Über das geplante Atommüll-Endlager in der Zürcher Gemeinde Stadel soll das Schweizer Volk abstimmen. Das fordert die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra).
Ein Projekt dieser Dimension brauche neben einer fachlichen Überprüfung auch eine direktdemokratische Legitimation, sagte Nagra-Chef Matthias Braun in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung».
Anlass des Gesprächs war die Einreichung des Rahmenbewilligungsgesuchs für das geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle durch die Nagra beim Bundesamt für Energie an diesem Dienstag.
Mit dem 30'000 Seiten dicken Gesuch will die Nagra nachweisen, dass das 2022 vorgeschlagene Gebiet der beste Standort sei und ein Tiefenlager dort langfristig höchste Sicherheitsstandards erfülle. Es soll – sofern die Politik grünes Licht gibt – ab 2045 gebaut werden.
Ein möglicher Haken ist die fehlende Erweiterbarkeit der vorgesehenen unterirdischen Stollen. Für zusätzlich anfallenden hochradioaktiven Abfall aus zukünftigen Schweizer AKWs habe es dort keinen Platz.
«Wir zeigen, dass wir ein Tiefenlager sicher bauen und betreiben können, auch wenn es anspruchsvoll ist», lässt sich Nagra-Chef Braun in einer Medienmitteilung vom Dienstag zitieren. Man könne nachweisen, dass das Lager mit dem Umweltschutz vereinbar sei.
Die Nagra fordert gleichzeitig eine breite Auseinandersetzung mit dem Vorhaben und eine direktdemokratische Legitimation mit einer Volksabstimmung.
Es sei richtig, dass sich die Bevölkerung mit der Frage eines Tiefenlagers und den technischen Daten beschäftige, sagte Braun. Einsprachen könnten zudem das Verfahren blockieren. «Umso wichtiger ist es, dass es zu einer nationalen Abstimmung über das Endlager kommt», sagte er. Eine allfällige Zustimmung der Schweizer Stimmbevölkerung würde er als «starkes Signal» werten, um vorwärtszumachen.
Einen nationalen Urnengang hatte bereits am Freitag ein Komitee gefordert, das dem Endlager kritisch gegenübersteht.
Vergangene Woche hatte ein Komitee gefordert, dass nach dem Parlament auch das nationale Stimmvolk über das Projekt entscheiden solle. Es hielt fest, dass die Stimmbevölkerung zu einem derart komplexen Geschäft das letzte Wort haben sollte.
Die Gegnerinnen und Gegner kritisierten etwa, dass ein Plan B und Ausstiegsmöglichkeiten fehlten. Eine Deponie für hochradioaktive Abfälle stelle zudem eine Gefahr für nachkommende Generationen, für Menschen und die Umwelt dar, monierten sie.
Seit September 2022 ist bekannt, dass das Atommüll-Endlager in der Zürcher Gemeinde Stadel gebohrt werden soll. «Das geplante Tiefenlager planen wir für eine Abfallmenge, die bei einem 60-jährigen Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke anfällt», sagte Braun. Eine Reserve sei einberechnet. Sollte die Schweiz in Zukunft neue Kernkraftwerke bauen, hätten deren Abfälle im geplanten Lager keinen Platz.
Die unabhängigen Entsorgungs-Experten Marcos Buser und Walter Wildi kritisieren in einem Blog-Beitrag das aus ihrer Sicht veraltete Entsorgungskonzept.
Sie argumentieren, gebrauchte Rohstoffe sollten nicht in die Umwelt zurückkehren, denn über kurz oder lang würden diese in die Umwelt diffundieren und zu Umweltverschmutzungen führen; Rohstoffe seien vielmehr zu rezyklieren und einer neuen Verwendung zuzuführen.
Buser und Wildi weisen auf Fortschritte bei der Umwandlung (Transmutation) hoch radioaktiver, langlebiger Substanzen zu Substanzen geringerer Radioaktivität und geringerer Lebensdauer (kurzer Halbwertszeit) hin. Ein entsprechendes wissenschaftlich-technologisches Konzept schlage etwa das Genfer Unternehmen Transmutex vor.
Die zuständigen Stellen des Bundes werden das Rahmenbewilligungsgesuch bis im Frühling 2025 auf seine Vollständigkeit überprüfen. Erst danach soll es veröffentlicht werden. Ab 2029 werden Bundesrat und Parlament über das Tiefenlager entscheiden. Der Baustart ist für 2045 vorgesehen.
«Lehnt das Volk das Tiefenlager etwa bei einem allfälligem Referendum im Jahr 2030 ab, ist die Politik am Zug. Dann muss ein neuer Prozess in Gang kommen», sagte Braun im NZZ-Interview. Die Verantwortung über die radioaktiven Abfälle würde dann der nächsten Generation übergeben.
(sda)