Es ist 6.45 Uhr und Gallus Baumgartner fährt mit seinem Fischerboot los. Vom Jägerhafen in Altenrhein im Kanton St.Gallen hinaus auf den Bodensee. Dabei hat er nur eine einzige Kühlbox, die zu einem Fünftel mit Eis gefüllt ist. Mehr Behälter braucht er nicht.
Im Bodensee hat es nicht mehr so viele Fische wie vor 34 Jahren, als Baumgartner Berufsfischer wurde. Damals fuhr er mit mehreren Kisten auf den See hinaus. Teilweise sogar zwei Mal am Tag. Denn die Netze waren voll und mussten geleert werden, bevor die Fische darin starben. Das Geschäft florierte. Anders als heute. Das wird klar, wenn man Baumgartner auf seiner täglichen Tour auf dem Bodensee begleitet.
Die Tour beginnt heute mit dem Eglifang. Styroporklötze, die auf der Wasseroberfläche schwimmen, zeigen an, wo sich Baumgartners Netze befinden, die er am Vortag ausgeworfen hat. Er greift nach dem ersten Block, legt das Netz über eine elektrische Winde und beginnt zu ziehen.
Lange sieht man nichts. Doch dann: die ersten Egli. Routiniert befreit Baumgartner die Fische aus den Fängen der dünnen Nylonfäden und wirft sie in die Kühlbox. Ein Egli nach dem anderen.
Um das Fischerboot kreisen Möwen. Sie sind dem Boot vom Festland aus gefolgt. Sie kennen den Fischer und seine Tour. Hoffen einen Fisch abzubekommen, den Baumgartner nicht nehmen darf, weil er noch zu klein ist.
Nachdem alle Eglinetze geleert sind, wirft Baumgartner sie aus für den nächsten Tag. Dann schaut er in seine Kühlbox. Sie ist schon fast voll. «Heute haben wir wohl Glück», sagt er. Freude sieht man bei diesen Worten nicht in seinem Gesicht. Denn kein Bodenseefischer kann von dieser Menge Egli leben. «Die Hauptsaison für Egli geht nur zwei Monate, von August bis September. Den Rest des Jahres müssen wir mit anderen Fischen über die Runden kommen», sagt Baumgartner.
Die Haupteinnahmequelle von Berufsfischern auf dem Bodensee war seit jeher der Felchen. «Brotfisch» nannte man ihn darum auch. Doch der Felchen droht im Bodensee auszusterben. Und mit ihm vielleicht auch der Fischerberuf.
Die Gründe für den schwindenden Felchenbestand sind vielfältig. Viele davon bekommt Baumgartner im Alltag zu Gesicht. Auch heute. Er fährt zu seinem nächsten Netz, ein Felchennetz. Seine Maschen sind grösser als für Egli, dafür liegt es tiefer am Grund. Baumgartner beginnt zu ziehen. Zum Vorschein kommen ganze Bündel Muscheln.
Mit einem starken Ruck schüttelt Baumgartner die Tiere aus dem Netz. Am Boden seines Bootes sammeln sie sich und knirschen unter seinen Gummistiefeln.
Es sind Quagga-Muscheln. 2016 entdeckten Taucher die Art erstmals im Bodensee. Sie stammt eigentlich aus dem Aralsee und dem Schwarzmeerraum und wurde eingeschleppt. Wie genau, ist unklar. Baumgartner vermutet über Boote oder Wassersportausrüstung. Nachweisen kann man das nicht mehr.
Die Quagga-Muschel überwuchert Boden, Boote, Stege, Rohre. Dabei zerstört sie nicht nur den Lebensraum einheimischer Arten, sondern filtert auch noch die letzten Nährstoffe im See raus. Weniger Nährstoff bedeutet auch weniger Plankton, von dem sich die Felchen ernähren.
Auch die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) nennt die Quagga-Muschel als einen von drei Hauptgründen für den Felchenschwund. Daneben würde der Klimawandel den Friedfischen zu schaffen machen. Als Folge davon zirkuliert das Wasser im See weniger stark. So kommen an manche Stellen kaum noch Nährstoffe hin, die der Rhein und Kläranlagen in den See transportieren.
Den dritten Grund für den Felchenschwund fischt Baumgartner soeben aus dem Wasser. Ein Stichling. Die eingeschleppte Fischart hat ihren Namen verdient. Auf ihrem Rücken befinden sich spitze Stacheln. Der Stichling ernährt sich von Plankton und den Larven und Eiern anderer Fischarten, insbesondere von Felchen. Auch er breitet sich gemäss IBKF explosionsartig im Bodensee aus.
Kein Wunder hat Gallus Baumgartner für das gefangene Exemplar nicht viel übrig. Er tötet den Stichling und wirft ihn zurück ins Wasser. Keine Möwe greift nach ihm. Wegen der Stacheln können ihn die meisten Vögel nicht fressen.
Doch die Möwen sind ohnehin nirgends mehr zu sehen. Als wüssten sie, dass es nichts mehr zu holen gibt. Tatsächlich fängt Baumgartner heute keinen einzigen Felchen. Dafür zwei Saiblinge und eine Trüsche. Sie sind Beifang.
Überrascht ist Baumgartner von dieser mageren Ausbeute nicht. Er hat die ganze Woche erst drei Felchen gefangen. Dabei ist es Donnerstag.
«Seit zehn Jahren ist der Felchenfang stark rückläufig», sagt Baumgartner. Das bestätigt auch ein Bericht der IBKF. Darin schreibt sie, dass die 64 Fischer, die es am Bodensee noch gibt, 2022 rund 80 Prozent weniger Felchen gefangen haben als im Jahr zuvor. Nur 107 Tonnen. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es noch 800 Tonnen.
Die IBKF hat darum beschlossen, dass ab 2024 drei Jahre lang keine Felchen mehr gefischt werden dürfen. Weder von Sportfischern noch von Berufsfischern. In dieser Zeit soll sich die Population erholen können. Indes will man versuchen gegen den Stichling vorzugehen, indem man ihn gezielt abfischt.
Gallus Baumgartner bezweifelt, dass das Felchenfangverbot etwas bewirken wird. «Denn wie soll ich als Berufsfischer den Bestand gefährden, wenn ich kaum Felchen fange?» Mit den grobmaschigen Netzen würden Berufsfischer jetzt schon sicherstellen, dass sie nur Felchen nehmen, die bereits zwei Mal abgelaicht hätten.
Doch wenn der Lebensraum der Felchen nicht mehr stimme, könne ein Moratorium nichts mehr bewirken. Baumgartner fordert darum andere Massnahmen. Etwa, dass der «hemmungslose Kormoranzuwachs» eingeschränkt wird. Der Kormoran nehme deutlich mehr Fische aus dem Bodensee als alle Berufsfischer zusammen.
Heute leben gemäss der Vogelwarte Sempach 5'500 bis 6'500 Kormorane in der Schweiz. Ein Kormoran fresse am Tag 300 bis 500 Gramm Fisch.
«Ausserdem ist der Bodensee viel zu nährstoffarm», sagt Baumgartner. Er zeigt nach Osten in Richtung Österreich. Die künstliche Dammverlängerung des Rheins bei Bregenz habe dazu geführt, dass die Nährstoffe, die der Rhein in den Bodensee transportiert, direkt in die Tiefe verschwindet, sich weniger gut verteilt. Besonders Altenrhein ist durch diesen Strom von der Nährstoffzufuhr abgeschnitten.
Hinzu kommt, dass die Kläranlagen das Wasser, das sie in den See zurückführen, viel stärker filterten als früher. «Damit gelangt weniger Phosphat in den See», sagt Baumgartner. Und auf eben dieses Phosphat sei das Plankton, von dem sich Felchen ernähren, angewiesen.
Was ist mit der Quagga-Muschel? «Diesen Kampf haben wir schon verloren», sagt Baumgartner und schaut zu seinen Füssen. Schaufelweise muss er die Muscheln, die vom Netz in sein Boot gelangten, zusammenkehren und über Bord werfen. Aus dem See raus wird man sie nicht mehr bringen, ist Baumgartner überzeugt.
«Das einzige, was dieses Moratorium bewirkt, ist, dass wir Fischer auch aussterben», ist Baumgartner überzeugt. Während des Moratoriums werden die Berufsfischer am Bodensee andere Netze verwenden müssen. Deren Maschen sind grösser und anders beschaffen, so dass sich kein Felchen darin verfangen sollte. Damit fällt gemäss Baumgartner aber auch der Beifang weg, mit dem sich viele Berufsfischer gerade noch so über Wasser halten. Etwa die heutigen beiden Saiblinge und die Trüsche.
Immerhin: Die Kantone Thurgau und St.Gallen wollen ihren Berufsfischern in den nächsten drei Jahren jeweils vier bis fünf dieser Netze finanzieren. Baumgartner zuckt ob dieser Zugeständnisse nur die Schultern. «Das ist ein Tropfen auf den heissen Stein.» Pro Jahr verbrauche er allein zwanzig Netze. Ausserdem seien diese speziellen Netze noch gar nicht auf dem Markt. Wie das alles aufgehen soll, kann sich Baumgartner nicht vorstellen.
Leben kann er schon lange nicht mehr vom Fischfang. Obwohl er sechs Mal in der Woche auf den Bodensee hinausfährt. Nach zwei Stunden auf dem See und einer weiteren Stunde Filetieren bringt ihm der heutige Fang nicht einmal 200 Franken ein.
Baumgartner muss noch ein Jahr durchhalten bis zur Pension. Das wird er auch schaffen. «Ich habe zum Glück, als das Geschäft gut lief, in Immobilien investiert und kann vom Mietertrag leben», sagt er. Danach will er zwar weiterhin fischen, aber eher als ein Hobby.
Für die Zukunft der Berufsfischer am Bodensee sieht Baumgartner schwarz. «Bald ist der Bodensee eine blaue Wüste. Schön anzusehen, aber fast tot. Wie ein Bergsee.» Dass der Felchen komplett aussterben wird, glaubt Baumgartner zwar nicht. Aber er vermutet, dass sich die Bestände auf tiefem Niveau einpendeln werden. Dann wird der Felchen seine Bezeichnung als «Brotfisch» der Bodenseefischer definitiv verlieren.
Kormorane abschiessen wollen, aber selber nicht aufs Fischen verzichten. Dieser Mann ist so egoistisch, dafür finde ich kaum Worte.