Die Sommerferien-Zeit neigt sich dem Ende zu, damit auch die Wochen und Monate, wo jedes Wochenende in der Schweiz ein Openair stattfindet. Wer schon einmal in seinem Leben ein solches Festival besuchte, weiss: Dort wird viel Müll produziert und sehr viel Strom verbraucht. In die Schlagzeilen schafften es aber bislang nur die Abfallberge, die nach den Openairs auf den Zeltplätzen übrigblieben.
Mit der drohenden Energieknappheit und der bereits spürbaren Klimakrise dürfte bald auch der Stromverbrauch in den Fokus kommen: Die riesigen Bühnenkonstruktionen, Beleuchtungssysteme und Tonanlagen benötigen sehr viel Strom. Wie viel genau, weisen die Openair-Organisatoren in ihren PR-Berichten zur Nachhaltigkeit zwar nicht immer aus. Öffentlich bekannte Zahlen deuten aber darauf hin, dass ein grösseres Schweizer Festival zwischen 100'000 und 250'000 Kilowattstunden Strom verbraucht (im Schnitt: 1 kWh pro Tag und Besucherin oder Besucher).
Diese Mengen müssen irgendwie und vor allem in einer bestimmten Stärke zum Gelände kommen, was nicht immer besonders klimafreundlich passiert. Im Gegenteil: Auch dieses Jahr konnten an verschiedenen Festivals in der Schweiz Dieselgeneratoren beobachtet werden. Sie werden zwar in der Regel abseits der öffentlichen Zonen aufgebaut, um Abgase von Besuchern fernzuhalten. Mancherorts, so etwa auf dem Zeltplatz des Gurten-Festivals, sind sie gut sichtbar, wenn ein Kaffeewagen oder ein Flutlicht mit Strom bedient werden soll.
Die Auswirkungen aufs Klima sind aufgrund fehlender Daten nicht genau bezifferbar. Die Stiftung MyClimate, die Firmen in Klimaschutzfragen beratet, verglich die Schädlichkeit von Dieselgeneratoren mit dem Strom aus der Steckdose: So ist der Dieselstrom 8,8 mal schädlicher als das, was der normale Schweizer Strommix aus der Steckdose liefert. Verglichen mit rein erneuerbarem Strom sei die Klimabilanz gar rund 66,9 mal schädlicher. Wie viele Liter verbraucht werden, ist auch unbekannt – die Verantwortlichen hinter dem Openair St. Gallen erinnern sich, dass es «jeweils 2000 bis 3000 Liter Diesel» waren.
Die Dieselgeneratoren seien aber dennoch in Einzelfällen notwendig, heisst es von angefragten Personen, die an Schweizer Festivals für die Technik zuständig oder am Aufbau der elektronischen Infrastruktur beteiligt waren. Ein Elektriker, der an Openairs in Interlaken und Bern mitarbeitete, erklärt: «Natürlich wäre es besser, grüneren Strom von der Stadt zu nehmen. Eine grosse Musikbühne benötigt aber in bestimmten Momenten hohe Stromspitzen: Wenn ein DJ voll aufdreht und die Bühnenlichter das Publikum blenden, dann wird es schnell schwierig, genug Strom zu liefern.»
Schwierig heisst konkret: Es braucht dicke Stromleitungen, die eine hohe Spannung zuverlässig (sprich: geringe Schwankungen) an den Festivalort liefern können. Und genau das beisst sich in den allermeisten Fällen: Openairs finden abseits von Städten und Dörfern statt, womit die notwendigen Anschlüsse fehlen. Will man trotzdem temporär für einige Tage ein grosses Kabel etwa von Bern zum Hausberg Gurten ziehen, dann geht das tief ins Portemonnaie. Leitungen verlegen reicht aber nicht immer aus, wie eine Tontechnikerin erzählt: «Der Strom muss in mehreren Phasen getrennt werden, da die grossen Soundanlagen ansonsten von Fritteusen, Kühlschränken und der Bühnenbeleuchtung gestört werden.»
Die einfachste Lösung sei daher häufig der Einsatz von mehreren Dieselgeneratoren. «Damit werden viele Probleme gelöst, auch wenn es echte Klimakiller sind», sagt die Tontechnikerin, die an kleinen und mittelgrossen Festivals in der Schweiz mitarbeitet.
Angefragte Openair-Organisatoren – mit Ausnahme jene aus St. Gallen – wollten oder konnten sich bis Redaktionsschluss dieses Artikels nicht zur Frage äussern, ob und weshalb Dieselgeneratoren auf dem Gelände zum Einsatz kommen. Simon Haldemann, der Manager des Gurtenfestivals, äusserte sich vor drei Jahren in der «NZZ am Sonntag» zur Ökologie der Openairs pessimistisch: «Festivals mit 80'000 Besuchern können gar nicht nachhaltig sein.» Ein Sprecher des Festivals teilte jedoch in einem Interview mit der «Berner Zeitung» mit, dass der Ukraine-Krieg unter anderem den Kauf von Diesel massiv verteuert habe.
Das es auch anders geht, zeigt das Beispiel des Openairs St. Gallen: Das Festival am Sittertobel verzichtet laut eigenen Angaben seit mittlerweile 15 Jahren auf Dieselgeneratoren und bedient sich stattdessen am bestehenden Stromnetz. Seit 2012 werde sogar komplett auf erneuerbare Energien gesetzt. Der Umstieg dürfte jedoch keine grosse Herausforderung gewesen sein: Das Openair-Gelände liegt direkt an einer Hochspannungslinie, die am nahe gelegenen Wasserkraftwerk Kubel angeschlossen ist. Die Organisatoren teilen zwar mit, dass an gewissen Stellen «Ausfallsicherungen» und «Notfallgeneratoren» eingebaut wurden – diese seien aber bislang nicht zum Einsatz gekommen.
Solche Leitungen fehlen nicht nur am Gurten, sondern auch am Openair Frauenfeld: Das Hip-Hop-Festival liegt zwar im Norden einer grösseren Stadt, die Stromversorgung auf der Thurgauer Allmendwiese ist aber nicht für die Bedürfnisse eines 200'000-Besucher-grossen Festivals ausgelegt. Die Organisatoren kündigten 2022 jedoch an, verschiedene konkrete Massnahmen zu prüfen, um das Stromproblem nachhaltig zu lösen. So wurde der Verbrauch jedes Dieselgenerators erstmals genau gemessen. In einem Pilotprojekt kamen zudem zwei vollgeladene 300-kWh-Batterien auf dem Festivalgelände zum Einsatz. Sie wurden während des Openairs vor Ort mit Sonnen- und Windenergie wieder aufgeladen. Das Fazit: Diese etwas kompliziertere Lösung konnte so viel Strom aus erneuerbaren Quellen liefern wie zwei Dieselgeneratoren.
Pro kWh verbrauchter Strom sind zwischen 0.25 und 0.3l Diesel fällig.
1 Liter Diesel enthält ca. 10kWh Energie, bei einem Wirkungsgrad zwischen 30-40%, bleibt davon obengenanntes übrig…