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Schweiz: Bund denkt über Steuern für Social Media nach

Facebook, Insta und X besteuern? Der Bund denkt darüber nach

Nach der Meinung von Schweizer Steuerexperten müssten Social-Media-Plattformen Mehrwertsteuer abliefern. Nun zeigt sich: Die Eidgenössische Steuerverwaltung arbeitet an einer Auslegeordnung. Doch ein Knackpunkt bleibt.
15.04.2025, 11:1015.04.2025, 11:10
Maurizio Minetti / ch media
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Sie heissen Instagram, Facebook, Linkedin, Tiktok oder schlicht X: Social-Media-Plattformen werden in der Schweiz seit Jahren von Jung und Alt genutzt. Millionen von Menschen scrollen, liken, posten und sharen jeden Tag – und das kostenlos. Der stillschweigende Deal zwischen Internetgiganten und Nutzern ist allen klar: Die User bezahlen nicht mit Geld, sondern mit personenbezogenen Daten. Diese Daten dienen den Firmen als Grundlage für milliardenschwere Werbeeinnahmen.

Social-Media-Apps auf dem Smartphone.
Social-Media-Plattformen werden in der Schweiz rege genutzt.Bild: Shutterstock

Aus der Sicht des Staates ist die Angelegenheit aber nicht so einfach. «Was zwischen solchen Plattformen und den Nutzern stattfindet, könnte je nach Umständen als Leistungsaustausch betrachtet werden», sagt Ralf Imstepf von der Eidgenössischen Steuerverwaltung ESTV. Der Punkt: Ein Leistungsaustausch unterliegt normalerweise der Mehrwertsteuer – doch Social-Media-Plattformen bezahlen diese nicht. «Wenn ich zum Coiffeur gehe, erhalte ich einen Haarschnitt im Austausch für Geld. Darauf muss der Coiffeursalon Mehrwertsteuer bezahlen», erklärt Imstepf. Bei Social Media könnte man zum Schluss kommen, dass es eine Gratisnutzung im Austausch für Daten gebe, erklärt der Co-Leiter der Rechtsabteilung Mehrwertsteuer.

In Fachkreisen wird schon seit Jahren darüber diskutiert, ob es nicht angebracht wäre, Social-Media-Plattformen zu besteuern. Die Debatte wurde vor ungefähr zehn Jahren im Zuge der damaligen Eurokrise in Deutschland und Österreich angestossen, versandete dann aber wieder. Später ging Italien in die Offensive. Das südliche Nachbarland fordert nun von drei US-Giganten nachträglich über eine Milliarde Euro an Mehrwertsteuer: 887,6 Millionen Euro von der Facebook- und Instagram-Mutterfirma Meta, 12,5 Millionen Euro von X und rund 140 Millionen Euro von der Business-Plattform Linkedin, die zu Microsoft gehört. Über diese «beispiellose Mehrwertsteuerforderung» hat Reuters Ende März berichtet. Die zugestellten Steuerbescheide beziehen sich offenbar auf verschiedene Zeitperioden zwischen 2015 und 2022.

Internetkonzerne geben sich wortkarg
In Bezug auf das italienische Verfahren hielt Meta gegenüber Reuters fest, dass man «voll und ganz mit den Behörden bei der Erfüllung unserer Verpflichtungen nach EU- und lokalem Recht» kooperiert habe. Man lehne jedoch «die Idee, dass die Bereitstellung des Zugangs zu Online-Plattformen für Nutzer der Mehrwertsteuer unterliegen sollte, entschieden ab.» Auf Anfrage dieser Zeitung reagierten Meta, X und Tiktok nicht. Eine Linkedin-Sprecherin sagte, man habe zu dem Thema derzeit keine weiteren Informationen zu teilen. Snapchat wollte ebenfalls keinen Kommentar abgeben. (mim)

Dieses Verfahren beobachtet man in Europa mit grossem Interesse – vor allem auch vor dem Hintergrund des aktuellen Zollstreits mit den USA. Die potenzielle Besteuerung der meist amerikanischen Plattformen wäre ein mögliches Pfand in der Hand der Europäer. Tatsächlich steht eine wie auch immer geartete Digitalsteuer derzeit in Europa im Raum.

Wie viel sind die Daten wert?

Neben dem aktuellen Verfahren in Italien und der politischen Sprengkraft im Zusammenhang mit den US-Zöllen gibt es zumindest in der Schweiz weitere Aktualitäten in diesem Zusammenhang: Im März ist nämlich die Dissertation des Juristen Philip Frey erschienen, die exakt dieser Frage nachgeht. Der Titel: «Mehrwertsteuerliche Behandlung elektronischer Dienstleistungen ohne Geldzahlung. Daten als Gegenleistung».

Im Gespräch räumt Frey ein, dass es in Juristenkreisen verschiedene Meinungen zu diesem Thema gibt. Seit Veröffentlichung seiner Dissertation habe er aber viel Zuspruch erhalten. Dabei bezieht Frey nicht Stellung. «Ich sage nicht, ob Social-Media-Plattformen Mehrwertsteuer bezahlen müssen oder nicht, aber ich lege dar, auf welchen Grundlagen dies geschehen könnte.» Rein theoretisch, so Frey, könne man gemäss geltendem Recht zum Schluss kommen, dass Social-Media-Plattformen Mehrwertsteuern abliefern müssten. Die Daten im Austausch für die Nutzung der elektronischen Dienstleistungen seien nichts anderes als ein Substitut für Geld. Das Kernproblem ist aber: Wie viel sind die Daten wert? Diese Frage ist wichtig, denn man kann keine Steuern erheben, wenn man die Bemessungsgrundlage nicht kennt.

Auf diese Frage gebe es keine einfache Antwort, sagt Frey. «Jeder Ökonom käme auf ein anderes Ergebnis.» Er selbst macht in seiner Dissertation Vorschläge, wie man die Bewertung vornehmen könnte. Zum Beispiel: Man könnte die Marktpreise für von Datenhändlern angebotene Datensätze oder die digitalen Umsätze aus personalisierter Werbung als Basis nehmen. Ein anderer Ansatz dreht sich um die Kosten der Anbieter elektronischer Dienstleistungen: Wie viel Geld muss eine Social-Media-Plattform investieren, um die Daten ihrer Nutzer zu sammeln und auszuwerten? Eine weitere Möglichkeit wäre, nicht die einzelnen Datensätze, sondern die erbrachten Dienstleistungen der Plattformen zu bewerten. Wie viel verlangt ein anderer Anbieter für eine vergleichbare elektronische Dienstleistung?

Wegen der Komplexität in Bezug auf die Bewertung könnte man auch mit Pauschalen operieren – was bei der Mehrwertsteuer durchaus üblich ist. So wird zum Beispiel in der Banken- und Versicherungsbranche oder bei Zinseinnahmen und Einnahmen aus dem Handel mit Wertpapieren mit Pauschalen gearbeitet. Was die Umsetzbarkeit betrifft, hat Frey kein Patentrezept. Sein Fazit: «Rein theoretisch müssten die Plattformen Mehrwertsteuer bezahlen, doch in der Praxis gibt es Umsetzungsprobleme, weil unter anderem nicht klar ist, wie viel die Daten ihrer Nutzer wert sind.»

Bund dürfte nächstes Jahr Stellung beziehen

In der Eidgenössischen Steuerverwaltung steht die Besteuerung von Social-Media-Plattformen nicht auf der Agenda. Das teilrevidierte Mehrwertsteuergesetz ging Anfang Jahr ohne jeglichen Bezug zu diesem Thema in Kraft. «Die ESTV analysiert jedoch selbstverständlich die internationalen Entwicklungen zu diesem Thema», sagt Ralf Imstepf zurückhaltend. Doch Imstepf sagt gleichzeitig, dass die ESTV «an einer internen Auslegeordnung» arbeite. Bisher könne man aber noch nicht sagen, ob ein steuerbarer Vorgang vorliege. Es bestehe eher die Meinung, dass keine Steuer erhoben werden müsse.

Einer, der eine klare Meinung zum Thema hat, ist Thomas Hug. Der diplomierte Steuerexperte ist Partner bei Deloitte Schweiz. Bereits 2020 schrieb er in einem Aufsatz, dass Daten durchaus ein Vermögenswert seien. «Damit liegt ein mehrwertsteuerlich relevantes Leistungsverhältnis vor», so Hug. Heute, fünf Jahre später, hat er seine Meinung nicht geändert. Wie die anderen Experten betont aber auch Hug, dass die Umsetzung schwierig wäre. «Der Wert von Daten für die Bemessung der Mehrwertsteuer kann nur schwer ermittelt werden», so Hug. Sein Fazit ist aber dennoch klar: «Falls der Wert ermittelt werden kann, sollte die Eidgenössische Steuerverwaltung die Mehrwertsteuer auf solchen digitalen Leistungen erheben.»

Sollte die Steuerverwaltung dereinst zum Schluss kommen, dass ein Leistungsverhältnis und damit ein Steuerverhältnis besteht, käme das Thema in einen Expertenausschuss und allenfalls später in eine öffentliche Konsultation. Danach könnte der Bund seine Interpretation publizieren. «Ab dann müssten Social-Media-Plattformen allenfalls die Mehrwertsteuer bezahlen», sagt Imstepf. Es werde aber sicher 2026 werden, bis sich die ESTV zu dieser Frage äussern könne.

Unabhängig davon könnten Mitglieder des Bundesparlaments oder Initianten von sich aus die Thematik in die Hand nehmen und so Klarheit schaffen. Ob dies angesichts der aktuellen geopolitischen Situation opportun ist, steht auf einem anderen Blatt. (aargauerzeitung.ch)

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49 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ich-möchte-verstehen
15.04.2025 12:00registriert April 2022
Die Daten der Nutzer als Bemessungsgrundlage für Steuern anzuwenden ist viel zu kompliziert. Ich denke es ist einfacher und nützlicher die Werbeeinnahmen aus dem jeweiligen Land als Grundlage für die Besteuerung anzuwenden.
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H.P. Liebling
15.04.2025 12:09registriert September 2018
Wieder einmal "denkt der Bund darüber nach"... dabei wäre die Besteuerung nur eines: überfällig!
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Fernrohr
15.04.2025 11:25registriert Januar 2019
Von Gerhard Pfister (Mitte) weiss ich, dass Aussagen wie "man denke darüber nach", gleichbedeutend ist wie "vergesst es!".
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