Wie viele Menschen das Coronavirus in sich tragen – oder trugen – ist unbekannt. Auch Schätzungen über die Höhe der Dunkelziffer gehen weit auseinander. Bis ein zuverlässiger Antikörper-Test gefunden wurde, wird das auch so bleiben.
Doch auch bei den Opferzahlen sind die Angaben weit weg von präzise. In der Stadt New York zum Beispiel wurden nur jene Fälle offiziell erfasst, bei denen die Patienten in einem Spital verstarben und vorgängig positiv getestet wurden. Wer ohne positiven Test oder zuhause dem Corona-Virus erlag, taucht in der offiziellen Statistik nicht auf. New York hat seine Opferzahlen deswegen anpassen müssen – um 3778 Fälle. Auch die Statistik für die chinesische Stadt Wuhan wurde im Nachhinein um 1290 Todesopfer ergänzt.
Das Problem beginnt bereits bei der Definition von «Covid-19-Opfer». Was ist mit den Personen, die aufgrund der Überbelastung des Gesundheitsystems keine Spitalbehandlung erhalten konnten – und deshalb ihrem Leiden erlagen? Zum Beispiel einem geplatzen Blinddarm, der nicht genug schnell behandelt werden konnte?
Datenjournalisten der «New York Times» haben einen Weg gefunden, sich den Covid-Opferzahlen wenigstens anzunähern. Sie verglichen die durchschnittliche Zahl der Todesfälle in den entsprechenden Monaten der letzten Jahre mit der Anzahl Verstorbener in diesem Jahr. Von der Differenz subtrahierten sie die Anzahl offizieller Covid-19-Fälle. Die restlichen Fälle ergeben einen unerklärlichen Ausreisser in der Statistik – die potentielle Dunkelziffer.
Im Fall der Schweiz bedeutet das: Hierzulande verstarben zwischen dem 9. März und dem 5. April 2020 1000 Menschen (oder 21%) mehr als im Durchschnitt der letzten Jahre. Nur 712 davon wurden als offizielle Covid-19-Opfer ausgewiesen. Doch was ist mit dem anderen 288?
Auch wenn die Mortalität 2020 grundsätzlich höher sein sollte – eine derart starke Abweichung (6 Prozent) vom Durchschnitt der letzten Jahre wirft Fragen auf. Die New-York-Times-Journalisten kommen zum Schluss: Die Grosszahl dieser Fälle muss dem Virus zugeschrieben werden.
Für die Schweiz bedeutet dies, dass die Dunkelziffer bei den Covid-19-Todesfällen bis zu 28% betragen kann (288 von 1000). Damit wären hierzulande nicht – wie offiziell ausgewiesen – 1479 Personen dem Virus zum Opfer gefallen (Stand 22.4.2020), sondern eher 2000 bis 2100 (1479 + 575).
Die «New York Times» untersuchte neben der Schweiz sieben weitere Länder und zwei Städte. In allen Gebieten wurde eine hohe Differenz zwischen der aktuellen Mortalität unter Berücksichtigung der offiziellen Covid-19-Zahlen und der durchschnittlichen Mortalität der letzten Jahre festgestellt. Spanien hat für denselben Untersuchungszeitraum rund 7000 Tote «zu viel» zu beklagen, England 6300.
Etwas zu bemängeln ist, dass die «New York Times» nicht angibt, welche Jahre für den Durchschnittswert berücksichtigt werden. Die Anzahl Todesfälle hat in der Schweiz in absoluten Zahlen in den letzten Jahren zugenommen – aufgrund von Veränderungen der Demographie. Auch die Standardabweichung wird von der NYT nicht berücksichtigt. Zur besseren Einschätzung wären diese Angaben nützlich gewesen.
Grundsätzlich aber gilt festzuhalten: Auch bei den Todesfällen gibt es eine Dunkelziffer. Und sie fällt wohl höher als, als uns lieb sein kann.
(tog)
Ob diese 288 im KH starben im Notfall, weil sie nicht schnell genug behandelt werden konnten, wird man wohl eruieren können. Man kann zudem die Zahlen der Todesursachen vergleichen, die ja gestellt werden müssen. Ich glaub nicht dass die NY Times dazu Zugang hat.