Es gibt kaum eine Branche, die so gebannt auf die neuste Zuckung von Donald Trump blickt wie die Pharmaindustrie. Der US-Präsident droht regelmässig mit Zöllen auf Arzneimitteln. Zuletzt meinte er, er werde solche «wahrscheinlich» zum Monatsende verkünden. Um dieses Horrorszenario zu umgehen, haben die beiden Schweizer Schwergewichte Roche und Novartis bereits Investitionen in atemberaubender Höhe nach Amerika verlagert. Der Schweizer Forschungs- und Produktionsstandort könnte längerfristig das Nachsehen haben.
Dass es auch anders geht, zeigen der Biotechnologiekonzern CSL mit Produktionsstandort in Bern und das Burgdorfer Medizintechnikunternehmen Ypsomed. Sie sind eine Partnerschaft eingegangen, um mit Schweizer Expertise ein hochspezialisiertes Medikament herzustellen.
Es handelt sich um ein Mittel zur Prävention wiederkehrender Attacken des sogenannten hereditären Angioödems. Die seltene Erbkrankheit führt bei Betroffenen regelmässig zu starken Schwellungen und kann lebensbedrohlich sein. In der Schweiz leben rund 160 Menschen damit. Sie können nun Hoffnung schöpfen: Im Februar 2025 hat die Schweizer Behörde Swissmedic das neue Medikament zugelassen. Dieses können sich die Patienten einmal monatlich selbst verabreichen. Derzeit laufen die Preisverhandlungen mit dem Bundesamt für Gesundheit.
Der Clou: Während der Wirkstoff aus der CSL-eigenen Forschung stammt, kommt die «Verpackung» aus Burgdorf. Dort produziert die Firma Ypsomed von Unternehmer und FDP-Nationalrat Simon Michel Pens und Autoinjektoren. Diese erlangten mit dem Hype um die Abnehm-Spritzen eine breitere Bekanntheit. Bei einem Autoinjektor handelt es sich um eine Art Stift – auch Pen genannt –, mit dem flüssige Medikamente sicher gespritzt werden können.
Für das Medikament bietet Ypsomed einen Autoinjektor an, bei dem die Nadel nicht sichtbar ist. Der Patient drückt den Stift auf die Haut, worauf ein kurzer Klick anzeigt, dass die Injektion beginnt. Sobald es erneut klickt, ist der Vorgang abgeschlossen. Das dauert wenige Sekunden. «Wer sich nur einmal im Monat eine Dosis verabreichen muss, schätzt diese einfache Handhabung ohne sichtbare Nadel», sagt Michel. «Für uns steht im Mittelpunkt, dass die Anwendung für Patientinnen und Patienten möglichst einfach und unkompliziert ist – sei es auf Reisen oder im Alltag», ergänzt Isabelle Dahinden, General Manager von CSL Behring Schweiz.
Die Kooperation zwischen Bern und Burgdorf ist für Simon Michel ein «Glücksfall»: «Wir arbeiten weltweit mit über 140 Pharmaunternehmen zusammen. Es kommt selten vor, dass wir ein Projekt mit einem Nachbarn aus der Schweiz realisieren können», sagt Michel. Die Vorteile lägen auf der Hand: kurze Lieferwege, Ansprechpartner vor Ort, direkter Zugriff auf die hiesige Expertise.
Das Produkt liess sich indes nicht gänzlich in der Schweiz entwickeln und herstellen. Dazu sind die heutigen Forschungs- und Produktionsprozesse zu komplex. Den Wirkstoff entwickelten Forscherinnen und Forscher des australischen Konzerns CSL in ihren Labors, welche weltweit, auch in der Schweiz, verteilt sind. Hergestellt wird der Wirkstoff am Produktionsstandort von CSL Behring im deutschen Marburg. Die Ingenieure von Ypsomed arbeiteten hauptsächlich in Burgdorf. Dort werden die Injektionsgeräte auch hergestellt.
Sowohl Simon Michel als auch Isabelle Dahinden betonen, wie wichtig die Schweizer Fertigung für das globale Netzwerk ist. Die Firma CSL Behring, die zum australischen Konzern CSL gehört, beschäftigt weltweit rund 32’000 Angestellte. In Bern stellt sie als einer der grössten lokalen Arbeitgeber Produkte aus menschlichem Blutplasma für den Weltmarkt her. Die Forschungsabteilung wurde jüngst von Bern nach Zürich verlegt.
Simon Michel beschäftigt bei Ypsomed weltweit über 2800 Angestellte. Gut zwei Drittel davon arbeiten in Burgdorf und Solothurn. Der Rest in Deutschland, China – und bald auch in den USA. Dort plant die Firma eine neue Produktionsstätte. «Nicht wegen Donald Trump», betont der Ypsomed-Chef. Vielmehr müsse man aus ökologischen Gründen näher an die Absatzmärkte ran, um die Klimaemissionen runterzubringen.
Das Geschäft mit den Autoinjektoren läuft bestens. Pro Jahr stellt der Unternehmer rund 400 neue Mitarbeitende ein, gut die Hälfte davon in der Schweiz. In den nächsten zwei Jahren will Michel in der Schweiz eine Viertelmilliarde Franken in neue Produktionskapazitäten investieren.
Trotz beträchtlicher Anstrengungen, den Herstellungsprozess nachhaltiger zu gestalten, steht Ypsomed vor einer grossen Herausforderung. Denn nicht nur die Produktion muss nachhaltiger werden, sondern auch das Produktdesign. «Wir müssen unsere Pens und Autoinjektoren so entwickeln, dass sie vollständig wiederverwertbar sind», sagt der Unternehmer.
Im Moment ist es möglich, aus einem bestehenden Pen oder Autoinjektor wieder ein Plastikprodukt herzustellen – sofern die Geräte zurückgebracht würden. «Das reicht aber nicht», sagt Michel, «wir müssen erreichen, dass aus einem Pen auch wieder ein Pen wird». Dazu muss das Produkt in die einzelnen Teile zerlegt und die verschiedenen Kunststoffe getrennt voneinander wiederaufbereitet werden. Zudem müssen weltweite Rückholsysteme aufgebaut werden. «Das dauert noch mindestens fünf Jahre», sagt Michel. Ypsomed will aber noch diesen Herbst ein erstes wiederverwertbares Produkt vorstellen.
Zu reden geben dürfte noch der Preis für die neue Therapie gegen die seltene Erbkrankheit. In Deutschland geht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen davon aus, dass eine Jahresbehandlung pro Patient über 260’000 Euro kosten wird. Das Bundesamt für Gesundheit muss also hart verhandeln – Swissness hin oder her. (aargauerzeitung.ch)