Auf den ersten Blick haben die beiden Frauen nicht viel gemeinsam. Was sie verbindet: Wegen der Corona-Pandemie haben sie ihre Jobs gekündigt. Die Geschichte von zwei Einzelschicksalen.
Andrea Rutz ist seit Oktober arbeitslos, freiwillig könnte man meinen. «Ich habe meinen Traumjob nach fünf Jahren an den Nagel gehängt, weil mir das Risiko einer Corona-Infektion zu gross war.» Rutz leidet an einem Immundefektsyndrom: Ihr Körper bildet nicht genug Antikörper.
Mit Maske fühlte sich die 27-Jährige vor ihren Schülerinnen und Schüler der vierten bis sechsten Klasse lange sicher. Als der Kanton Zürich nach den Sommerferien diese Massnahme aufhob, wurde ihr unwohl. Erschwerend kam hinzu, dass sich viele Eltern gegen Massnahmen wehrten. «Ein Drittel der Kinder meiner Klasse machten nicht mit bei den repetitiven Spucktests.»
Selbst im Lehrerzimmer sei sie nicht auf Solidarität oder Verständnis gestossen: «Auf meinen Wunsch nach strengeren Corona-Massnahmen sagten in meinem Team einige, dass sie jetzt schon genug lange Rücksicht genommen hätten.»
Andrea Rutz heisst eigentlich anders. Aus Angst vor Anfeindungen will sie anonym bleiben.
Ab dem Moment, als die Zürcherin im Februar vollständig geimpft war, galt sie offiziell nicht mehr als besonders gefährdete Person. Zusätzliche Schutzmassnahmen konnte sie für sich nicht erwirken. Warum sich Rutz trotz der Impfung Sorgen machte, erklärt sie damit: «Der Schutz ist nun einmal nicht 100 Prozent, besonders bei immunsupprimierten Personen nicht. Selbst nach der dritten Impfung im August habe ich kaum Antikörper gebildet.»
Als sich das Infektionsgeschehen dann verschärfte, musste Rutz einen schweren Entscheid fällen. «Meine Ärztin riet mir, entweder zu kündigen oder mich krankschreiben zu lassen.» Die junge Lehrerin entschied sich für die Kündigung. «Ein Ende dieser Situation ist ja nicht wirklich in Sicht. Es ist mir echt schwergefallen.»
Besonders bitter war für Rutz aber vielmehr der Umgang seitens der Schule. «Ich hätte mir gewünscht, dass man auf Einzelfälle Rücksicht nimmt und man beispielsweise über Klassen eine Maskenpflicht verfügt, in der die Lehrerin immunsupprimiert ist.»
Nun versucht sich Rutz auf einem anderen Standbein. Seit September studiert sie Kommunikationswissenschaften, Vollzeit. Finanziell ist sie abhängig von ihren Eltern. «Es ist mir unangenehm, dass ich ihnen auf der Tasche liege. Ich wäre nach wie vor am liebsten Lehrerin.»
Mit Maskenpflicht würde sie wohl weiterhin unterrichten, sagt Rutz. Dass der Kanton Zürich diese nun ab der vierten Klasse wieder angeordnet hat, freut sie. Ein Grund, zurück in den Job zu gehen, sei das aber nicht. «Solange die Corona-Pandemie andauert, werde ich wohl nicht als Lehrerin arbeiten können.»
Auch Regula Sutter gibt ihren Job in der Pandemie auf. «Wie bei allen im Gesundheitswesen ist auch bei mir die Frustration extrem hoch», sagt die 45-Jährige. Sie arbeitet in einer Führungsposition einer Spitalgruppe und hat eine strenge Schweigeklausel, weshalb sie weder ihren Namen noch den ihres Arbeitgebers hier lesen will.
Sutter trägt eine Verantwortung, die für sie unhaltbar geworden ist. «Ich sehe jeden Tag, wie das medizinische Personal zu Boden gewirtschaftet wird. Ich kann da nicht mehr länger dahinterstehen.»
Geld sparen, Stellen streichen: Es sei ein Problem, das mit und ohne Corona besteht, sich durch die Pandemie aber verschärft habe. «Der finanzielle Druck ist enorm gewachsen. Wenn die Klinik nicht rentiert, werden Stellen abgebaut.» Wie viele Spitäler sei auch Sutters Arbeitgeber dem Kanton unterstellt und gleichzeitig eine Aktiengesellschaft. «Wir sind hochökonomisiert, haben aber nicht die gleichen Freiheiten wie eine voll privatwirtschaftliche Firma. Die Behörden stellen immer mehr Ansprüche. Die Kosten dafür will aber keiner übernehmen.»
Sutters Job ist es unter anderem, die Klinik kosteneffizienter zu machen. Damit sie das tun kann, muss sie mit den Angestellten, dem medizinischen Personal reden. «Für meine Analyse kläre ich mit Ärztinnen, Ärzten und Pflegenden der unterschiedlichen Abteilungen, wo sie Sparpotential sehen oder ob sie zu viel Zeit pro Patient brauchen.» Dabei leeren die Angestellten bei Sutter auch gerne mal den Kopf. «Ich sehe so viel Frustration. Sie sind ausgelaugt und abgestumpft. Das Personal konnte sich von den letzten Wellen nicht richtig erholen und selbst jetzt ist kein Ende in Sicht.»
Mit all den Sorgen konfrontiert zu werden, nagt an Sutters Energiehaushalt. «Mich belastet, dass diese Leute so strapaziert sind.» Eine Weile müsse sie aber noch durchhalten, im Management habe man eine lange Kündigungsfrist.
Nach ihrem Weggang vom Spital wird sie in die Bildung wechseln und Pflegepersonal schulen. Mit den Problemen der Branche sei sie da zwar nach wie vor konfrontiert. «Ich hoffe aber, dass es sich für mich sinnvoller anfühlt, junge, tatkräftige Menschen auszubilden.»
Sutter hat einst Naturwissenschaften studiert und arbeitete nach ihrer Dissertation in der Forschung. Dann wechselte sie ins Spital-Management, wo sie über zehn Jahre tätig war. «Als ich den Job wechselte, war mir klar, dass hier mit harten Bandagen gekämpft wird.»
Doch der Ton ist rauer geworden. «Mit dieser Pandemie wird das Medizinpersonal endgültig an die Wand gefahren.» Sutter weiss: Wenn sie geht, übernimmt ein nächster ihren Job und wird die Sparmassnahmen durchsetzen. «Mein Chef sagte zu mir: Du bist nicht hart genug. Aber wenn alle empathischen Menschen aus einer Spitalorganisation verschwinden, dann würde ich mich als Patientin nicht mehr dort behandeln lassen wollen.»
Denn genau diese Zeit kann man nicht einfach reduzieren, wenn man den Fragen und Ängsten der Patienten gerecht werden will.
Wichtig ist Effizienz bei den administrativen Arbeiten und dass die Ärzte Zugriff auf alle relevanten Informationen haben und man nicht jedem Spezialist nochmals die ganze Krankengeschichte erläutern muss.
Und dass lieber mal eine Untersuchung zuviel gemacht wird und der Arzt ein besseres Bild erhält statt dass mehrere Termine nötig sind.