Schweiz
Energie

Atommüll-Tiefenlager soll angeblich ins Zürcher Unterland kommen

Infografik der Nagra zum geplanten Atommüll-Tiefenlager.
Am Montag wird die Nagra offiziell bekanntgeben, wo sie radioaktiven Abfälle begraben will. Noch schweigen die Verantwortlichen, doch es deutet alles darauf hin, dass das Zürcher Unterland («Nördlich Lägern») betroffen ist. Der Entscheid wirft Fragen auf.Bild: Nagra

Atommüll-Tiefenlager soll ins Grenzgebiet zwischen Zürich und dem Aargau kommen

Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden das Zürcher Unterland und die drei Aargauer Gemeinden Fisibach, Schneisingen und Siglistorf am Montag als Standort für das «Endlager» bekannt gegeben. Die langjährige Gegnerin Astrid Andermatt spricht von einem abgekarteten Spiel.
09.09.2022, 07:0009.09.2022, 08:37
Fabian Hägler / ch media
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Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung Radioaktiver Abfälle (Nagra) gibt ihren Entscheid zwar erst am Montag bekannt, aber der ehemalige Nagra-Projektleiter André Lambert aus Baden ist sicher: Das Atomendlager soll in der Region Nördlich Lägern gebaut werden.

«Wenn ich die drei möglichen Standorte als Geologe betrachte, ist für mich klar: Es wird Nördlich Lägern sein. Das ergibt sich aus gewissen geologischen Kriterien und vor allem aus deren Gewichtung. Und ich höre auch aus vorinformierten Kreisen, dass Nördlich Lägern vorgeschlagen werden soll. Ganz sicher wissen wir es natürlich erst am Montag, aber aus meiner Sicht und nach meinen vertraulichen Informationen deutet alles darauf hin.»

Dass der strahlende Abfall der Schweizer AKW im Gebiet vergraben werden soll, zu dem die drei Aargauer Gemeinden Fisibach, Schneisingen und Siglistorf gehören, bestätigen laut «Tages-Anzeiger» auch weitere Experten.

Astrid Andermatt, ehemalige SP-Grossrätin aus Lengnau und Co-Präsidentin des Vereins «LoTi – Nördlich Lägern ohne Tiefenlager», kämpft seit Jahren gegen ein Endlager in der Region. Sie sagt, wenn die Wahl der Nagra tatsächlich auf ihr Gebiet fallen sollte, wäre dies eine grosse Überraschung für die Gegnerschaft. Andermatt:

«Nördlich Lägern fiel im Jahr 2015 aus der Auswahl, weil es in der gewünschten Tiefe keine genügend grosse Opalinuston-Schicht gibt, um das Lager zu bauen. Nun soll unsere Region auf einmal am besten geeignet sein von allen drei Standorten?»

Das sei für sie nicht nachvollziehbar, es sehe gar nach einem abgekarteten Spiel aus, kritisiert die SP-Politikerin. Andermatt: «Mir scheint, dass die Nagra von Nördlich Lägern als Zielstandort ausging und nun die Parameter und die Gewichtung der Kriterien geändert hat, damit unsere Region am besten abschneidet.» Das sei aus Sicht des Vereins Loti nicht seriös, man sehe keine haltbare Erklärung, «wie dieses Umschwenken zu Stande kommen könnte», kritisiert Andermatt.

Unabhängiger Experte erklärt
Der Geologe Marcos Buser, Entsorgungsexperte und Tiefenlager-Kritiker, hat eine Erklärung dafür, warum die Nagra vom Zürcher Weinland (offizielle Bezeichnung: Zürich Nordost) auf die Region Nördlich Lägern umgeschwenkt ist. Er sagt: «Es wurden zwei Kriterien neu gewichtet: Erstens die Tiefenerosion, die im Weinland ungenügend abgeklärt worden war, und sich nun als der Pferdefuss für diesen Standort herausstellt, während dem Nördlich Lägern nicht tangiert ist. Zweitens die Lagertiefe, ein kritisches Kriterium für Nördlich Lägern, das mit einer neuen Expertise über die Bautechnik aber ‹ausgeräumt› wurde.»

So sei eine neue Gewichtung zustande gekommen, erklärt der Nagra-Kritiker gegenüber watson. Und diese Umdeutung und Neubewertung von zwei Kriterien habe den Standort Nördlich Lägern in den Vordergrund gebracht. «Aber auch andere Kriterien könnten anders gewichtet werden, mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Der Entscheidungsprozess wurde nie sauber definiert.»
(dsc)

Teilnahme in Fachgruppen statt Demonstrationen

Werner Ebnöther aus Weiach ZH ist Vorstandsmitglied des Vereins Loti, er sagte am Donnerstag im «Tages-Anzeiger»: «Selbst wenn die Nagra in den nächsten Tagen Nördlich Lägern tatsächlich als Standort der Wahl bekanntgeben würde, erwarte ich in meiner Region keinen Proteststurm.» Auch der Widerstand gegen das Atomendlager im Aargauer Teil des Gebiets scheint erlahmt – die letzten Termine und Einträge auf Website und Facebook-Auftritt des Vereins stammen aus dem Jahr 2018.

Hat sich der Verein Loti im Vergleich zu anderen Organisationen wie «Kein Atommüll im Bözberg» zu wenig stark gegen einen Lagerstandort gewehrt? Co-Präsidentin Andermatt widerspricht und sagt: «Wir haben uns entschieden, weniger auf Demonstrationen und Proteste, sondern auf die Teilnahme am Partizipationsprozess zu setzen.» Vertreterinnen und Vertreter des Vereins waren in den Fachgruppen zur Sicherheit und zu den Oberflächenanlage dabei.

Widerstand in der Region Nördlich Lägern ist schwächer als anderswo

«Sie haben immer wieder Bedenken eingebracht und kritische Fragen gestellt», sagt Andermatt. Diese seien zwar zur Kenntnis genommen und auch beantwortet worden, «aber das hat offenbar alles nichts bewirkt, wenn das Lager jetzt doch in unserer Region gebaut werden soll», bedauert sie. Die SP-Vertreterin sieht noch andere Gründe, weshalb der Widerstand im Gebiet Nördlich Lägern weniger stark ist als am Bözberg oder im Zürcher Weinland:

«Es ist eine Tatsache, dass unsere Region verhältnismässig dünn besiedelt ist, die Bevölkerung ist ländlich geprägt und politisch mehrheitlich rechtsbürgerlich eingestellt.»

Zudem sei die Region relativ weit von der Stadt Zürich und anderen grösseren Agglomerationen entfernt, auch deshalb sei der Widerstand hier eher schwächer, erklärt Andermatt.

Gegner des Endlagers erst bei Rahmenbewilligung einspracheberechtigt

Sollte die Nagra am Montag bekanntgeben, dass sie das Endlager im Gebiet Nördlich Lägern bauen will, könnte das niemand anfechten. «Aber wenn es später um die Rahmenbewilligung geht, sind wir einspracheberechtigt», sagt Andermatt. Es ist davon auszugehen, dass der Verein diese Möglichkeit der Opposition auch nutzt.

Denn die SP-Politikerin befürchtet, am Ende laufe es auf einen Deal zwischen den Kantonen Aargau und Zürich heraus: das Lager im Gebiet Nördlich Lägern, die Verpackungsanlage beim Zwischenlager in Würenlingen. «Für uns ist klar: Dies können wir nicht akzeptieren, es fehlt an Transparenz, und es gibt keine unabhängige Stelle, die Alternativen geprüft hat», kritisiert Andermatt.

Quellen

(aargauerzeitung.ch)

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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-C-
09.09.2022 09:26registriert Februar 2016
Alle wollen Strom - aber die Anlage und Abfallprodukte bitte nicht so, dass sie nur die Andern tangieren.
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Zappenduster
09.09.2022 09:34registriert Mai 2014
Andere beklagen sich über Windräder und Solarpanels, bei uns will man 1 Million Jahre lang strahlenden Müll vergraben.
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