Die Coronaimpfstoffe sind wahre Wundermittel. Die Spritzen senken gemäss ersten Studien die Todesgefahr auf ein Minimum. Und nicht nur das: sie bringen Freiheiten zurück. Es ist nicht mehr die Frage, ob es Impfprivilegien geben wird, sondern, wie weit sie gehen werden. Wer vollständig geimpft ist, darf gemäss Bund heute schon bei privaten Treffen mit anderen vollständig Geimpften auf die meisten Schutzmassnahmen verzichten.
Experten gehen davon aus, dass es privaten Veranstaltern freisteht, Ungeimpfte auszuschliessen. Dabei sind über 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung noch nicht geimpft. Das Impfen geht stockend voran, es fehlt an Impfstoff. Der Bund hat eine klare Impfstrategie ausgegeben. Zuerst sollen die Covid-19-Impfung besonders gefährdeten Personen, dann dem sie versorgenden Personal und engen Kontakten verimpft werden. Erst später kommen weitere Gruppen dran. Streng ausgelegt heisst das, dass niemand anders geimpft werden soll, bevor nicht alle impfwilligen Angehörigen der Risikogruppe und besonders exponiertes Gesundheitspersonal geimpft sind. Die ist in den allermeisten Kantonen noch nicht der Fall.
In der Realität sieht es freilich anders aus. Es wurden bereits einige Personen geimpft, obwohl sie noch nicht an der Reihe waren. Das kann Impfneid hervorrufen. Die Impfungerechtigkeiten reichen von vermögenden Impfdrängler und Glückspilze über Leute mit Beziehungen bis zu eher bizarren Einzelbeispielen.
Für Kritik sorgten die Bundesräte, als sie sich als erste impfen liessen. Das war Mitte Januar. Einzig Ueli Maurer gehörte mit seinem Alter von 70 Jahren in die erste Prioritätsgruppe. Doch auch er war noch privilegiert: In den meisten Kantonen konnten bisher nur Personen über 75 geimpft werden. «Die Bundesräte lassen sich impfen, weil sie die Verantwortung des Krisenmanagements innehaben und ihre Funktion weiter ausüben können sollten», rechtfertigte Bundesratssprecher André Simonazzi das Vorgehen. Zudem sei die Bundesratsimpfung ein wichtiges Zeichen am Anfang der Impfkampagne gewesen, argumentierte er.
Darauf kamen Impfdrängler zum Zug, weil sie ihren Einfluss im Gesundheitswesen nutzten. Meistens diskret, aber nicht immer. Für Aufsehen sorgte der südafrikanische Milliardär Johann Rupert. Er liess sich kurz vor dem offiziellen Impfstart in einer Klinik der Firma Hirslanden im Thurgau impfen. Rupert ist über eine Holding an Hirslanden beteiligt. Die Dosis bekam er im Rahmen eines Tests.
Der Direktor des Basler Kinderspitals, Marco Fischer, und der Leiter des Badener Impfzentrums, Markus Wopmann, liessen sich ebenfalls vorzeitig stechen. Beide Fälle sorgten für Stirnrunzeln beim Pflegepersonal, das am Patientenbett arbeitet, aber noch keine Impfung bekam. Nachdem diese Zeitung über diese Fälle berichtet hatte, meldeten sich Leser auf der Redaktion. Sie äusserten ihr Unverständnis über die Impfdrängler und wiesen auf weitere Fälle von «Ungerechtigkeiten» hin, wie sie es nannten. Ohne prominente Namen.
Ein Arzt weit über dem Pensionsalter mit Kontakt zu Coronapatienten bemängelte etwa, dass er noch auf die Impfung warte, während eine junge und gesunde Praxisassistentin schon geimpft sei. Zudem sind dieser Redaktion Fälle von relativ jungen und gesunden Angestellten im Gesundheitsbereich bekannt, die ebenfalls schon geimpft sind, obwohl sie kaum Kontakt zu Coronapatienten oder stark gefährdeten Gruppen haben.
Das liegt unter anderem daran, dass sich nicht alle Kantone strikt an die Impfempfehlungen des Bundes halten. So impften Kantone wie Waadt oder Fribourg das Gesundheitspersonal offensiv, während das Personal in anderen Kantonen warten musste. Die Eidgenössische Impfkommission sah sich dazu veranlasst, genauere Empfehlungen abzugeben. Sie hält fest, dass Alten- und Intensivpfleger sowie Notfallsanitäter zuerst drankommen. Als nächstes sollen Behindertenbetreuer und Personal mit Kontakt zu Corona- und Hochrisikopatienten geimpft werden. Erst später sind Spitexpersonal, Ärzte, Therapeuten oder Hebammen an der Reihe.
Das Gesundheitspersonal profitiert auch von Restdosen. Zum Beispiel wenn mehr Impfstoff vorbereitet wurde, als verwendet werden kann. Wenn in einem Spital Impfstoff für die Leute an der Front ankommt, bleiben unter Umständen auch Restimpfungen für solche Mitarbeiter, die eigentlich erst später drankämen. Das Personal kommt ferner zum Zug, wenn Impflinge aus der Bevölkerung ihren Termin verpassen. So werden zum Beispiel in den Kantonen Uri, Zug und Appenzell Innerrhoden Impfdosen, die nicht planmässig verimpft werden können, dem Gesundheitspersonal verabreicht. In den Hausarztpraxen erhalten zum Teil Ärztinnen und die Praxisassistenten die nicht verwendeten Impfdosen.
Bleiben Dosen im Impfzentrum beim Tropeninstitut Zürich übrig, werden Mitarbeiter von «Schutz und Rettung» Zürich aufgeboten. Im Universitätsspital Zürich profitiert Personal davon, dass aus den Biontech-Fläschchen sechs statt fünf Impfdosen verimpft werden. «Schon mehrere hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten damit geimpft werden», schreibt eine Sprecherin. Im Berner Inselspital bekamen rund 500 Angestellte eine Impfung aus Restposten, was einen Viertel aller bisher vorgenommenen Personalimpfungen ausmacht.
Wichtig ist: Auch die Restposten werden nach einem Schlüssel verteilt, sodass Personal mit Risiken oder intensivem Kontakt zu Patienten zuerst drankommt. Die meisten Kantone führen Jokerlisten. Impfwillige aus berechtigten Gruppen tragen sich ein, wenn sie spontan einspringen können. Im Kanton Wallis kamen so 200 Personen zu einer Impfung, im Kanton Appenzell Ausserrhoden waren es 100.
Manchmal haben aber auch Begleitpersonen von Impflingen Glück, wie ein Beispiel aus St. Gallen zeigt. Eine gesunde Begleitperson aus einem anderen Kanton bekam eine Impfung im Kantonsspital, obwohl sie eigentlich nicht impfberechtigt war. Der Kanton St. Gallen empfiehlt Jokerlisten, das Kantonsspital sieht sich aber nicht in der Lage, dies umzusetzen. Gemäss einem Sprecher handelt es sich um einen Einzelfall.
Impfneid kommt auch beim Lehrpersonal vor. In Deutschland werden Primarschullehrer seit Ende Februar prioritär geimpft, in der Schweiz werden sie in der Impfstrategie nicht einmal erwähnt. Das Lehrpersonal bangt zurzeit darum, ob es auf der letzten oder der zweitletzten von fünf Prioritätsstufen geimpft wird. Im Kanton Glarus wird ihnen die Stufe vier aus Kulanz gewährt. Dagmar Rösler, Präsidentin des Lehrerdachverbands, findet die Situation stossend. Sie sagt: «Wir finden es gut, dass die Schulen offenbleiben, das soll aber nicht auf Kosten der Gesundheit der Lehrpersonen geschehen. Darum sollten sie die Möglichkeit erhalten, so bald wie möglich geimpft zu werden.
Der Präsident der eidgenössischen Impfkommission, Christoph Berger, versteht, dass sich Menschen zum Teil ungerecht behandelt fühlen: «Wir müssen das aushalten». Es gebe nun mal weniger Impfstoff als nötig. «Die Verteilung ist leider nie hundertprozentig gerecht. Es gibt immer Leute, die das ausnützen», sagt er und macht Mut: «Bis im Sommer haben wir längstens genug Impfstoff, damit alle, die wollen, drankommen. Es kommt sehr gut.»
Zudem ist es immer noch besser, wenn der Impfstoff im Oberarm von Unberechtigten landet als im Abfall. Die allermeisten Kantone beteuern, nie Impfstoff entsorgt zu haben. Im Kanton Basel-Stadt mussten bisher 82 von 26'268 Dosen entsorgt werden, im Kanton Fribourg waren es 13 von 20'000.
Es wäre absurd, Restposten (welche wegen des Verfalltermins sonst entsorgt werden müssten) einfach wegzuwerfen. Ich bin auch froh um alle Angestellten im Pflegebereich, welche sich impfen lassen und sich nicht dagegen sträuben.
Hätte sich der Bundesrat nicht impfen lassen wäre das wohl Wasser auf die Mühlen der VTler und Impfgegner gewesen.
Was aber gar nicht gehen sollte, ist sich für Geld eine frühere Impfung erkaufen oder eine hohe berufliche Position (die nicht mit erhöhten Gefährdungen einhergeht) auszunutzen.