Diesen Sommer wird eine Bahnstrecke im Raum Bern / Lausanne während fast zwei Monaten komplett gesperrt sein. Die SBB rechnen mit über 600'000 betroffenen Passagieren. Für die verlängerte Reisezeit plant das Bahnunternehmen die Kunden mit einem 100-Franken-Gutschein zu entschädigen – wenn diese die Ortungsdienste auf ihrem Smartphone aktivieren und so ihre GPS-Daten preisgeben.
Betroffene Kunden, die ihre Standortdaten nicht teilen wollen, gehen leer aus. Denn das Konzept des Projekts beruht darauf, dass die Passagiere über die GPS-Lokalisierung ihres Smartphones beweisen, dass sie eine bestimmte Zeit auf einer Ersatzverbindung unterwegs waren.
Kritisch sieht dies die Stiftung für Konsumentenschutz. Cécile Thomi, Leiterin Recht: «Warum können sich die betroffenen Kunden für die Entschädigung nicht einfach schriftlich, zum Beispiel per Formular, an die SBB wenden?» Laut ihr ein mögliches Indiz dafür, dass mehr hinter dem neuen Kompensations-Modell steckt, als nur «Grosszügigkeit und Kulanz»: «Entweder hat die SBB kein Vertrauen in ihre grösstenteils langjährige Kundschaft – oder es geht um die Daten.» Sollten die SBB die GPS-Entschädigungen schweizweit einführen wollen, würde sie dem «sehr kritisch» gegenüberstehen.
Eine finanzielle Entschädigung aufgrund von Standortdaten – es ist eine Premiere für das Zugunternehmen und vorerst lediglich ein Pilotprojekt. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte wurde zwar «am Rande» über das Pilotprojekt informiert, hat es aber nicht näher geprüft. Sprecherin Silvia Böhlen: «Es liegt in der Verantwortung der SBB dafür zu sorgen, dass der Datenschutz gewährleistet wird.»
Was die GPS-Lokalisierung der Reisenden über ihr Smartphone betrifft, hält sie fest: «Anonymes Reisen sollte möglich sein, ohne dass dies Nachteile mit sich bringt. Hier wäre eine Alternative für all diejenigen wünschenswert, die kein Smartphone haben oder ihre Daten nicht teilen möchten.»
Das Übermitteln von Daten muss laut Datenschutzgesetz freiwillig geschehen. Diese Freiwilligkeit sei im Prinzip nur gegeben, wenn es eine alternative Wahl gibt, so Böhlen. Hier stehen aber alle diejenigen, die ihre Daten nicht rausrücken wollen, ohne Entschädigung da.
Besonders heikel ist es, wenn Standortdaten für einen kommerziellen Nutzen verwendet und damit Bewegungsprofile erstellt werden. Dies ist laut den SBB nicht der Fall. Sprecher Oliver Dischoe: «Das angewandte Prinzip ist ganz einfach, sicher und mit dem Gesetz kompatibel. Die Standortdaten und die Identität der Passagiere werden zu keinem Zeitpunkt direkt miteinander in Bezug gesetzt.»
Konkret: Die SBB vertrauen die Standortdaten der Kunden dem Luzerner IT-Unternehmen Axon Vibe an, die Daten werden also extern betreut. Die Firma kenne die wahre Identität der Kunden nicht, sondern nur anonymisierte IDs, erfährt man auf dem Faktenblatt zum Pilotprojekt. Umgekehrt erhalten die SBB keine Kenntnis darüber, welche Strecke die teilnehmenden Passagiere zurücklegen, sondern nur, ob sie die Bedingungen für eine Entschädigung erfüllen. Axon Vibe speichere und verarbeite ausserdem alle projektspezifischen Daten im Inland ab.
Bisher haben die SBB bei grossen Unterbrüchen immer Bons verteilt – keine ideale Lösung, laut Sprecher Oliver Dischoe: «Einige betroffene Kunden haben sich beklagt, weil sie keine Bons erhalten haben, obwohl sie von einer gewissen Störung betroffen waren.» Mit mangelndem Vertrauen habe dies nichts zu tun: «Mit der App kann man nun genau wissen, wer betroffen ist.» Ob das System Schule machen wird, ist ungewiss. Nach Abschluss des Pilotprojekts wollen die SBB die Resultate zunächst analysieren. Anhand dieser Grundlage will das Zugunternehmen dann entscheiden, ob das Vorgehen definitiv eingeführt wird.
Das Pilotprojekt gilt für Kunden, die an mindestens 10 Tagen im fraglichen Raum unterwegs sind und mit einer über 20 Minuten längeren Fahrzeit rechnen müssen. Betroffen dürften somit in erster Linie Pendler sein. Da es sich um ein Pilotprojekt handelt, werden sie in einem ersten Schritt die Test-App SBB Mobile Preview installieren müssen.