
Sag das doch deinen Freunden!
Bundesrichter halten sich normalerweise in den Medien zurück. Zu gross ist die Angst, sich dem Vorwurf der Befangenheit auszusetzen oder durch Einmischung in die Politik die Gewaltenteilung nicht zu respektieren. Bei der Durchsetzungsinitiative gehe es aber um eine so grundsätzliche Frage für die Schweizer Demokratie, dass er nicht schweigen könne, sagt Bundesrichter Thomas Stadelmann in einem Gastkommentar in der «Schweiz am Sonntag».
Die wichtigste Frage sei in der Debatte nämlich noch nicht gestellt worden: «Wie verträgt sich die Durchsetzungsinitiative mit unserem schweizerischen Verständnis von Demokratie?» Geht es nach Stadelmann widerspricht sie dem diametral.
Bundesrichter Stadelmann legt dar, dass man in der rechtsstaatlichen Demokratie der Schweiz bis anhin von einem pluralistischen Demokratieverständnis ausging. Dieses würde mit Annahme der Durchsetzungsinitiative ein jähes Ende finden.
Das hiesige Demokratieverständnis basiere darauf, dass trotz Mehrheitsentscheiden Minderheits- und Individualrechte jederzeit gewahrt und gewährleistet werden. Oder anders gewendet: «Ein – selbst mehrheitlich gefasster – Entscheid, der Minderheits- oder Individualrechte missachtet oder gar beseitigt, ist unzulässig und nicht mit dem bisher geltenden Konzept der schweizerischen Demokratie vereinbar», schreibt Stadelmann.
Dieses Prinzip würde laut dem Bundesrichter mit Annahme der Durchsetzungsinitiative verletzt. Stattdessen würde ein arithmetisches Konzept der Demokratie etabliert. Klartext: Ausschliesslich die Mehrheit entscheidet. Die Konsequenz davon gemäss Stadelmann: «Erachtet es die Mehrheit als angebracht, Minderheiten oder Individuen derartige Rechte nicht mehr zu gewähren, so kann sie diese jederzeit entziehen.»
Ginge es nach der Initiative, müsste ein Ausländer, der ein Delikt im weitgefassten Katalog des Initiativtextes beging, direkt ausgeschafft werden, ohne dass ein Richter seine individuelle Situation und seine Rechte – wie beispielsweise Verhältnismässigkeitsgrundsatz oder Recht auf Familie – würdigen würde.
Ein Beispiel: Ein Ausländer, der als Jugendlicher wegen Diebstahl und 8 Jahre später wegen eines groben Verkehrsdeliktes zu Geldstrafen verurteilt wird, müsste ausgeschafft werden – auch wenn in der Schweiz seine Frau und seine zwei kleinen Kinder leben, er hier geboren wurde und er nie in seinem Herkunftsland gelebt hat.
Auch wenn Stadelmann den Reflex, dass kriminelle Ausländer den Schutz unseres schweizerischen Rechtssystems nicht wirklich verdienen, nachvollziehen kann, warnt er: «Bei dieser Abstimmung wird über viel Grundsätzlicheres abgestimmt.» Eine Frage müssten wir uns stellen: «Wollen wir auf den Grundsatz verzichten, dass jeder Einzelne von uns im konkreten Einzelfall das Recht hat, seine ganz persönliche Situation durch einen Richter überprüfen zu lassen?»
Wenn wir beginnen würden, gewissen Gruppen solche Rechte zu entziehen, könnten Entscheide wie in Deutschland zu Nazi-Zeiten getroffen werden, insinuiert Stadelmann, als «ganzen Religionsgruppen bürgerliche Rechte aberkannt wurden». (rar)
DI nein, nein und nein!!!!!!