Und plötzlich soll wieder ein restriktives Grenzregime eingeführt werden. Wieder soll die Einreise in die Schweiz massiv erschwert werden. Dies fordern zumindest die Parteichefs von SVP, SP, FDP, Mitte, Grünen und Grünliberalen in einem gemeinsamen Brief an den Bundesrat – initiiert von GLP-Chef Jürg Grossen.
Sie wollen so den «Import von Viren» in die Schweiz unterbinden, wie sie schreiben. Ihr Instrumentarium reicht dabei von strengen Quarantäneregeln bis hin zu Schnelltests.
Hart treffen würde es vor allem die 340'000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die zum Arbeiten in die Schweiz pendeln. Sie sollen systematisch alle drei Tage getestet werden – bei ihrem Arbeitgeber.
Der Brief ist bemerkenswert, denn erstmals seit dem Frühling haben sich die Parteipräsidenten wieder gemeinsam geäussert. Doch noch selten gab es wohl so viel Kritik an den Parteichefs: Der Widerstand aus den Grenzkantonen ist massiv. Von links bis rechts werden sie getadelt.
Aus Basel etwa: Am Rheinknie kann man kaum glauben, was im Brief gefordert wird. «Seit Frühling wissen wir, dass Grenzschliessungen nicht einen entscheidenden Effekt haben, um das Virus zu stoppen, jedoch grosse Auswirkungen auf eine Grenzregion mit sich bringen», sagt ein erstaunter Thomas Gander. Der Basler SP-Fraktionschef blickt zurück auf die Monate, als die Grenzen tatsächlich zu waren.
«Wir sind überzeugt: Das wollen wir nicht mehr», sagt er. Nicht anders tönt es in St. Gallen: Dort erinnern die Nationalräte Thomas Brunner (GLP) und Franziska Ryser (Grüne) daran, dass man sich im Sommer doch einig gewesen sei, dass es in den eng verflochtenen Grenzregionen nie wieder derartige Massnahmen geben solle.
Die Bilder von binationalen Paaren, die sich nicht sehen konnten, oder von geschlossenen Schlagbäumen haften immer noch stark im Gedächtnis. Es gehe eben längst nicht nur um die Wirtschaft, sagt der Basler Gander:
Ob in Basel, St.Gallen oder Schaffhausen: Überall hat man das Gefühl, dass die Parteipräsidenten kaum eine Ahnung vom Leben in Grenzkantonen haben.
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Für Ärger sorgt, dass sie nicht einmal in den Regionen nachgefragt haben. Von einem «Affront gegen die Grenzregion» spricht deshalb die Baselbieter «Die Mitte»-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. «Wenn man die Forderungen umsetzt, läuft dies auf eine Grenzschliessung hinaus. In einer verzahnten Grenzregion schaden solche Forderungen der Wirtschaft. Wir brauchen Tausende Leute, gerade im Gesundheitswesen.»
Ebenso scharf reagierte der baselstädtische Regierungsrat. «Die einseitige Verschärfung der Ein- und Ausreisebestimmungen würde das Verhältnis zu unseren Nachbarn belasten», schrieb er und hielt zudem fest: Das Testen der Grenzgänger käme einer Einreisesperre gleich.
«Das regionale Gesundheitswesen wäre von den vorgeschlagenen Massnahmen besonders betroffen.» Der Regierungsrat erinnert daran, dass viele Grenzgänger im Gesundheitswesen arbeiten. Der Vorschlag der Parteipäsidenten drohe, die Region im Kampf gegen die Pandemie zu schwächen.
Einschränkungen an den Grenzen sind eigentlich das Parkett, auf dem sich die SVP zu bewegen weiss. Für linke Parteien bedeuten sie dagegen Glatteis. Umso mehr erstaunt, dass sowohl die SP-Co-Spitze als auch der Grünen-Chef das Papier unterschrieben haben.
Sozialdemokrat Gander spricht von einer Art «Corona-Reduit», das so heraufbeschworen werde: eine Schweiz, die sich nur selbst schützen kann, wenn die Grenzen geschlossen werden. Der Basler kann nicht nachvollziehen, weshalb seine Parteiführung in dieses «SVP-Wording» einstimmt. Es widerspreche der «europäischen Solidarität», die in der Grenzregion gelebt werde und für die sich Gander als Linker einsetzt.
Doch die Kritik kommt längst nicht nur von links. Auch in der SVP sorgt der Brief für Kopfschütteln. Hannes Germann, Ständerat des Grenzkantons Schaffhausen, sagt:
Der Vorschlag treffe Grenzgänger, obwohl die Ansteckungszahlen in der Schweiz höher seien als im Ausland. Die Wirtschaft müsse am Laufen gehalten werden. Und dazu brauche es Grenzgänger, so Germann.
Auch der Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea Caroni findet, die Forderungen gingen teilweise zu weit. Es sei zwar durchaus wünschenswert, viel mehr zu testen. Dass eine Quarantäne auch für Reisende aus Nicht-Risikoländern gefordert werde, sei epidemiologisch aber nicht begründbar, sondern schikanös.
Die Basler Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan verweist überdies auf das Covid-19-Gesetz, in dem das Bundesparlament die Situation in den Grenzregionen eigens geregelt hat. Demnach muss der Bundesrat Massnahmen ergreifen, um die Reisefreiheit der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, aber auch der «Einwohnerinnen und Einwohner, die eine besondere Bindung zum Grenzgebiet haben», bestmöglich zu gewährleisten. «Daran will ich auch die Parteipräsidenten erinnern», sagt Arslan.
Während die Forderungen hinsichtlich der Grenzgänger in den Kantonen nicht nachvollziehbar sind, werden andere Vorschläge hingegen begrüsst.
So ist etwa GLP-Nationalrat Thomas Brunner dafür, das Einreiseregime dort zu überprüfen, wo es um «vermeidbare Mobilität» geht. «Dass man im internationalen Fernverkehr gerade auf Flughäfen sehr achtsam sein und schnell handeln muss, unterstütze ich. Diese Notwendigkeit bestätigen uns die jüngsten Erfahrungen mit eingeschleppten Virusmutationen.» Ein Punkt, in dem grundsätzlich auch Grünen-Nationalrätin Ryser mit den Parteipräsidenten einiggeht.
Grünen-Präsident Balthasar Glättli, der den Brief mitunterzeichnet hat, sagt selbstkritisch: «Wir hätten die Grünen aus Grenzregionen vertieft konsultieren müssen.» Hinter seiner Unterschrift steht er allerdings.
Der Brief enthalte schliesslich auch die Forderung nach einer Ausweitung des Testens in der Schweiz. Dies ist Glättli besonders wichtig. Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus den betroffenen Grenzkantonen wollen nun die Parteipräsidenten einladen. Doch ob diese der Einladung folgen werden?
Provinzialismus ist keine Frage der Geografie, sondern eine des Hirns. Lesen hilft auch dabei.
— Gerhard Pfister (@gerhardpfister) January 24, 2021
Gerhard Pfister, der «Mitte»-Präsident, reagierte brüsk auf die Kritik, die ihm indirekt unterstellte, als Zentralschweizer zu wenig vom internationaleren Flair der Grenzregion zu verstehen: «Provinzialismus ist keine Frage der Geografie, sondern eine des Hirns. Lesen hilft auch dabei», kanzelte er seine Kritiker auf Twitter ab. Immerhin: Die Grenzen des guten Geschmacks sind noch ziemlich durchlässig.
Violett
Fangt doch zumindest mal mit diesen an, besonders an den Grenzen. Andere Länder können dies auch, nur die liebe 🇨🇭 will wohl sparen!
Nicht dringende und zwingende Reisen sollten ja ohnehin nicht der Fall sein.
😷
Schneider Alex
Dr. Lindic
Die Welt hört halt nicht an der Grenze auf, es spielt doch eigentlich gar keine Rolle ob ein Corona-Infiszierter links oder rechts der Grenze rumläuft. Wichtig wäre es ihn zu finden und zu isolieren für diese Zeit. Und natürlich bietet sich die Grenze als Kontroll- und Teststelle an.
Also es läuft alles über Tests. Und nicht über Ausgrenzung und Stigmatisierung. Ein Test ab und zu sollte eigentlich das normalste sein, nicht nur an der Grenze!