Der Bundesrat hat am Freitag 14 innenpolitische Massnahmen im Bereich des Lohnschutzes beschlossen. Diese sollen die Schweizer Löhne bei einem allfälligen Inkrafttreten der ausgehandelten Verträge mit der EU schützen. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:
Insbesondere die Gewerkschaften befürchteten mit der allfälligen Erweiterung der bilateralen Abkommen mit der EU einen erhöhten Druck auf die Schweizer Löhne. Um dem entgegenzuwirken, führten die Sozialpartner und die Kantone unter der Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) seit Dezember 2022 Gespräche über Massnahmen zur inländischen Absicherung des Lohnschutzniveaus.
Die Gespräche wurden mit den Dachverbänden der Sozialpartner geführt. Das sind arbeitgeberseitig der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) und der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) und arbeitnehmerseitig der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail Suisse. Von den Kantonen nahmen Vertretende der Konferenz der Kantonsregierungen (KDK) sowie der Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektorinnen und -direktoren (VDK) teil.
Die Sozialpartner und die Kantone einigten sich im Februar in einer «gemeinsamen Verständigung» auf Massnahmen zum Lohnschutz. Der Bundesrat schlug in der Folge darauf basierend 13 Massnahmen vor. Nun hat er dieses Paket beschlossen – und eine weitere Massnahme hinzugefügt.
Die Massnahmen der gemeinsamen Verständigung teilte der Bundesrat in drei Kategorien auf: Massnahmen, um Zugeständnisse zu kompensieren; Massnahmen, um die Dienstleistungssperre zu sichern; und Massnahmen zum Schutz des Schweizer Spesenniveaus.
Bei den Verhandlungen hat die Schweiz eingewilligt, die Voranmeldefrist für grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage zu reduzieren. Weiter kann eine Kaution nur noch verlangt werden, wenn beim letzten Einsatz ein Verstoss festgestellt wurde. In diesem Bereich seien insgesamt acht Massnahmen vorgesehen, schreibt der Bundesrat. Sie sollen bezwecken, dass die Meldungen von Dienstleistungserbringern aus dem EU-Raum schneller an die Kontrollorgane gelangen, sie sollen die Kontrollen zur Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen erleichtern und die Prävention zur Verhinderung von Missbräuchen stärken.
Dafür beschloss der Bundesrat zwei Massnahmen: die Beibehaltung der bisherigen Regelung zur Dienstleistungssperre im Entsendegesetz und die Teilnahme am Binnenmarktinformationssystem der EU. Allgemein hält der Bundesrat fest, dass die Sperren ein wichtiges Element im Vollzug des Entsendegesetzes seien. Im Jahr 2023 sei es über 600 Mal angewendet worden. Es bestehe die Befürchtung, dass dieses Element seitens der EU unter Druck geraten könnte.
Der Schweiz wurde bei der Spesenregelung von der EU in den Verhandlungen keine Ausnahme gewährt. Das bedeutet, dass das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» lediglich für den Lohn, aber nicht für die Spesen gilt. Als Massnahme dagegen sollen die Schweizer Spesen im Schweizer Recht sichergestellt werden. Konkret soll im Entsendegesetz angefügt werden: «Sollten die Regeln im Herkunftsland die effektiven Kosten des Aufenthalts nicht decken, dann muss das abgegolten werden, und zwar nach effektiven Kosten in der Schweiz», sagte Seco-Direktorin Helene Budliger Artieda am Freitag in Bern.
Der Bundesrat verfolgt mit zwei Massnahmen das Ziel, die sozialpartnerschaftlichen Strukturen beim Lohnschutz zu sichern, wie er schreibt. Dafür sollen die bereits heute als allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge gesichert und ein verbesserter Rechtsschutz für inländische Betriebe, die einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt werden sollen, geschaffen werden.
Er schlägt einen verbesserten Kündigungsschutz für gewählte Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter, für Mitglieder eines Organs einer Personalvorsorgeeinrichtung und für Mitglieder nationaler Branchenvorstände vor, die im Rahmen eines allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrages tätig sind. Mit dieser Massnahme reagiere der Bundesrat auch auf eine bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO/IAO) hängige Klage, sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin in Bern. Konkret wird der Schweiz vorgeworfen, die Menschenrechte beim Kündigungsschutz von gewerkschaftlich aktiven Arbeitnehmenden zu verletzen.
Der SGB begrüsste die Zustimmung des Bundesrates zum Sozialpartnerkompromiss. Ohne diesen könnten Firmen Schweizer Preise verlangen und ausländische Löhne zahlen. Der Gewerkschaftsbund sieht mit dem EU-Abkommen die Schweiz als Zielland für «zwielichtige und halbkriminelle» Firmen. Abschliessend beurteilen will der SGB das Abkommen, wenn das eidgenössische Parlament es beraten hat. Travail Suisse nannte die Massnahmen einen «akzeptablen Kompromiss». Das bisherige Lohnschutzniveau könne somit gesichert werden.
Der SAV und auch der SGV äusserten Bedenken gegenüber dem vom Bundesrat zusätzlich vorgeschlagenen Punkt. Dies würde sowohl eine Ungleichheit als auch eine Basis schaffen, um den Kündigungsschutz auf einen grösseren Personenkreis auszuweiten, schrieb der SGV. Den restlichen 13 Massnahmen stünden die Arbeitgebendenvertretenden grundsätzlich positiv gegenüber. Der SAV bezeichnete die sozialpartnerschaftliche Lösung als «Gewinn für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber».
Bundesrat Parmelin äusserte sich vorsichtig optimistisch. Ziel sei es, bis zum Ende der Vernehmlassung im Herbst alle wichtigen Player mit an Bord zu haben. «Es ist ein fragiler Kompromiss.» Die Zukunft werde zeigen, wie nachhaltig dieser sei.
Die beschlossenen Massnahmen fliessen in die Vernehmlassungsvorlage zum Paket Schweiz-EU ein. Diese wird vor der Sommerpause 2025 erwartet. Die Botschaft ans Parlament soll im ersten Quartal 2026 verabschiedet werden. Zuvor soll im April 2025 das Abkommen zur Teilnahme der Schweiz an den EU-Programmen in Brüssel paraphiert werden, schrieb der Bundesrat vergangenen Monat zum Zeitplan. Unter einer Paraphierung ist in der Diplomatie die vorläufige Unterzeichnung eines Vertrags zu verstehen. Die übrigen Abkommen sollen im Mai paraphiert werden. Die Unterzeichnung der Verträge durch den Bundesrat und die EU-Kommission sieht der Fahrplan im ersten Quartal 2026 vor.
Laut dem Bundesrat wurde mit der EU vereinbart, dass das Verhandlungsergebnis beim Lohnschutz und die Übernahme des EU-Entsenderechts drei Jahre nach Inkrafttreten des angepassten Freizügigkeitsabkommens umgesetzt werden. Die Aktualisierung des Abkommens bedingt die Zustimmung des Bundesrats, der eidgenössischen Räte und allenfalls des Schweizer Stimmvolks. Auch auf EU-Seite müssen die Gesetzesgebenden dem Vertrag zustimmen. (sda/rbu/nzu)