Am traditionellen ETH-Tag ist die Sorge um die zunehmende Isolierung der Schweiz unüberhörbar gewesen. ETH-Rektor Lino Guzzella rückte am Samstag die Denk-Kompetenz der Studierenden in den Vordergrund – und will diese fördern.
«Eine gute Hochschule vermittelt nicht primär Wissen, sondern die Fähigkeit zu denken», sagte Guzzella in Zürich in seiner Rede und nahm damit ein Thema auf, das ihm schon bei seinem Amtsantritt am Herzen lag. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssten ihren Forschungsansatz sorgfältig auswählen, dabei die Suchrichtung immer wieder justieren und ihre eigenen Resultate selbstkritisch prüfen.
Kritische Stimmen seien deshalb nicht nur zuzulassen, sondern sogar zu fördern, sagte Guzzella und erklärte, die ETH Zürich wolle das eigenständige Reflektieren noch verstärkt ins Curriculum ihrer Studierenden aufzunehmen, heisst es in einer Mitteilung.
Passend zur selbstkritischen Reflexion äusserte der Rektor seine Sorge über die zunehmende «Boulevardisierung» des Hochschulbetriebs. Am klarsten sichtbar sei diese bei den immer mehr um sich greifenden Rangierungslisten. «Eine gute Position in diesen Rankings ist das Nebenprodukt einer guten Hochschulentwicklung und nicht deren Ziel», erinnerte er.
Im Rückblick auf das Ja zur Zuwanderungsinitiative im Februar erklärte Guzzella, dass er als einer der Verantwortungsträger der ETH – trotz demokratisch zu akzeptierendem Volksentscheid – auf einen ungehinderten Zugang zum globalen Talentpool angewiesen sei.
Was dies in Zahlen bedeuten kann, erläuterte Martin Vetterli, Präsident des Nationalen Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds SNF: Die Schweiz, die 0,11 Prozent der Weltbevölkerung ausmache, produziere 1,2 Prozent der wissenschaftlichen Publikationen. Damit liege die Schweiz weltweit auf Platz 1 bezüglich Publikationen pro Kopf. Doch mehr als zwei Drittel aller erscheinenden Schweizer Publikationen hätten mindestens einen Autor oder eine Autorin aus dem Ausland.
Bei der diesjährigen Feier wurde zudem ETH-Präsident Ralph Eichler speziell geehrt, der nach sieben Jahren sein Amt 2015 an Lino Guzzella übergibt. In seiner Rede erinnerte der Geehrte daran, wie wichtig die Autonomie für jede Hochschule sei. «Keine Bundesbeamtin, kein ETH-Präsident kennt die Zukunft, somit müssen wir breit aufgestellt sein, um mögliche Entwicklungspfade auszuloten.»
Eine Gruppe von Studenten hat Beschwerde eingereicht gegen die ETH Zürich. Das bestätigt Benno Büeler, Präsident des Ecopop-Initiativkomitees, gegenüber der Zeitung «Schweiz am Sonntag». «Die Beschwerde kritisiert die einseitigen Informationen zu Ecopop durch die ETH-Administration und die Verwendung von ETH-Infrastruktur für parteiische Politwerbung», sagt Büeler.
Die ETH-Studenten selbst, die Beschwerde erhoben, kommen aus verschiedenen Abteilungen. Sie möchten anonym bleiben. Offenbar aus Angst vor negativen Konsequenzen bei Arbeiten, wie Insider sagen.
Den Studenten ist unter anderem ein Diskussionsabend aufgestossen, der am 10. November in den ETH-Räumlichkeiten stattfand. Die Redner: Rektor Lino Guzzella, Professor Nicolas Gruber und eine Studentin. Laut der Schweiz am Sonntag kritisieren die Studenten die ETH aber auch generell. Sie sei «keine neutrale Vordenkerin mehr, sondern das Sprachrohr der Elite». Als Schweizer habe man «an der ETH kaum mehr Chancen».
Die ETH selbst bestätigte, es habe eine «Informationsveranstaltung über die Folgen der Ecopop-Initiative» gegeben, wie Roman Klingler sagt, Leiter der Medienstelle. Organisiert gewesen sei sie «von den Studierenden und dem akademischen Mittelbau». Auch der Rektor sei beteiligt gewesen. «Alle ETH-Studierenden waren eingeladen und konnten sich selbstredend frei äussern.» Nicht äussern zur Beschwerde wollte sich die ETH-Beschwerdekommission. Sie unterstehe dem Amtsgeheimnis. (feb/sda)