Die Szenen aus Genf erschüttern die Schweiz auf: In Genf mussten am Wochenende Tausende Hilfsbedürftige stundenlang anstehen, um einen Sack Reis oder Pasta zu ergattern. «Wir sind uns solche Bilder aus Kriegsgebieten gewohnt. Aber ich hätte nie gedacht, so etwas eines Tages in der Schweiz zu erleben», sagt eine Mitarbeiterin von «Ärzte ohne Grenzen». Viele Menschen haben wegen Corona ihre Jobs verloren, ganze Familien müssen von den Essens-Spenden leben.
Die Corona-Krise treibt in der Schweiz Tausende in die Armut – mitnichten nur Sans-Papiers. Durch die Kurzarbeit rutschen etliche Angestellte aus dem Niederiglohnbereich unter die Armutsgrenze. Gastromitarbeitende etwa können hunderte Franken an Lohneinbussen nicht einfach so verkraften. Zur Veranschaulichung: Bei einer Einzelperson liegt die Armutsgrenze bei einem Einkommen von 2400 Franken, bei einer Familie mit zwei Kindern bei 4000 Franken.
Viele Betroffene bekamen die schmerzlichen Corona-Einbussen erst mit der Auszahlung des April-Lohnes richtig zu spüren. «Seit Mitte April stellen wir pro Woche mehrere hundert Karten aus, mit denen sich die Leute in unseren Läden vergünstigte Produkte kaufen können. Die Lage ist besorgniserregend», sagt Caritas-Sprecher Stefan Gribi zu watson.
Die Betroffenen haben nur Geld für das Nötigste: Die Umsätze für Grundnahrungsmittel wie Reis, Nudeln oder Speiseöl sind in den Caritas-Läden um 50 Prozent angestiegen. «Die Menschen kaufen weniger Gemüse und Früchte, sondern versuchen mit den haltbaren Lebensmitteln über eine längere Zeitspanne durchzukommen», so Gribi weiter.
Nicht nur in den Läden, auch bei den Armuts-Beratungsstellen spürt Caritas die Folgen der Corona-Krise unmittelbar. Die Nachfrage für Sozialberatung steigt stark an. «Viele Betroffene haben Mühe, ihre Miete zu bezahlen », so Gribi. Caritas zahlt an Armutsbetroffene Überbrückungshilfen wie Lebensmittelgutscheine oder einen Zustupf an Mieten aus. Für diesen Zweck hat das HIlfswerk von der Glückskette eine Million Franken erhalten.
Noch sind Szenen wie in Genf eine Ausnahme. Armut spielt sich in der Schweiz meist im Verborgenen ab. Die Betroffenen versuchen sich so gut wie es geht durchzuschlagen, ohne dass man ihnen ihre Notsituation ansieht. «Wegen der Corona-Krise haben viele Betroffene ihre letzten Reserven aufgebraucht. In den nächsten Monaten werden sich die sozialen Probleme zuspitzen», so Gribi.
Caritas fordert darum in einem Aufruf den Bund auf, ein Massnahmenpaket für die rund eine Million Armutsbetroffene in der Schweiz zu schnüren. Die Forderungen lauten:
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Gesunde Ernährung mit Gemüsen und Früchten, sollte aber immer für alle zugänglich und finanzierbar sein und dass in einer reichen Schweiz so viele Hilfsorganisationen benötigt werden, ist ein Armutszeugnis.