Der Kanton Graubünden hat den ersten grossflächigen Massen-Corona-Test hinter sich. Stattgefunden hat diese schweizweite Premiere am vergangenen Wochenende: Insgesamt 15'151 Personen liessen sich freiwillig ein Röhrchen in die Nase schieben, um bald darauf zu erfahren, ob Sars-CoV-2-Viren gemessen werden konnten.
Durchgeführt wurde dieser Test in den drei Bündner Regionen Bernina, Engiadina Bassa/Val Müstair und Maloja. Das erste Fazit: Es wurden 150 Personen entdeckt, die sich angesteckt hatten und mangels klarer Symptome nichts davon wussten. Das entspricht ungefähr einer Positivitätsrate von einem Prozent, wobei die Unterschiede zwischen den Regionen nicht unwesentlich sind.
Der Kanton Graubünden veröffentlichte am Montagnachmittag die Resultate des Massentests. Die Verantwortlichen sehen einen klaren Nutzen aus dem Massentest, weil asymptomatische Personen «in erheblichem Mass zur Verbreitung und Aufrechterhaltung der Pandemie» beitragen würden – und nun eben entdeckt wurden.
Doch was sagen uns die Zahlen? Müssen wir uns Sorgen machen oder können die Gesundheitsverantwortlichen nach den Bündner Erkenntnissen «business as usual» machen? Wir haben darüber mit gesprochen.
Didier Trono, Chef der Abteilung «Diagnostik» bei der Corona-Task-Force des Bundes, hat sich die ersten Ergebnisse angeschaut und stellt fest: «Die Positivitätsrate bewegt sich eher im tiefen Bereich – aber das überrascht auch nicht.» Sie würde sich etwa in dem Rahmen bewegen wie bei den Corona-Massentests im Südtirol oder in der Slowakei.
Trotzdem will er die Zahlen nicht für die gesamte Schweiz vergleichen. «Die Resultate aus Graubünden kann man nicht einfach hochrechnen. Einerseits wurden hier nur drei Bündner Regionen getestet, andererseits ist der Inzidenzwert des Kantons nicht mit anderen Landesteilen vergleichbar», sagt Trono. Er meint damit die Anzahl positiv getesteter Personen pro 100'000 Einwohner. Graubünden liegt bei diesem Wert etwa im Mittelfeld aller Kantone.
Er warnt jedoch, die Zahlen auf die Goldwaage zu legen. Der Grund liege beim Antigen-Schnelltest. «Dieser Test benötigt eine höhere Virenlast, damit das Resultat positiv ausfällt.» Sprich: Es gibt eine Dunkelziffer an Personen, die das Virus in sich tragen, aber keine Symptome haben und negativ getestet wurden. Der Kanton Graubünden schätzt ein, dass die Hälfte aller Infizierten noch nicht «entdeckt» wurden.
Zudem handle es sich bei den Resultaten um eine Momentaufnahme: «Wir wissen nicht, ob eine Person, die am Samstag negativ getestet wurde, am Montag wegen höherer Virenlast erkrankt.» Man müsste dafür die Bevölkerung mehrmals testen. «Das würde man in einer idealen Welt tun, die logistischen Herausforderungen sind aber enorm.»
Doch selbst dann würden solche landesweiten Schnelltests die Epidemie nicht ganz aufhalten. Trono verweist dazu auf die Erfahrungen aus der Slowakei: Dort wurden mit enormem logistischem Aufwand zwei Drittel der 5,5 Millionen Einwohner des Landes getestet, wo Berichten zufolge nur zwischen 40 und 50 Prozent aller Infizierten entdeckt wurden.
Trono sieht trotzdem einen Vorteil für den bündnerischen Massentest: «Jetzt wissen die infizierten Personen, dass sie sich isolieren müssen. So gibt es weniger Menschen in der kleinräumigen Deutschschweiz, die beim Pendeln oder im Freizeitbereich andere Leute anstecken können.»
Der Diagnostiker schmälert jedoch allfällige Hoffnungen im Bergkanton: Wegen der «grossen Attraktivität des Engadins und der Nachbartäler» sei damit zu rechnen, dass in den nächsten Tagen durch den zu erwartenden Besucheransturm viele neue Infektionsherde entstehen – «sofern nicht strenge Schutzmassnahmen getroffen werden», so Trono.