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«Dass die Speicherung von Handydaten nichts bringt, ist kompletter Unsinn»

Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, fordert neue Überwachungsmethoden für die Ermittler.
Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, fordert neue Überwachungsmethoden für die Ermittler.Bild: Keystone
Interview mit Thomas Hansjakob, Staatsanwalt

«Dass die Speicherung von Handydaten nichts bringt, ist kompletter Unsinn»

Der St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob hat am BÜPF-Gesetz mitgearbeitet, das den Ermittlern mehr Möglichkeiten zur Internet-Überwachung geben soll. Im Interview sagt er, warum die verdachtslose Speicherung von Handydaten Sinn macht. Und warum die Polizei neue Spionage-Werkzeuge braucht.
26.04.2014, 16:3411.11.2020, 09:35
Manuel Bühlmann
Manuel Bühlmann
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Herr Hansjakob, die Gegner der Vorratsdatenspeicherung sagen, dass durch die flächendeckende Handyüberwachung der gesamten Bevölkerung so gut wie keine Verbrechen aufgeklärt werden.
Thomas Hansjakob:
(Lacht laut) Das ist kompletter Unsinn. Ich habe noch nie Vorratsdaten angefordert, ohne dass diese beweisrelevant gewesen wären. Ich schätze, dass sich aus 80 bis 90 Prozent der angeforderten Handydaten Hinweise ergeben, die uns bei der Ermittlung weiterbringen.

Es gibt keine Statistik, die den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung belegt.
Richtig ist, dass die Vorratsdaten nur in 10 bis 15 Prozent der Fälle in der Anklageerhebung eine Rolle spielen. Die auf Vorrat gespeicherten Handydaten – also wer mit wem und wo telefoniert hat – liefern aber Ermittlungsansätze, die zu einem Geständnis führen können. Daher braucht die Staatsanwaltschaft die Vorratsdaten später vor Gericht oft nicht mehr.

Was kostet es, wenn ein Staatsanwalt auf unsere Daten zugreifen will?
Ein Auskunftsbegehren kostet 700 Franken. (Anmerk. d. Red. 2013 wollten Staatsanwälte rund 7000 Mal gespeicherte Handydaten einsehen.)

Bild
grafik: watson

Der Bundesrat will, dass alle Internetfirmen die Nutzungsdaten ihrer Kunden zwölf statt sechs Monate speichern müssen. Ist das sinnvoll?
Bei Strafverfahren in der Schweiz sind sechs Monate Aufbewahrungszeit in der Regel ausreichend. Ganz anders sieht es bei internationalen Fällen aus: Bei Kinderpornographie-Delikten im Ausland würde die Verlängerung der Datenspeicherung auf ein Jahr massiv helfen. Ich denke, dass 80 bis 90 Prozent der Fälle lösbar wären. Heben Fahnder in den USA einen Kinderpornographie-Ring aus, werten die US-Behörden zuerst die Datenspuren zu Verdächtigen im eigenen Land aus. Hinweise auf Schweizer Verdächtige gelangen oft erst nach Monaten zu uns. Es kann sein, dass die Handy- und Internet-Nutzungsdaten dann nicht mehr gespeichert sind.

Ein Einzelfall soll rechtfertigen, dass die Bevölkerung präventiv überwacht wird?
Es sind nicht Einzelfälle. Nehmen Sie die betrügerischen E-Mails aus Nigeria: Die Opfer melden sich oft erst nach zwei, drei Monaten, wenn sie den finanziellen Schaden bemerkt haben. Erhält die Staatsanwalt die IP-Adressen der Betrüger erst nach sieben Monaten, ist es zu spät. Selbst die geplante Verdopplung der Aufbewahrungszeit ist nur begrenzt von Nutzen. In einem Tötungsdelikt tauchen wichtige Hinweise oft erst nach über einem Jahr auf. Im Übrigen sind es nicht wir, welche diese Daten präventiv aufbewahren sollen, sondern die Kommunikations-Anbieterinnen, die dies ohnehin tun.

Wollen Sie, dass unsere Daten noch länger gespeichert werden? Würden wir zehn Jahre fordern, käme das Gesetz nie durchs Parlament. Wünschenswert wäre, dass Staatsanwälte über einen bestimmten Zeitraum Daten einsehen können, der weiter als sechs oder zwölf Monate in der Vergangenheit liegt. Das wäre technisch kein Problem, da Swisscom, Orange und Sunrise die Rechnungs- und Verbindungsdaten laut Obligationenrecht zehn Jahre speichern müssen.

Die Mobilfunk-Provider sagen, dass sie die Vorratsdaten nach sechs Monaten löschen.
Das stimmt nicht. Jeder Kunde kann seine Rechnungs- und Verbindungsdaten einsehen, auch wenn sie Jahre zurückliegen. Davon ausgenommen sind nur die gespeicherten Standortdaten, die schneller gelöscht werden. Für die Provider wäre es kein Problem, auch die Standortdaten länger aufzubewahren – wahrscheinlich tun sie das ohnehin schon jetzt.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die verdachtlose Handy- und Internet-Überwachung von EU-Bürgern gegen das Grundrecht verstösst. Warum soll es verhältnismässig sein, acht Millionen Schweizer präventiv zu überwachen?
Wie gesagt werden die Daten von den Providern ohnehin aufbewahrt. Im Ausland werden die Vorratsdaten in der Regel direkt durch die Polizei erhoben. Sie kann die Nutzerdaten teils ausserhalb von Strafverfahren anfordern. Bei uns darf dies nur ein Staatsanwalt und nur, wenn er eine richterliche Genehmigung hat. Dafür wiederum ist ein konkreter Tatverdacht gegen eine bestimmte Person notwendig, die dann im Nachhinein über die Datenerhebung informiert wird und dagegen Beschwerde erheben kann. Der Rechtsschutz ist also sehr ausgebaut.

Der gläserne Politiker
Was die Vorratsdaten über uns verraten, zeigen wir am Beispiel von Nationalrat Balthasar Glättli in dieser interaktiven Grafik. Auf Basis der vom Mobilfunk-Provider gespeicherten Daten können Sie alle Bewegungen des Nationalrats in einem Zeitraum von sechs Monaten nachvollziehen. Die Ortungsdaten haben wir zusätzlich mit frei im Internet verfügbaren Informationen aus dem Leben des Parlamentariers (Twitter, Facebook und Webseiten) verknüpft. Sie enthüllen das Beziehungs- und Persönlichkeitsprofil von Balthasar Glättli: Seine zurückgelegten Wege, seine Freunde, seine Interessen.

Mit der Play-Taste startet die Reise durch Balthasar Glättlis Leben. Sie können die Reise an beliebigen Punkten verlangsamen und mit der Pause-Taste anhalten. Zoomen Sie in die Karte, um genauer zu verfolgen, wo sich der Politiker befindet. Der Kalender zeigt Ihnen, an welchen Tagen Glättli in welcher Stadt war.

In der Praxis können Sie als Staatsanwalt die Nutzerdaten einsehen, bevor Sie eine richterliche Genehmigung haben.
Es stimmt, dass die angeforderten Vorratsdaten oft vor der Genehmigung durch den Richter bei uns eintreffen, weil dieser fünf Tage Zeit für seinen Entscheid hat. Wenn ich die Genehmigung nicht erhalte, was nur in drei bis fünf Prozent der Fälle eintrifft, darf ich die bereits erhaltenen Daten nicht verwenden. Die Hürde für Missbrauch ist bei uns höher als im Ausland.

Wenn Sie so argumentieren, können Sie auch gleich Einsicht in die Inhalte von E-Mails und SMS verlangen. Das würde noch mehr Verbrechen aufdecken.
Das wäre extrem heikel und ein massiver Eingriff in die Privatsphäre. Das wollen wir nicht. Die Mobilfunk-Anbieter zeichnen die Gespräche und den Inhalt von SMS in der Regel nicht auf. Inhalte sind viel sensibler als die gespeicherten Vorratsdaten, die lediglich zeigen, wer wann wo mit wem telefoniert hat.

Staatsanwalt Thomas Hansjakob: «Die Internetüberwachung von Verdächtigen in Echtzeit macht meist keinen Sinn, da viel zu viele Daten anfallen.»
Staatsanwalt Thomas Hansjakob: «Die Internetüberwachung von Verdächtigen in Echtzeit macht meist keinen Sinn, da viel zu viele Daten anfallen.»Bild: johnny the horse
Unter Vorratsdatenspeicherung versteht man die systematische Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten aller Bürger ohne Verdacht auf eine Straftat. Bislang müssen Swisscom, Sunrise, Orange und andere Zugangs-Provider speichern, wer wo wann und mit wem kommuniziert – nicht aber die Inhalte der SMS oder E-Mails.



Mit Hilfe der auf Vorrat gespeicherten Daten lassen sich – ohne dass auf den Inhalt der Gespräche, SMS etc. zugegriffen wird – Beziehungsnetze sowie Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellen. Die Vorratsdatenspeicherung vermindert die Anonymität im Internet und stellt für Datenschützer eine Vorstufe zur Telekommunikationsüberwachung dar.



Der Bundesrat will die Vorratsspeicherung von sechs Monaten auf ein Jahr ausweiten, um den Strafverfolgungsbehörden mehr Zeit für ihre Untersuchungen zu geben. Nebst Swisscom und Co. sollen künftig auch Schweizer E-Mail-Provider, Cloud-Anbieter, Kurznachrichten-Apps wie Threema und Anbieter von öffentlichen WLANs wie Restaurants die Nutzerdaten speichern. Insbesondere Jungparteien, die Piraten und Netzaktivisten wie die Digitale Gesellschaft wehren sich dagegen.

Mit der Vorratsdatenspeicherung wird die gesamte Bevölkerung überwacht. Werden auch Touristen erfasst?
Ja. Alle Verbindungsdaten, die über Schweizer Mobilfunknetze gehen, werden gespeichert.

Seit 2002 wird bei uns die Handykommunikation flächendeckend überwacht. Jetzt wollen Sie Verdächtige zusätzlich mit Spionage-Programmen wie Trojanern auf dem Smartphone und Computer überführen. Woher haben Sie diese Überwachungs-Programme?
Die wenigen Anbieter solcher GovWare (Government Software) kommen mit einer Ausnahme aus dem Ausland. Die Vorstellung, dass die Behörden einen Trojaner ab Stange kaufen können, ist völlig falsch. Die Programme müssen in jedem einzelnen Fall an das Betriebssystem, die zu überwachenden Kommunikations-Programme und den Virenscanner angepasst werden.

Wie wollen Sie garantieren, dass eine Überwachungssoftware aus dem Ausland nicht plötzlich die Schweizer Behörden selbst ausspioniert?
Wir verlangen von den Anbietern den Quellcode, um die Funktionsweise nachvollziehen zu können. Wir brauchen einen grossen Lieferanten aus dem Ausland, da der Aufwand für GovWare gewaltig ist. Die Überwachungs-Software muss zum Beispiel laufend an aktualisierte Virenscanner angepasst werden.

Hier finden Sie die ganze Serie

Ein Trojaner ist unheimlich mächtig. Er kann die Festplatte durchwühlen, den Nutzer per Webcam ausspionieren, den Bildschirm abfilmen, das Mikrofon einschalten und heimlich mithören. Wie soll der Missbrauch verhindert werden?
Ein von uns eingesetzter Trojaner darf nur den Internet-Verkehr überwachen. Etwa Skype-Gespräche, E-Mails und Webseiten. Wir dürfen keine Daten auf dem Gerät abgreifen und für jeden Einsatz braucht der Staatsanwalt die Bewilligung des Zwangsmassnahmengerichts.

«Realistisch ist, dass wir den Verkehr über Skype, WhatsApp oder Viber überwachen.»

Anders gesagt: Wir müssen Ihnen vertrauen, dass die Schweiz mit Spionage-Werkzeugen wie sie die NSA hat nicht zum gleichen Überwachungsapparat mutiert?
Die Befürchtung, dass wir mehr überwachen, als wir dürfen, ist nicht berechtigt. Realistisch ist, dass wir den Verkehr über Skype, WhatsApp oder Viber überwachen. Dass wir etwa Gigabytes an Daten von der Festplatte herunterladen, wäre schon rein technisch nicht möglich, weil die Übertragungskapazitäten der Mobilnetze dafür gar nicht ausreichen. Die Polizei hat auch in anderen Bereichen mehr Möglichkeiten, als sie einsetzen darf. Wir können Autos mit GPS-Sendern verfolgen. Auch hierfür braucht es eine richterliche Bewilligung. Ohne Genehmigung macht die Polizei keine GPS-Überwachung, da sie die Beweise nicht verwenden darf.

Was kostet der Staatstrojaner?
Ein GovWare-Einsatz kommt fünf bis zehn Mal teurer zu stehen als die Internetüberwachung in Echtzeit, die 2500 Franken pro Fall kostet. Die Internetüberwachung von Verdächtigen in Echtzeit macht meist keinen Sinn, da viel zu viele Daten anfallen. Der zeitliche Aufwand ist extrem gross, in der Datenflut die vielleicht eine belastende E-Mail zu finden. Deshalb ist die Befürchtung, solche Programme könnten auch zur Aufklärung einfacherer Delikte eingesetzt werden, völlig unbegründet. Den Aufwand kann man sich nur bei schwersten Delikten leisten.

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