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Schweiz: Energiebehörde warnt vor zunehmendem Strommangel

Energiebehörde warnt vor zunehmendem Strommangel – es braucht wohl mehr Notkraftwerke

Es sei ungewiss, wie rasch der Ausbau der Erneuerbaren erfolge und wie stark die Nachfrage nach Strom steige. Aus diesem Grund soll der Bund die Reservekapazitäten für das Winterhalbjahr deutlich erhöhen, schlägt die Eidgenössische Elektrizitätskommission vor.
28.07.2023, 17:0628.07.2023, 17:06
Chiara Stäheli / ch media
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Im vergangenen Herbst war die Rede von einer drohenden Mangellage, davon, dass der Schweiz im Winter Strom und Gas ausgehen könnten. Etwa, weil die französischen Atomkraftwerke wegen Wartungsarbeiten zu wenig Strom liefern könnten. Oder auch, weil das Gas wegen des Ukraine-Kriegs knapp wurde. Doch entgegen der Befürchtungen kam das Land gut durch den Winter - auch weil er vergleichsweise mild verlief.

***SPERRFRIST 10:30 UHR*** --- ZUM RESERVEKRAFTERK MIT GEPLANTEN ACHT MOBILEN GAS-TURBINEN DER GE GAS POWER STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG. WEITERE BILDER FINDEN SIE AUF visua ...
Das temporäre Reservekraftwerk in Birr soll zum Zug kommen, wenn im Winter der Strom knapp wird.Bild: keystone

Dabei wäre die Schweiz vorbereitet gewesen auf eine Winterstromlücke. Sie hat seit letztem September nebst der Wasserkraftreserve zusätzliche Reserven in Form von Notstromgruppen und Kraftwerken angelegt, welche jeweils von Anfang Dezember bis Ende Mai in Bereitschaft stehen und eine Leistung von 400 Megawatt erbringen können.

Reservebedarf langfristig deutlich höher

Doch nun zeigen neue Berechnungen der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom): Bald dürften diese Reserven nicht mehr ausreichen. Das geht aus den aktualisierten und am Freitag veröffentlichten «Analysen zur mittel- und längerfristigen Stromversorgungssicherheit» hervor. Darin hat die Elcom das Zusammenspiel von Kraftwerkskapazitäten, Stromverbrauch sowie von Stromimporten und -exporten untersucht. Sie kommt zum Schluss: In den nächsten Jahren sind «Knappheiten nicht auszuschliessen». Aus diesem Grund empfiehlt sie dem Bund, kurzfristig weiterhin eine Reservekapazität von 400 Megawatt aufrechtzuerhalten.

Längerfristig rät sie dem Bund gar, die Winterreserven deutlich auszubauen. Unter der Annahme, dass die Atomkraftwerke hierzulande nach einer Laufzeit von 60 Jahren vom Netz genommen werden, empfiehlt die Kommission, die Reservekapazität bis 2030 auf 700 bis 1400 Megawatt zu erhöhen: «Gerade wegen der grossen Unsicherheiten über das Ausmass und vor allem die Geschwindigkeit des Erneuerbaren-Ausbaus sowie der Entwicklung der Stromnachfrage ist nach Ansicht der Elcom eine solche Versicherung für die Schweizer Versorgungssicherheit nötig.» Heisst: Der Bund braucht künftig mehr thermische Notkraftwerke, die mit Öl oder Gas betrieben werden.

Bestehende Verträge laufen 2026 aus

Seit vergangenem Winter kann der Bund bereits auf drei Notkraftwerke zurückgreifen. Dazu zählt das Reservekraftwerk in Birr (AG) mit einer Leistung von 250 Megawatt. Hinzu kommen ein Reservekraftwerk in Cornaux (NE) sowie ein Gas-Kombikraftwerk in Monthey (VS). Diese Reserven stehen dem Bund auch in den nächsten drei Wintern zur Verfügung. Doch die Verträge mit den Betreibern der Kraftwerke laufen Ende Frühling 2026 aus.

Um die Versorgungssicherheit auch in den Jahren danach sicherstellen zu können, hat der Bund am Freitag die erste Ausschreibung für die Zeit nach 2026 gestartet. Die Reservekraftwerke sollen gemeinsam eine Leistung von 400 Megawatt erbringen können. Wie das Bundesamt für Energie in einer Mitteilung schreibt, können «Gebote für neue, bestehende oder stillgelegte Anlagen eingereicht werden».

Grosser Energieverbrauch stösst auf Kritik

Bei der Berechnung der benötigten Reservekapazität stützt sich das Bundesamt für Energie auf die Prognosen der Elcom. Es ist deshalb zu erwarten, dass der Bund bis 2030 zusätzlich weitere grosse Notkraftwerke wie jenes in Birr benötigt, um zu verhindern, dass eines Winters tatsächlich der Strom knapp wird. Das sorgt für Kritik. So kündigt etwa die Klimastreik-Bewegung an, sie werde sich «auf allen Ebenen gegen die geplanten fossilen Kraftwerke wehren, weil diese massiv zur globalen Erderhitzung beitragen».

Die Klimaaktivisten weisen auf den immensen Ölverbrauch der Notkraftwerke hin. Müsste beispielsweise das Kraftwerk in Birr eingeschaltet werden, so würde dieses in einem Tag 1'680'000 Liter fossile Brennstoffe verbrennen. Das entspricht dem Heizölverbrauch von über 800 mittelgrossen Einfamilienhäusern in einem ganzen Jahr.

Dass in einer Notlage fossile Kraftwerke zum Einsatz kommen sollen, findet auch GLP-Nationalrat Flach «alles andere als optimal». Doch die Stromknappheit im Winter sei eine Folge davon, dass die Schweiz den Ausbau der erneuerbaren Energien verschlafen habe, so der Aargauer: «Wir müssen jetzt endlich vorwärtsmachen und sowohl in den Siedlungsräumen als auch im alpinen Raum deutlich mehr Photovoltaikanlagen bauen.»

Ganz anders sieht das SVP-Nationalrat Christian Imark: «Wir haben schon bei der Abstimmung über die Energiestrategie 2050 davor gewarnt, dass genau diese Situation eintreten könnte.» Die Schweiz habe die heimische Stromproduktion zu lange zu stark vernachlässigt, so Imark. «Deshalb muss nun schleunigst die Winterproduktion im Inland gestärkt werden.» Zu diesem Zweck sollen einerseits die Laufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke verlängert werden. «Andererseits», so der Solothurner, «muss sich die Schweiz auch Gedanken über neue AKW machen». (aargauerzeitung.ch)

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180 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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PitH
28.07.2023 17:34registriert Juni 2019
Leider wird immer wieder vergessen, dass sich vieles an Strombedarf auch einsparen lässt. Z.b. Gebäude mit direktelektrischer Heizung verbrauchen etwa 6% des gesamten CH Strombedarfs. Und das im Winter! Hier könnten etwa 90% davon eingespart werden durch Sanierung der Gebäudehülle und Installation einer effizienten Wärmepumpenanlage. Wenn dann noch PV aufs Dach kommt, um so besser. Nur: die Kosten sind sehr hoch und die Fördermassnahmen ungenügend. Hier ist klar auch die Politik und die Öffentliche Hand gefragt.
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dirtyharry
28.07.2023 17:49registriert März 2018
Wir haben eine PV Anlage und produzieren wesentlich mehr Strom als wir verbrauchen. Ich bin absolut überzeugt von dieser Technologie. Aber im Winter reicht es einfach vorne und hinten nicht. Auch eine Wärmepumpe läuft nicht einfach so.
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ursus3000
28.07.2023 17:22registriert Juni 2015
"so würde dieses in einem Tag 1'680'000 Liter fossile Brennstoffe verbrennen"
Ist aber trotzdem nur einen 4tel dessen was jeden Tag in Kloten in Flieger gepumpt werden. Das ist aber kein Thema für diese, da auch Klimastreiker gerne Ferien machen
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