aus «organisatorischen Gründen» auf Freitag verschoben, schreibt Nau.ch. Unklar ist, wer Auskunft gibt. Die Ankündigung auf der Website des Bundes enthält keine Namen. Das überrascht kaum, denn mitten in der grössten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten ist das BAG personell im Umbruch.
Am 1. Oktober übernahm Anne Lévy die Leitung des BAG. Die 48-jährige Bernerin hat Pascal Strupler abgelöst, der in der Coronakrise weitgehend unsichtbar blieb und bei seinem Auftritt vor den Medien im Juli keinen überzeugenden Eindruck hinterliess. Auch sonst musste der Oberwalliser für seine Amtsführung einige Kritik einstecken.
Umso mehr wird von seiner Nachfolgerin erwartet. Zwar ist Lévy wie der Jurist Strupler keine Medizinerin, sondern Politologin. Sie hat jedoch viel Erfahrung im Gesundheitswesen. Bereits früher war sie im BAG tätig, als Leiterin der Sektion Alkohol und Tabak. Zuletzt war sie Geschäftsführerin der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel.
«Anne Lévy ist eine Führungspersönlichkeit und bringt das nötige Rüstzeug mit», sagte der frühere Basler Gesundheitsdirektor Carlo Conti (CVP) gegenüber CH Media. Sie wird als angenehm im Umgang beschrieben, aber auch als knallhart wenn nötig. Ein gewisses Durchsetzungsvermögen kann ihr im neuen Amt sicher nicht schaden.
Sie hätte es zu kaum einem schwierigeren Zeitpunkt antreten können. Viel Zeit zum Einarbeiten wird Anne Lévy nicht haben. Gleichzeitig dürfte sie präsenter sein als ihr Vorgänger. «Sie wird die Öffentlichkeit nicht scheuen», sagte ihr einstiger Chef Carlo Conti. Vielleicht wird man bereits am Freitag ihre Premiere vor den Medien erleben.
Die Fussstapfen waren vielleicht zu gross: Nur wenige Monate, nachdem Stefan Kuster die Nachfolge von «Mister Corona» Daniel Koch angetreten hat, gibt er sein Amt als Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten im BAG wieder ab. An seiner Fachkompetenz liegt es nicht, die ist unzweifelhaft vorhanden.
Anders als der kultige und manchmal nervige Koch aber schien sich Kuster vor den Medien nie richtig wohl zu fühlen. Seine sachliche Art wirkte angenehm, doch er leistete sich einige kommunikative Schnitzer. Nun soll es keine derart dominante Figur mehr geben. Stefan Kusters Aufgabe soll laut Medienberichten auf verschiedene Köpfe verteilt werden.
Die Leitung der Abteilung übertragbare Krankheiten wird BAG-Vizedirektorin Andrea Arz de Falco übernehmen. Sie wird gemäss der Agentur Keystone/SDA in der ersten Oktoberhälfte detailliert über die neue Organisation informieren, also womöglich an diesem Freitag. Neu beim BAG ist auch Christine Kopp, die bislang beim Schweizerischen Roten Kreuz tätig war.
Eine prominente Rolle übernehmen könnten auch Virginie Masserey, die Leiterin der Sektion Infektionskontrolle, und Patrick Mathys, der die Abteilung Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit leitet. Er hat schon bislang kommunikativ überzeugt. Anders als der oft kryptische Koch informierte Mathys klar und ohne Beschönigung.
Viel Zeit, sich organisatorisch neu aufzustellen, hat das BAG nicht. Zwar hat der Bund den Lead in der Krise weitgehend den Kantonen übertragen, doch das Bundesamt dürfte in der kalten Jahreszeit gefordert sein. Die ersten Erfahrungen mit den gelockerten Regeln für Fussball- und Hockeymatches lassen jedenfalls nichts Gutes erwarten.
Was also tut man in der Schweiz mit 15'000 Ansteckungen pro Tag?
Um wie viele Plätze wurden die Intensivbetten ausgebaut? Wie viele Beatmungsplätze haben wir? Was ist der Bestand an Remdesivir? Welche Schnelltestkonzepte bestehen? Wie gross ist der Bestand welcher Schnelltests? Was sind die Konzepte für Alters- und Pflegeheime, mit welchen man Sozialkontakte sicherstellen kann?
Panik ist nie ein guter Ratgeber. Und Panik sollte auch nicht geschürt werden. Einfach die grundsätzlichen Massnahmen des BAG unsetzen (Händewaschen, Abstand halten. Und wenn es mit dem Abstand nicht geht, dann Maske tragen.)
Das ist nicht zu viel verlangt, schadet weder Mensch noch Wirtschaft und hilft uns allen.