Die SwissCovid-App galt einst als die grosse technische Innovation im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Mittlerweile hört man von ihr jedoch kaum etwas – obwohl die Positivitätsrate bei rekordhohen 50 Prozent (!) liegt. Das Virus zirkuliert in einer noch nie beobachteten Geschwindigkeit und verschärft das Risiko von schweren Erkrankungen. Nach wie vor landen jede Woche hunderte Personen aufgrund einer Covid-Infektion im Spital – die meisten von ihnen sind älter als 50 Jahre.
Die App SwissCovid erfasst, wer mit wem eng zusammen war – sie tut dies besonders datenschutzkonform und mit nachvollziehbarem Erfolg: Jeden Tag aktivieren gegen 1000 infizierte Menschen via SwissCovid-App das Contact-Tracing. Mehrere hundert Menschen konnten so täglich vor ansteckenden Kontakten gewarnt werden. Gerade jetzt, wo die Fallzahlen wieder ansteigen, überlegt sich der Bundesrat jedoch ein vorzeitiges Aus für die App.
Die Landesregierung erklärte am Montag im Nationalrat: «Studien zeigen, dass sich dieses Instrument in vielen Fällen als nützlich erwiesen hat und Infektionsketten unterbrochen werden konnten. Im Hinblick auf die Aufhebung der noch geltenden Massnahmen ab dem 1. April 2022 prüft der Bundesrat die Möglichkeit, die SwissCovid-Anwendung zu sistieren.» Diese Stellungnahme erfolgte während der Fragestunde auf einen Vorstoss der Genfer Nationalrätin Léonore Porchet (Grüne). Ursprüngliches Offline-Datum war der 31. Dezember 2022: An diesem Tag verliert die SwissCovid-App ihre rechtliche Grundlage im Epidemiengesetz.
Die Pläne über ein vorzeitiges Aus überraschen angesichts der Tatsache, dass die App funktioniert und eine der einfachsten Massnahmen in der Bekämpfung der Pandemie ist. Sie dürften damit zusammenhängen, dass die App heute kaum mehr eine Bedeutung hat. Selbst dann nicht, wenn Infizierte einen Nutzen in ihr sehen: Nur gerade fünf Prozent aller positiv getesteten Personen aktivieren mit einem «Freischalt-Code» den digitalen Warn-Mechanismus. Die grosse Mehrheit dürfte schlicht überfordert sein, wie mehrere Betroffene berichten und mit Dokumenten bestätigen.
So erzählt etwa watson-Leserin Viktoria, die sich Ende Februar angesteckt hat und mehrere Tage flach lag: «Ich habe versucht, alles richtig zu machen – einen SwissCovid-Code erhielt ich aber nicht. Weder vom Testzentrum, noch vom kantonalen Contact-Tracing.» Ihre Erzählung überrascht angesichts der Tatsache, dass es eigentlich automatisch funktionieren müsste: Das BAG stellt Testzentren, Apotheken und Kantonen seit Dezember eine technische Schnittstelle zur Verfügung, die den ganzen Prozess automatisieren könnte.
Die Automatik scheitert jedoch an der Benutzerführung, in der Fachsprache auch «User Experience» genannt. Wer ein positives Test-Resultat erhält, bekommt nicht automatisch auch den Covid-Code zugestellt – er muss von den Infizierten selbst beantragt werden. In der Praxis wird das so umgesetzt, dass Erkrankte ein längeres Formular fürs Contact-Tracing digital ausfüllen müssen – so zumindest in den Kantonen Zürich, Schaffhausen, Schwyz und Thurgau. Im Formular wird auch die Frage gestellt, ob man einen solchen SwissCovid-Code möchte. Einen Hinweis, wofür man das genau braucht, fehle jedoch.
Erstellt wurde das Formular von der Pfäffiker Firma JDMT. Ihr Geschäftsführer Andreas Juchli sagt: «Sicherheitsanforderungen verlangen, dass wir die betroffenen Personen ausdrücklich danach fragen.» Sprich: Es ist alles gesetzeskonform. Auch der Bundesrat und das Parlament wollten es so – von einem automatisierten Versand der Codes war bei der Erarbeitung des SwissCovid-Gesetzes nie die Rede.
Das schafft aus heutiger Sicht ein gewisses Paradoxon: Die SwissCovid-App ist nach wie vor auf über 1,3 Millionen Schweizer Handys installiert – wenn es aber darum geht, nach einer Infektion die App auch aktiv mit einem Warn-Code zu nutzen, haperts. Vom BAG ist dazu eine gewisse Ratlosigkeit zu hören: Man könne nicht genau sagen, wo das Problem liegt. «Wir stellen aber fest, dass zurzeit pro Tag ungefähr 1300 Covid-Codes in die SwissCovid-App eingegeben werden, was dafür spricht, dass das System grundsätzlich gut funktioniert», heisst es vom Bundesamt weiter.
Die tiefe Bereitschaft zur aktiven Teilnahme ist jedoch nicht die einzige Baustelle: So fehlt bis heute eine Anpassung der App-Parameter auf bestimmte Coronavirus-Varianten wie Omikron: Mit solchen Einstellungen wird justiert, wie lange eine infizierte Person ansteckend ist – und während welcher Zeit eine mögliche Ansteckungsgefahr für Drittpersonen herrscht. Vom BAG heisst es dazu: «Die Diskussion über die Anpassung der Parameter fand statt, wurde aber aus verschiedenen Gründen – unter anderem wegen der Entwicklung der epidemiologischen Situation rund um Omikron – nicht priorisiert. Diese Analyse wird Teil der Gesamtbewertung sein, die nun beginnt.»
Dieses «Vor-sich-hinschieben» fiel auch den Entwicklerinnen und Entwicklern der App auf. Im Team herrsche eine gewisse Ratlosigkeit über die Zukunft der App – «vom BAG kommt nichts», sagte vor Wochen eine involvierte Person, die nicht namentlich zitiert werden möchte. Entwickelt wird die App von der Zürcher Firma Ubique. Sie erhielt im Januar vom BAG eine Vertragsverlängerung in der Höhe von rund 2,5 Millionen Franken für dieses – und möglichen drei weiteren Millionen Franken fürs nächste Jahr. Der grösste Betrag davon fliesst in die Zertifikats-App und die dahinter stehenden Systeme, nur ein kleiner Brocken ist für SwissCovid reserviert.
2 Jahre pandemie, hochansteckende varianten - noch kein einziger "near miss" in der app angezeigt bekommen...
es wäre eine so elegante, wenig beeinträchtigende varaiante der pandemiebekämpfung gewesen und sie scheiterete schlicht an einem unfähigen bürokratieapparat...