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Wie die im Internet bestellten Drogen unters Schweizer Volk kommen

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Über Plattformen wie Telegram wickeln Drogenhändler skrupellos ihre kriminellen Deals ab.symbolBild: Roman Budnyi / Getty

Tote Briefkästen: Wie die im Internet bestellten Drogen unters Volk kommen

Über Plattformen wie Telegram wickeln Drogenhändler skrupellos ihre kriminellen Deals ab. Sie setzen auf willige Helfer, alte Methoden und neue Tricks, um ihr teures Gift an die Leute zu bringen.
30.10.2024, 21:30
Henry Habegger / ch media
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Die Frau wurde an einem Juniabend 2020 in Zürich von der Polizei verhaftet. Sie war, wie die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat später in der Anklageschrift festhielt, mit ihrem Alfa Romeo Kurierin für einen «Bestell- und Lieferdienst für Drogen auf Telegram» unterwegs. Im Auto hatte sie unter anderem zwei auslieferbereite kleine Portionen Kokain in Minigrip-Säckchen. An ihrem Wohnort wurden Betäubungsmittel wie Kokain, Marihuana, Ecstasy, Amphetamin und LSD im Wert von 24'000 Franken sichergestellt, die sie an Abnehmer in der Region Zürich ausliefern und teilweise selbst konsumieren wollte.

Aus der Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft: Auszug aus einer Liste von Drogenportionen, die bei einer Kurierin beschlagnahmt wurde. Sie arbeitete für ein Telegram-Drogennetzwerk.
Aus der Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft: Auszug aus einer Liste von Drogenportionen, die bei einer Kurierin beschlagnahmt wurde. Sie arbeitete für ein Telegram-Drogennetzwerk.Bild: screenshot

Nach 282 Tagen Haft wurde die Rumänin im März 2021 vom Bezirksgericht wegen Betäubungsmitteldelikte zu 20 Monaten bedingt und einer Busse von 500 Franken verurteilt. Das Gericht ordnete die Vernichtung der mehreren Dutzend sichergestellten Plastiksäckchen an, die lieferbereite Drogen verschiedenster Art enthielten.

Die Frau hatte für das Drogennetzwerk gearbeitet, das sich «Vitamintaube» nannte. Das war eine jener Telegram-Gruppen, die Drogen aller Art in der Schweiz vertreiben. Von Cannabis und Amphetaminen über Kokain bis hin zu Fentanyl – alle möglichen Betäubungsmittel können über öffentlich zugängliche Kanäle bestellt werden, wie Recherchen von CH Media zeigen.

Feierabend-Kurier lassen sich von Unbekannten einspannen

Pro «Einheit», die sie auslieferte, hatte die Zürcher Kurierin vom Drogennetzwerk zuerst 5, dann 10 Franken erhalten. Die Frau sammelte bei den Abnehmern das Geld ein und leitete es in Form von Bitcoins an ihre unbekannten Auftraggeber weiter.

Im Januar 2023 wurde im selben Fall «Vitamintaube» ein weiterer Kurier verurteilt: Ein Jungunternehmer aus der Westschweiz, der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war und zum Feierabend-Drogenkurier wurde. Angeheuert wurde er über Telegram, er verdiente rund 22'000 Franken mit den Kurierfahrten. Auch er wusste nicht, wer seine Auftraggeber waren. Auch bei ihm kamen die Drogen vorportioniert per Post, der Kurierlohn kam bar oder in Bitcoin. Der Mann zeigte sich reuig und erhielt eine bedingte Strafe von 2 Jahren, plus eine unbedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 80 Franken.

Während die Feierabend-Kuriere auffliegen oder im Stau stehen, bleiben die Dealer, die Drahtzieher selbst im Dunkeln. Das Geschäft läuft weiter, die vertriebenen Mengen an Drogen in der Schweiz werden immer grösser, ebenso wie das Drogenelend.

Telegram-Kokainhändler liefert in die «ganze Deutschschweiz». Ein Gramm kostet 100 Franken, 10 Gramm gibts für 650.
Telegram-Kokainhändler liefert in die «ganze Deutschschweiz». Ein Gramm kostet 100 Franken, 10 Gramm gibts für 650.Bild: Screenshot Telegram

Kiloweise Kokain bot im Frühling und Sommer 2024 beispielsweise ein angeblicher Nachfolge-Kanal der «Vitamintaube» auf Telegram in einer «Werbeaktion» an: Maximal 3 Kilo pro Kunde gab es für 33'000 Franken. Die Grossdealer warben mit einer besonderen Dienstleistung: Sie boten an, das kiloweise erworbene Kokain für den Kunden «sicher aufzubewahren» und es ihm «auf Abruf» in der gewünschten Menge nach und nach auszuliefern. Dies in der ganzen Schweiz. «Sie zahlen nur 50 Franken für die Versandkosten», priesen die Gangster ihren Service an.

Tote Briefkästen und «My Post 24»-Automaten

Auf einem anderen Telegram-Kanal warnt ein Vermittler seine Kundschaft vor Sendungen aus dem Ausland, weil da «bei Zollkontrollen eine Hausdurchsuchung» drohe. Wer trotzdem im Ausland bestelle, dem werde «dringend» die Benutzung einer «anonymen Adresse», eines «toten Briefkastens» empfohlen. Also ein Versteck oder Ablageort, der nur dem Absender und dem Empfänger der Ware bekannt ist. Eine alte Geheimdienstmethode, auch beliebt bei Drogenhändlern.

Klassisch: Kokain im Minigrip-Beutel.
Klassisch: Kokain im Minigrip-Beutel.symbolBild: Peter Dazeley / Getty

Als Alternative empfiehlt dieser Drogenschieber, die illegale Ware an eine «Phished oder Faked MyPost24 Packstation» zu liefern. Also an einen Paketautomaten der Post.

Die Drogenlieferung über «My Post 24»-Automaten scheint beliebt: Auf den einschlägigen Telegram-Kanälen ist jedenfalls immer wieder die Rede davon. Fast so oft wie von den SBB-Automaten als Zapfsäulen für Kryptogeld.

In den Drogen-Kanälen bieten Vermittler denn auch «geknackte» «My Post 24»-Accounts an, mit denen sich Benutzer angeblich für die Post-Dienstleistung registrieren können. So sei das anonyme Versenden und Empfangen möglich.

Auf einem der Kanäle schrieb ein Drogenvermittler: «Möchtest du einen hacked Mypost24-Account? Bezahle mit Krypto und erhalte sofort deine Zugangsdaten.» Wer fünf dieser «hacked accounts» kaufe, erhalte 10 Prozent Rabatt auf dem Stückpreis von 140 Franken in Bitcoin. Auch Barzahlung «beim Treffen» sei möglich.

Post: «Uns sind keine solchen Aktionen bekannt»

Werden «My Post 24»-Konten wie von den Dealern behauptet geknackt und für Drogenhandel benutzt? «Uns sind keine solchen Aktionen bekannt, auch keine wie von Ihnen erwähnten missbräuchlichen Aktivitäten», stellt Post-Mediensprecher Stefan Dauner auf Anfrage fest. «Im Übrigen gibt es keine ‹My Post 24›-Accounts. Wer bei der Post die Dienstleistungen eines ‹My Post 24›-Automaten nutzen möchte, tut dies via Kundenlogin der Post mit der SwissID.»

Wie auch immer, die kriminelle Szene scheint immer einen Schritt voraus. Die Strippenzieher und Grossverdiener bleiben bisher unerkannt. Erwischt werden, wenn überhaupt, die kleinen Telegram-Fische. (aargauerzeitung.ch)

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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Glücklich
31.10.2024 08:54registriert August 2022
Ein gutes Geschäft welches sich niemals mit Verboten eindämmen lassen wird.

Drogen wurden früher, heute und sie werden auch morgen genomnen, ob legal oder illegal spielt keine Rolle.

Legalisiert endlich das Zeugs und investiert in Aufklärung und Prävention.
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