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Der Streit um die
Atomenergie hatte stets Züge eines Glaubenskrieges. Ihre
Anhänger propagieren sie als Garantin einer sicheren und sauberen
Stromversorgung. Für die Gegner handelt es sich um eine
brandgefährliche und erst noch teure Technologie. Eskaliert war die
Auseinandersetzung in der Schweiz in den 1970er Jahren mit der
Besetzung des Geländes, auf dem das – am Ende nie realisierte –
AKW Kaiseraugst gebaut werden sollte.
Mit 40 Jahren
Abstand scheint die Anti-AKW-Bewegung eine Art späten Triumph feiern
zu können. Das Parlament dürfte in der Energiestrategie 2050 ein
Verbot für neue Atomkraftwerke festschreiben – unter anderem
eine Spätfolge der Katastrophe in Fukushima vor fünf Jahren. Von
den bestehenden Werken wird Mühleberg 2019 vom Netz genommen. Beznau
1 ist seit einem Jahr ausser Betrieb, nachdem Schäden am
Reaktordruckbehälter entdeckt wurden. Ob das mit 47 Betriebsjahren
weltweit älteste Atomkraftwerk je wieder hochgefahren wird, ist
unklar.
Bleiben Beznau
2, Gösgen und Leibstadt. Deren Ende ist absehbar. Zwar lehnt das
Parlament eine Laufzeitbeschränkung ab. Im Herbst aber dürfte die Atomausstiegs-Initiative der Grünen zur
Abstimmung gelangen. Sie verlangt eine Stilllegung nach spätestens
45 Betriebsjahren. Auch die Energiekonzerne gehen zunehmend auf
Distanz zum Atomstrom, denn er ist zum Verlustgeschäft geworden. So
beträgt der Marktpreis für Strom heute weniger als 3 Rappen pro
Kilowattstunde. AKW-Strom aber kostet 4 bis 6 Rappen.
Die fehlende
Rentabilität ist der Hauptgrund, warum die Bernischen Kraftwerke
(BKW) ihr bejahrtes AKW Mühleberg abschalten wollen. Deutlich weiter
scheinen die Pläne des Stromkonzerns Alpiq zu gehen, der diese Woche
einen Verlust von 830 Millionen Franken für das Jahr 2015 verkünden
musste. Er will seine Beteiligungen an den AKW Leibstadt (32 Prozent)
und Gösgen (40 Prozent) anscheinend auf den Staat abschieben. So
zumindest steht es in einem «vertraulichen» Konzept, das die
PR-Agentur Hirzel Neef Schmid für Alpiq erarbeitet hat.
Die «Basler
Zeitung» hat das Papier publik gemacht. Es liest sich
wie ein Drehbuch für Lobbyin g der dreisten Sorte. Durch die «Mobilisierung» von Experten, Politikern und Medien wollen die «Strombarone» möglichst viel Geld beim Staat abh olen, etwa mit
den bereits beschlossenen Subventionen für Wasserkraftwerke. Vor
allem aber sollen die Atomkraftwerke «in einer Auffanggesellschaft
zusammengefasst und einem staatlichen Eigner übergeben werden».
Alpiq soll in diesem Planspiel diskret auftreten und «aus der zweiten
Reihe» arbeiten. Denn die Stromkonzerne sollen als «too big to
fail» dargestellt werden. Dazu wird unter anderem das «Totschlagargument» Jobverluste herangezogen. Teilweise liest
sich das Papier unfreiwillig komisch, etwa wenn die Medien «Politiker
als Helden ins Zentrum stellen» sollen. Anderes aber kommt einem
ziemlich bekannt vor. So würde der zuständige Lobbyist laut der BaZ
die Vorstösse für die Politiker schreiben und «sicherstellen»,
dass sie in den Räten zur Diskussion kämen.
Das erinnert an die
Kasachstan-Affäre, die vor einem Jahr für Wirbel sorgte, letztlich
aber keinen grösseren Schaden verursachte. Ausser am Image von
FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, und das auch nur temporär.
Das Alpiq-Szenario aber lädt dem Steuerzahler eine beträchtliche
Last auf, nicht zuletzt für die Stilllegung und Entsorgung der
Atomkraftwerke. Gemäss dem «Tages-Anzeiger» klafft in den dafür
vorgesehenen Fonds eine Lücke von mindestens sechs Milliarden
Franken.
Einmal mehr scheint
die Devise zu lauten: Die Gewinne privat, die Kosten dem Staat. Bei
den Politikern hält sich die Begeisterung denn auch in Grenzen. «Während Jahrzehnten haben die Energiekonzerne fette Renditen
erzielt, und beim ersten Gegenwind rufen sie nach einer
Staatsrettung», meint der Berner FDP-Nationalrat und
Energiepolitiker Christian Wasserfallen, der im Konzept als «harte
Nuss» bezeichnet wird und dies als Auszeichnung empfindet.
Ähnlich äusserte
sich der Solothurner SP-Nationalrat Philipp Hadorn in einem Beitrag
für die «Solothurner Zeitung»: «Erst wenn der Abschalttermin
des letzten AKW in unserem Land beschlossen ist und die Konti der
Stromkonzerne blank sind, darf der Staat die Verantwortung der
Privaten übernehmen.» Seine Partei teilte am Donnerstag mit, eine
staatliche Auffanggesellschaft komme nicht in Frage. Die SP sei aber
bereit, über eine Abwicklungsgesellschaft mit staatlicher
Beteiligung zu diskutieren, «welche den raschen Ausstieg aus der
Atomtechnologie organisiert».
«Wir warnen seit
40 Jahren davor, dass das Geld nicht ausreichen wird und der Staat
einspringen muss», sagt die Zürcher Nationalrätin Jacqueline
Badran. Sie benennt zwei «Sündenfälle»: Die 2009 beschlossene
Teilliberalisierung des Strommarkts und die Teilprivatisierung von
Alpiq, die im gleichen Jahr aus der Fusion der Oltner Atel und der
Westschweizer EOS hervorgegangen war. Während die Axpo zu 100
Prozent den Nordwestschweizer Kantonen und ihren Elektrizitätswerken
gehört, werden rund 10 Prozent von Alpiq an der Börse gehandelt.
Das erhöht den
Leidensdruck auf die Konzernleitung. Sie will deshalb 49 Prozent
ihrer Wasserkraftwerke – für Badran «die Cashcows von morgen» – verkaufen. Für die AKW-Beteiligungen dagegen ist angesichts des
widrigen Marktumfelds kein privater Käufer in Sicht, also soll es
der Staat richten. Tatsächlich ist der europäische Strommarkt
völlig aus den Fugen geraten.
Statt der vor
einigen Jahren beschworenen Stromlücke herrscht eine
Stromschwemme.
Dafür sind weniger
die viel kritisierten Subventionen für Solar- und Windenergie
verantwortlich, sondern vor allem der Strom aus Kohlekraftwerken, der
im wahrsten Sinn «dreckbillig» ist. Mit einem EU-weiten
CO2-Emmissionshandel sollte der klimabelastende Kohlestrom eigentlich
verteuert werden, doch das Konzept funktioniert nicht, weil zu viele
Zertifikate vorhanden sind. «Das Marktdesign in Europa ist
kreuzfalsch», schimpft Jacqueline Badran.
In diesem Punkt
trifft sich die streitbare Sozialdemokratin mit Christian
Wasserfallen, der sonst eine völlig andere Linie verfolgt (er will die Option Kernenergie ausdrücklich weiter verfolgen): «Ich habe
selten einen Politikbereich erlebt, in dem so viele Fehler gemacht
wurden.» Das Alpiq-Konzept zeige die «Hilflosigkeit» der
Branche, meint der ausgebildete Maschineningenieur. Die Kantone, die
hinter den Energiekonzernen stehen, sollten die Suppe selber
auslöffeln.
Auch der Berner
SVP-Nationalrat Albert Rösti, designierter Präsident und führender
Energiepolitiker seiner Partei, hält das Szenario für «ordnungspolitisch falsch». Die Regulierung müsse über den
Markt erfolgen, sowohl bei den Atomkraftwerken wie bei der
Wasserkraft. «Eine Auffanggesellschaft ist nicht Aufgabe des
Staates», sagt Rösti.
Ist das «Alpiq-Szenario» somit Makulatur? Keineswegs. Mitarbeiter der
Bundesverwaltung erachten es als durchaus realistisch. Alpiq-CEO
Jasmin Staiblin führt laut der «Handelszeitung» ein weiteres «Totschlagargument» ins Feld: Versorgungssicherheit. Selbst
Albert Rösti lässt hier ein Türchen offen: «Eine
sichere Stromversorgung kommt an erster Stelle.» Bürgerliche
Politiker könnten deshalb am Ende ebenso «umkippen» wie das
linksgrüne Lager, vor allem wenn diesem eine klare
Ausstiegsperspektive geboten wird.
Das Lobbying-Konzept dürfte in seiner dreisten Form kaum umgesetzt werden und dennoch zum Ziel führen. Manch ein alter Kämpe aus der Anti-AKW-Bewegung wird sich so in seinem damaligen Protest bestätigt sehen. Die Kosten für die Atomenergie bleiben letztlich am Steuerzahler hängen.
So dass am Ende nur eine Frage bleibt: Wie konnte man jemals auf eine Technologie bauen, deren Abwicklung mehr kosten könnte, als sie jemals an Einnahmen erwirtschaftet hat?