Kampf um den Mittelstand: Wer bei Einführung der Individualbesteuerung wirklich mehr zahlt
National- und Ständerat haben im Juni die Individualbesteuerung gutgeheissen. Doch die grosse Steuerrevolution ist damit noch nicht besiegelt: Sie muss nun in den Kantonen die nächste Hürde nehmen. Meist sind es die Parlamente, die entscheiden, ob sie das Kantonsreferendum unterstützen wollen.
Gleichzeitig sammeln die Mitte-Partei, die SVP und der Bauernverband fleissig Unterschriften gegen die Individualbesteuerung. Das letzte Wort wird das Volk 2026 haben.
Mit der neuen Vorlage soll künftig jede Person einzeln veranlagt werden. Auch Ehepaare werden getrennte Steuererklärungen ausfüllen müssen. Dadurch wird nicht nur die Heiratsstrafe bei den Steuern abgeschafft. Die Vorlage stellt das zweite Einkommen in Haushalten besser, weil es nicht mehr zum ersten addiert wird – damit fällt die Steuerprogression viel weniger ins Gewicht. So steigt der Anreiz für Ehepartner, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen oder das Pensum zu erhöhen. Der Bundesrat schätzt, dass dadurch bis zu 44’000 zusätzliche Vollzeitstellen besetzt werden können.
Höhere Steuern für hohe Einkommen
Doch die konservativen Kräfte halten dagegen: Denn Ehepaare mit nur einem Einkommen werden etwas mehr Steuern bezahlen müssen – sofern sie ein gewisses Jahreseinkommen überschreiten. Die bisher herumgereichten Zahlen der Gegner der Individualbesteuerung sind aber irreführend
So zeichnen sich Steueraufschläge von 2500 Franken für den Mittelstand nicht in der breiten Bevölkerung ab. Im Gegenteil. Nur Einverdienerehepaare mit sehr hohen Einkommen müssen auch höhere Bundessteuern entrichten. Das kann die 2500 Franken im Extremfall sogar übersteigen. Allerdings fallen Steueraufschläge von 4000 Franken pro Jahr nur dann an, wenn der Ehepartner als Einverdiener über 470’000 Franken Lohn hat und mindestens vier Kinder.
Wie stark sich die Bundessteuer ändert, zeigt die Übersicht der Eidgenössischen Steuerverwaltung, die verschiedene Szenarien gerechnet hat. Die 6’235’459 Steuerpflichtigen in der Schweiz zahlen nach der Reform im Schnitt rund 69 Franken weniger Bundessteuern im Jahr. Je nach Höhe und Verteilung der Einkommen sowie Anzahl Kinder und Abzügen unterscheidet sich die Betroffenheit stark. Was sich als grobe Übersicht sagen lässt:
- 50 Prozent der Steuerpflichtigen werden entlastet
- 36 Prozent erfahren keine Änderung – auch weil sie teilweise schon heute keine Bundessteuern bezahlen
- 14 Prozent der Steuerpflichtigen müssen mehr Steuern bezahlen
Wer also gehört zu den Profiteuren?
Ehepaare, die etwa gleich viel verdienen, profitieren am meisten. Bei fast allen Ehepaaren mit zwei erwerbstätigen Partnern resultiert ein Vorteil durch das neue Steuerregime. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sehr ungleiche Einkommensverteilungen die höchsten Zusatzbelastungen stemmen müssen. Vier Beispiele illustrieren die Änderung:
1. Beispiel Ehepaar mit Einkommensaufteilung 70:30 mit 1 Kind
Handwerker mit 70’000 Franken Lohn (100 Prozent) und Pflegefachfrau mit 30’000 Franken Lohn (40 Prozent) zahlen heute 450 Franken Bundessteuern. Mit Individualbesteuerung wären es 17 Franken weniger pro Jahr.
2. Beispiel Ehepaar mit Einkommensaufteilung 80:20 mit 2 Kindern
Selbstständige mit 170'000 Franken Einkommen (100 Prozent) und Lehrer mit 40’000 Franken Lohn (30 Prozent) zahlen heute 8033 Franken Bundessteuer. Mit der Individualbesteuerung wären es 456 Franken weniger pro Jahr.
3. Beispiel Ehepaar mit Einkommensaufteilung 50:50 mit 2 Kindern
Hochbauzeichner mit 70’000 Franken Lohn (80 Prozent) und Sozialarbeiter mit 70’000 Franken Lohn (80 Prozent) zahlen heute 1510 Franken Bundessteuer. Mit der Individualbesteuerung wären es 1211 Franken weniger pro Jahr.
4. Beispiel Ehepaar mit Einkommensaufteilung 100:0 mit 3 Kindern
Marketingfachmann mit 80’000 Franken Einkommen (100 Prozent) und Hausfrau zahlen heute keine Bundessteuer. Mit der Individualbesteuerung wären es neu 93 Franken pro Jahr.
Weil ausgeglichene Einkommen von der Reform profitieren, spüren auch die Rentner Vorteile, die mit Steuererleichterungen von mehreren hundert Franken rechnen können. (aargauerzeitung.ch)
