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Wetter: Diese 13 Bilder zeigen, wie die Schweiz gerade austrocknet

«Das habe ich noch nie erlebt» – eine Fahrt durch die ausgetrocknete Deutschschweiz

Die Schweizer Gewässer führen aktuell historisch wenig Wasser. watson hat 13 Orte in der Deutschschweiz besucht und die Trockenheit fotografisch festgehalten.
11.08.2022, 11:4919.12.2022, 14:39
Corsin Manser
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Das Schweizer Mittelland gleicht immer mehr der Toskana. Zu diesem Schluss kommt die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Grund dafür sei die «Klimaerhitzung», teilte sie am Montag mit.

Tatsächlich gestaltet sich der laufende Sommer vielerorts als sehr warm und trocken. Meldungen über Waldbrandgefahr, wasserarme Flüsse und sterbende Fische machen die Runde. Doch sind die Auswirkungen des heissen Sommers wirklich von Auge zu sehen? Führen die Gewässer merklich weniger Wasser als sonst? Eine Fahrt durch die Deutschschweiz zeigt: Ja, das tun sie.

Die folgenden 13 Bilder sollen dir einen Eindruck geben, wie trocken es in der Schweiz gerade ist:

Mollis, Linth

Der erste Stopp ist in Mollis. Für jemanden, der nicht ortskundig ist, wirkt der Blick über die Linth nicht besonders beunruhigend. Es fliesst einiges an Wasser von den mächtigen Glarner Alpen in Richtung Walensee. Eine Gruppe Jugendlicher vergnügt sich auf dem Schlauchboot und lässt sich vom Strom treiben.

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bild: watson

Doch der Eindruck täuscht. Hier herrscht Ausnahmezustand. Auf der Webseite trockenheit.ch kann der aktuelle Abfluss der Linth bei Mollis mit den Daten vergangener Jahre verglichen werden. Seit Messbeginn im Jahr 1965 floss im August noch nie weniger Wasser hinunter als aktuell.

So niedrig war der Abfluss der Linth bei Mollis im August noch nie.
So niedrig war der Abfluss der Linth bei Mollis im August noch nie.screenshot: trockenheit.ch

Gäsi, Walensee

Wenige Autominuten entfernt zeigen sich die Auswirkungen des niedrigen Abflusses deutlich. Beim malerischen Gäsi-Strand müssen die Badenden erst meterweit über Kies und Schotter laufen, ehe sie zum Wasser gelangen. Anfang August war der Pegel des Walensees seit Messbeginn im Jahr 1930 noch nie so niedrig wie jetzt.

Ein älterer Mann, der seit 50 Jahren auf den Campingplatz Gäsi kommt, erzählt: «Das habe ich noch nie erlebt. Sonst hat es vielleicht im Januar oder Februar so wenig Wasser. Aber sicher nicht im August.» Es sei verrückt, vor einem Jahr habe es hier Hochwasser gegeben, mit den Gummistiefeln habe er zu seinem Wohnwagen waten müssen. Nun sei das komplette Gegenteil der Fall. «Das ist bedenklich», meint er und verabschiedet sich.

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Buchs, Rhein

Es geht weiter in Richtung Osten nach Buchs SG. Hinter einem hohen Damm bildet der Rhein die Grenze zu Liechtenstein. Auf den ersten Blick wird klar: Auch der längste Fluss der Schweiz führt aktuell sehr wenig Wasser. Zwischen den beiden Ländern liegen momentan vor allem Steine.

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Appenzell, Sitter

In Appenzell ist touristische Hochsaison. Der Parkplatz an der Sitter ist übervoll, die Leute sprechen Hochdeutsch und Englisch. Weniger gut gefüllt ist der Fluss selbst. Überall ragen Kiesbänke aus dem Wasser, die Trockenheit ist augenscheinlich.

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Doch weshalb führen die Flüsse momentan so wenig Wasser? «Wir haben seit einigen Wochen einen Regenmangel und im Winter hat es wenig geschneit», sagt Hydrologe Massimiliano Zappa von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). «Hinzu kommen Hitzephasen, bei denen die Verdunstung sehr hoch ist.»

Amlikon-Bissegg, Thur

Wenig geregnet hat es auch im Einzugsgebiet der Thur. Mit ein paar gezielten Sprüngen und einer guten Balance könnte man bei Amlikon-Bisegg den Fluss wahrscheinlich überqueren, ohne nasse Füsse zu bekommen.

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Salenstein, Bodensee (Untersee)

Weiterfahrt nach Salenstein. Etwa die Hälfte des Schiffsstegs Mannenbach steht nicht im Wasser, sondern auf steinigem Untergrund. Ein trauriges Rinnsal führt etwas Frischwasser in den See. Doch das nützt wenig. Seit Messbeginn im Jahr 1886 war der Pegel des Untersees Anfang August noch nie so niedrig wie jetzt.

Ein Vater erzählt, dass er regelmässig hierherkomme. Das Wasser würde im Sommer sonst bis zu den Gräsern reichen. «Eigentlich schon verrückt, wenn man bedenkt, wie viele Kubikmeter Wasser hier fehlen», sagt er.

Seine Kinder berichten lebendig vom letzten Sommer, als sie mit ihren Luftmatratzen noch bis unter die Bäume beim Parkplatz paddeln konnten. Auch hier schwankte der Wasserstand innerhalb eines Jahres von einem Extrem ins andere.

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bild: watson

An der Anlegestelle werden die Schiffspassagiere darauf hingewiesen, dass auf Niedrigwasserbetrieb umgestellt wurde. Zwischen Diessenhofen und Stein am Rhein können bis auf Weiteres keine Schiffe verkehren.

Selbst wenn es im weiteren Verlauf des Augusts wieder etwas regnen sollte, werden die Wasserstände nicht sofort auf normale Werte steigen. «Für eine nachhaltige Erholung der Pegelstände bräuchte es fünf bis sechs Monate überdurchschnittlich viel Regen», sagt Zappa. Zwar könne es durchaus sein, dass durch Starkregen die Pegel schneller ansteigen würden, dann gebe es aber andere Probleme wie Überschwemmungen und Erdrutsche.

Ermatingen, Bodensee (Untersee)

Das gleiche Bild bietet sich wenige Kilometer seeaufwärts. Auch in Ermatingen ist deutlich ersichtlich, dass der Pegel des Untersees über einen Meter tiefer ist als sonst.

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bild: watson

Neuhausen, Rheinfall

Der Rheinfall ist auch in diesen Tagen imposant. Aber auch hier ist der Abfluss auf einem historischen Tiefstand. Blickt man über den oberen Teil des Wasserfalls, ist das gut erkennbar.

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bild: watson

Es drängt sich die Frage auf, inwiefern die Gletscherschmelze einen Einfluss auf die aktuellen Wasserstände hat. Denn bei den hohen Temperaturen müsste die Schmelze ja besonders intensiv sein.

Im Hitzesommer 2003 habe die Gletscherschmelze sicherlich noch für mehr Wasserzufuhr gesorgt, sagt Zappa. Aber die Gletscher gingen wegen des Klimawandels zurück, weswegen auch der ausgleichende Effekt immer kleiner werde. «In Zukunft werden die Gletscher uns nicht mehr so helfen können wie heute», so der Wissenschaftler. Solch niedrige Wasserstände dürften immer häufiger werden.

Neftenbach, Töss

«Auch uns ist es zu heiss!», steht auf einer Informationstafel der Zürcher Fischerei- und Jagdverwaltung, die bei der Töss angebracht ist. Man solle keine tiefen Wasserstellen betreten und die Hunde nicht darin baden lassen, so die Aufforderung. Jede Störung könne für Fische momentan den Tod bedeuten, da diese kühle Stellen suchen und ihren Kreislauf herunterfahren würden.

Tiefe Stellen hätte es in der Affenschlucht bei Neftenbach im Normalfall genug. Natürliche Pools locken hier im Sommer die Badegäste an. Doch auch hier bewegt sich der Wasserpegel seit Wochen auf sehr niedrigem Niveau.

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bild: watson

Brugg, Aare

Weiter geht es in Richtung Wasserschloss der Schweiz. Dort, wo Aare, Limmat und Reuss zusammenfliessen. Gelbe Blätter fallen von den Laubbäumen und sammeln sich auf den Strassen. Es sieht bereits nach Herbst aus – und das Anfang August.

Im Autoradio laufen die Nachrichten. Die Airline Edelweiss hat im Juli so viele Passagiere transportiert wie noch nie in einem Monat. Besonders beliebte Destinationen sind die Dominikanische Republik, die USA und Kanada.

Halt in Brugg hinter dem Freibad an der Aare. Hier ragen die Kiesbänke weit aus dem Wasser. Seit 1916 war der Abfluss Anfang August hier noch nie auf so einem tiefen Stand wie jetzt.

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bild: watson

Gipf-Oberfrick, Bruggbach

Nach dem Bözberg-Tunnel kommt tatsächlich Toskana-Feeling auf. Rebberge ziehen sich über die braun-gelb schimmernde Hügellandschaft. Im ausgetrockneten Bruggbach liegt ein kaputter Regenschirm. Erst der wässrige Tankstellen-Espresso aus dem Vollautomaten erinnert daran, dass wir uns nördlich der Alpen und nicht irgendwo zwischen Montepulciano und Grosseto befinden.

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bild: watson

Frick, Staffeleggbach

«By the rivers of Babylon, there we sat down, yeah, we wept, when we rememberd Zion», trällert es aus den Lautsprechern des Coop-Parkhauses. Wir hingegen setzen uns an den Staffeleggbach in Frick. Weinen könnten aber auch wir. Nicht wegen Zion, sondern wegen des beklagenswerten Zustandes des Fliessgewässers.

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bild: watson

Eiken, Sissle

Der letzte Stopp liegt in Eiken, wo eigentlich die Sissle entlang des Fussballplatzes fliessen sollte. Doch heute ist der Bach komplett ausgetrocknet. Nur eine kleine Pfütze erinnert daran, dass hier mal Wasser war.

Gespräch mit zwei Anwohnern, die mit ihrem Hund unterwegs sind. Dasselbe Bild habe sich schon letzten Sommer und in den Jahren zuvor präsentiert, sagen sie. Aber als sie vor zwölf Jahren hierhergezogen seien, habe der Bach auch den Sommer hindurch Wasser gehabt. Die Trockenheit bereitet ihnen grosse Sorgen. «Es ist eine Katastrophe. Uns geht das Wasser aus.»

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bild: watson

Das Bafu schickt uns eine Liste mit Orten, an denen der Pegelstand ebenfalls sehr niedrig ist.

  • Hallwilersee
  • Lac des Brenets
  • Broye
  • Orbe

Man könnte noch stundenlang weiterfahren und Fotos von ausgetrockneten Gewässern machen. Wir haben jedoch fürs Erste genug gesehen und fahren zurück in die Redaktion. Im Autoradio kommen die Wetterprognosen. Regen ist bis Sonntag nicht in Sicht.

Letztes Jahr Überschwemmungen, jetzt fast kein Wasser – diese Drohnenaufnahmen zeigen zwei Extreme der Aare

Video: watson/nico bernasconi, fabian welsch, sina alpiger
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170 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tosiasia
11.08.2022 11:55registriert April 2021
Gute Gelegenheit den ganzen Müll aus den Bächen zu sammeln. Ich werd mal ein Spaziergang in der Thur-Kiesgrube machen.
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banda69
11.08.2022 12:05registriert Januar 2020
Und das meinen die Klimaleugner von der unweltfeindlichen SVP.

Und ja. Wer SVP wählt, wählt Klimakatastrophe.
Gefühlte Temperaturen von 52 Grad: Warnung vor «Extremhitzegürtel» in den USA\nUnd die Klima-Zyniker von der SVP so.

Und ja. Wer SVP wählt, wählt Klimakatastrophe.
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Bünzli69
11.08.2022 12:03registriert August 2022
Und der 1. Liga Fussballclub bei uns, wässert den Kunstrasen fürs Training, ja jeden Abend. Null Verständnis
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