Albert Rösti ist ein Berner. Albert Rösti hat seine berufliche Karriere in einer Verwaltung lanciert. Und Albert Rösti ist nett. All das macht ihn in den Augen seiner Partei verdächtig. Trotz all dem, was er als ehemaliger Präsident für die SVP schon getan hat.
Die Drohung, dass Albert Rösti dereinst nur ein «halber SVP-Bundesrat» werden könnte, verfolgt ihn seit seiner Wahl im Dezember 2022. Selbstverständlich sagt das niemand in der Partei offen heraus, im Gegenteil: Wo man auch hinhört, gibt es Lob über den Umwelt-, Energie- und Verkehrsminister. «Albert ist einer von uns», sagt Nationalrat Mike Egger hörbar begeistert.
Doch das Eis ist dünn. Das zeigte sich schon vier Monate nach Amtsantritt. Bundesrat Rösti lancierte den Abstimmungskampf über das Klimaschutzgesetz, warb offensiv für ein Ja. Die Parteizentrale der SVP zeigte sich ungnädig: «Bundesrat Rösti erzählt das Gegenteil von Nationalrat Rösti» überschrieb sie eine Mitteilung, in der sie daran erinnerte: Nationalrat Rösti habe der Fraktion einst beantragt, das Referendum zu ergreifen. Heute heisst es, dieser Seitenhieb sei mit dem Magistraten abgesprochen gewesen, alles halb so wild.
Auf der anderen Seite weiss man auch im Bundesrat und in den anderen Parteien, woher Rösti kommt: Der ehemalige Parteichef hat allerlei Altlasten in sein Amt mitgebracht. Da war nicht nur das Klimaschutzgesetz, das er an der Urne durchzuboxen hatte. Er war auch im Komitee der Halbierungsinitiative gegen die SRG. Er war einst Kampagnenchef der Masseneinwanderungsinitiative. Und er war «Ölbert», der Lobbyist der Erdölbranche.
In fast jedem seiner Zuständigkeitsbereiche muss er als Bundesrat gemessen an seinem Vorleben eine Kurve, wenn nicht sogar eine Kehrtwende einlegen. Und dies möglichst ohne von seiner Partei zum halben SVP-Bundesrat degradiert zu werden.
Ganz objektiv: Für ein erstes Amtsjahr sammelt Bundesrat Rösti Schlagzeilen in bemerkenswerter Kadenz. «Energieminister Rösti bringt Strom-Mantelerlass ins Ziel.» «Umweltminister Rösti gibt Wolf zum Abschuss frei.» «Verkehrsminister Rösti will die Autobahnen durchgehend auf sechs Spuren ausbauen.» Und zuletzt: «Medienminister Rösti will SRG-Gebühren senken.»
So oder ähnlich rauscht es im Schweizer Blätterwald. Selbst Linke wie SP-Nationalrat Eric Nussbaumer müssen anerkennen: «Man merkt, dass Albert Rösti ein vertieftes Verständnis der Dossiers hat. Das hat er sich als langjähriges Mitglied der Umwelt- und Energiekommission aneignen können.» Der eigens gegen «Ölbert» eingerichtete Watchblog der Grünen zählt sieben Einträge und scheint seit September entschlafen.
Natürlich ist ein Jahr im Amt viel zu kurz, als dass diese Geschäfte einzig die Handschrift Röstis trügen. Simonetta Sommaruga habe ihm ein aufgeräumtes Departement überlassen, sagt er auch selber. Und dennoch setzt der Berner mehr als nur den jeweiligen Schlusspunkt unter die genannten Kapitel.
Den Mantelerlass Strom etwa, der die Schweizer Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte regeln soll, hat er bereits im Parlament mitgeprägt. Als SVP-Bundesrat gelingt es ihm dann, eine wesentliche Referendumsgefahr zu entschärfen: den Widerspruch aus der eigenen Partei.
Der Startkredit in den eigenen Reihen ist genug gross für einige kleinere Zugeständnisse für den Umweltschutz. Unermüdlich kämpft er für Kompromisse, weist als Bergler manche Begehren der Bergkantone in die Schranken. Neue AKW, wie sie SVP und FDP möchten, stehen nicht auf seiner Traktandenliste. Mit seinem Mantra: «Ich bin technologieoffen», lässt er sich und seiner Basis aber auch hier ein Türchen offen.
Oft scheint es, als wäge Rösti nicht nur einzelne Gesetzesparagrafen gegeneinander ab, sondern ganze Geschäfte: Er forciert den Spurausbau der Autobahn und bringt Wochen später ein Milliardenpaket zugunsten der Bahn durch den Bundesrat.
Dass auf den gelockten Kopf des Berufspolitikers manche Hüte gleichzeitig passen, hat er schon im Parlament bewiesen: Mühelos lobbyierte er für die Gas- und die Wasserkraftindustrie gleichermassen; gesamthaft 13 bezahlte Mandate unterhielt er noch vor einem Jahr als Nationalrat. Was ihm damals den unrühmlichen Titel als «Hansdampf an allen Kassen» («Weltwoche») eintrug, gereicht ihm nun zum Erfolg: Instinktiv scheint er zu wissen, wie er seinen bundesrätlichen Spielraum nutzen kann, um sein Gewicht mal links, mal rechts in die Waagschale zu werfen.
Als Bundesrat kommt freilich ein weiteres Kraftfeld hinzu: die Verwaltung. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Übernahme ihres Uvek durch Rösti eher skeptisch entgegenblickten, ist eine Untertreibung. Wohl nur das Justizdepartement, das für Zuwanderungsfragen verantwortlich ist, erfährt mehr Kritik und Widerspruch aus der SVP, die sowieso findet, die Verwaltung sei zu aufgebläht, zu träg und zu teuer. In den ersten Wochen des Jahres dürften im Uvek fleissig Stelleninserate studiert worden sein.
Rösti, der Fuchs im Hühnerstall? Mitnichten. Knapp zwölf Monate später zeigt sich ein überraschendes Bild. Selbst im engeren Umfeld des Bundesrats sind viele jener Leute geblieben, die zuvor mit Überzeugung SP-Bundesrätin Sommaruga dienten – und organisieren nun die Geschäfte Röstis.
Klar sind da auch SVP-Hardliner hinzugekommen, Generalsekretär Yves Bichsel etwa oder der vormalige persönliche Mitarbeiter von Ueli Maurer, Matthias Müller. Sie sind es auch, die Rösti gepfefferte Mitberichte in den Bundesrat mitgeben, sei es zur Migrationspolitik des Justizdepartements oder zu den Positionsbezügen der Schweiz im Nahost-Konflikt. Doch keine Spur von einem Exodus aus dem Uvek.
Das hat nicht zuletzt mit Röstis Persönlichkeit zu tun: Der Berner Oberländer ist mindestens so sehr Verwaltungsmensch wie SVPler. Vor zwanzig Jahren lancierte er seine Karriere als Generalsekretär der Volkswirtschaftsdirektion im Kanton Bern. Er kennt also die Mechanik der Bürokratie – und er hat ein Gespür für die Seele der Staatsdienerinnen und Beamten. Zum Beispiel, indem er gut drei Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über drei Jahre am Mantelerlass massgeblich mitgearbeitet haben, am 9. November zu einem Apéro ins edle Von-Wattenwyl-Haus einlädt. Auf eigene Kosten, wie seine Kommunikationschefin Franziska Ingold betont.
Auch an einem Apéro des Amts für Raumentwicklung zur erfolgreichen Revision des Raumplanungsgesetzes zeigte sich Rösti: «Er wollte damit allen, die intensiv an diesen Gesetzesvorlagen mitgearbeitet haben, seinen Dank persönlich aussprechen», sagt Ingold.
Neu eingeführt hat Rösti im ganzen Departement zudem das Prinzip, dass Bürotüren im Normalfall offen sein sollen. Das gelte sogar für ihn selber, sagt die Kommunikationschefin: «Wenn er keine Sitzungen hat und vor Ort ist, ist die Bundesratsbürotüre immer offen», sagt sie, «es ist auch ein Zeichen, dass man jederzeit rein kann.» Dem Vernehmen nach hört man ihn mitunter Liedlein pfeifen.
Wer davon nun ableitet, Rösti sei drauf und dran, sich von der SVP zu entfremden, und werde von der Verwaltung vereinnahmt, der irrt. Und zwar gewaltig. Davon zeugt nicht nur der Schussbefehl auf den Wolf, den der sogenannte Umweltminister am ordentlichen Vernehmlassungsverfahren vorbei durch den Bundesrat gepaukt hat: Der Abschuss auf Vorrat, den das Volk abgelehnt hat, setzt Rösti nun auf Verordnungsebene durch.
Symbolpolitisch ist das wohl sein wichtigster Entscheid – gewissermassen ein Wink mit der Flinte an seine Landbevölkerung: Ich bin jetzt zwar Bundesrat, trage Krawatte und esse mit dem japanischen Minister zu Mittag – aber ich bin immer noch Bergbub Rösti, der die Dörfer vor dem Raubtier schützt.
In einem ähnlichen Kontext ist auch sein Personalentscheid zu lesen, den ehemaligen SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt in den Verwaltungsrat der SRG zu hieven: als Signal nach aussen und innen gleichermassen.
Sachpolitisch viel relevanter sind aber seine Manöver in der Europapolitik. Schon in seinem ersten Interview als Bundesrat erklärte er: «Für mich persönlich ist die Europapolitik sehr wichtig. (…) Hier möchte ich mich im Bundesrat einbringen.» Und das tut er nach Kräften – als Bremser. Rösti will keine institutionelle Annäherung an Brüssel, keine EU-Richter und keine dynamische Rechtsübernahme.
Als Energieminister ist aber ausgerechnet er zuständig für das Stromabkommen mit der EU. Und das Stromabkommen soll ein wichtiges Element werden im Paket der neuen bilateralen Verträge. Das ist nicht nach Röstis Geschmack. Bereits im Juni habe ihn der Bundesrat beauftragt, endlich vorwärtszumachen, sagen mehrere Quellen. Offiziell tut er das auch: «Natürlich sollten wir versuchen, ein Stromabkommen mit der EU zu erhalten», sagte er zur «NZZ am Sonntag» – wohl der Kollegialität zuliebe.
Tatsächlich investiert er aber viel Energie darin, mit den Nachbarländern andere Lösungen für einen gesicherten Stromhandel zu finden. Gerade war er in Frankreich und entlockte der französischen Energieministerin die Zusage, dass sie sich für den Verbleib der Schweiz im europäischen Strommarkt einsetzen werde. Rösti möchte das auf technischer Ebene erreichen oder in einem reinen Koordinationsabkommen, ohne volle Übernahme der EU-Gesetze. Sollte ihm das gelingen, durchkreuzte er die Pläne des Bundesrats, die Streitigkeiten mit der EU in einem Paket zu lösen.
Albert Rösti ist kein Ueli Maurer, der im Trychlerhemmli mit Corona-Gegnern fraternisiert. Er ist aber auch nicht ein Guy Parmelin, dessen Parteizugehörigkeit mitunter hinter Amt und Würden verschwindet. Rösti ist der erste SVP-Hardliner im Gewand des systemkonformen Magistraten. Ein Wolf im Schafspelz – ausgerechnet er. (aargauerzeitung.ch)
Warum diese Lobhuddelei?
Weil Rösti den grössten Konkurrenten von CH-Media aus dem Weg räumt, die SRG!