Es ist nicht nur ein Aufruf, es ist eine Lawine. «Bloquons tout», zu Deutsch: «Blockieren wir alles!» So lautet der Appell, der seit einigen Tagen durch das Netz hallt. Am 10. September sollen die Franzosen die Arme verschränken – die Arbeit niederlegen, den Fernseher ausschalten, Einkäufe sein lassen, die Verkehrsmittel boykottieren. Kurz: Frankreich soll einen Tag lang pausieren.
Hinter dem Appell steckt eine auf dem ehemals russischen Messenger-Dienst Telegram präsente Gruppe namens «Les Essentiels» (die Wesentlichen). Geleitet wird sie von einem bisher unbekannten Kommunikationsunternehmer namens Julien Marissiaux aus Nordfrankreich. Er ist gegen die EU und die Nato, gegen Parteien und Gewerkschaften, gegen Steuern und Bürokratie. Viele seiner Follower sympathisierten vor einigen Jahren mit den Impfgegnern oder auch mit den Gelbwesten. Diese teils rabiaten Vertreter der arbeitenden unteren Mittelklasse hatten 2019 ganze Teile von Paris in Schutt und Asche gelegt.
Auch der neue Blockade-Appell könnte in eine Gewaltorgie münden. Er richtet sich konkret gegen den Sparhaushalt von Premierminister François Bayrou. Der 74-jährige Christdemokrat will in dem Ende September bereinigten Haushalt 2025 rund 44 Milliarden Euro einsparen: Gesundheitsausgaben und Renten würden auf dem Vorjahresstand eingefroren, 3000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut. Grossfirmen und -verdiener sollen mehr Steuern zahlen. Viel zu reden gibt die geplante Streichung von zwei Freitagen, dem Ostermontag und dem 8. Mai zum Ende des Zweiten Weltkrieges.
Diese Idee wird laut einer Umfrage von 84 Prozent der Befragten abgelehnt. Sie hat die ohnehin miese, sehr gespannte sozialpolitische Stimmung im Land noch ganz kippen lassen – gegen die Staatsführung. Präsident Emmanuel Macron kommt im Volk nur noch auf 21 Prozent Zustimmung, Bayrou sackt gar auf 12 Prozent ab.
Der Blockade-Tag wirkt deshalb jetzt schon wie ein breiter Volksaufstand gegen die unpopuläre Staatsführung. Die gesamte Anti-Macron-Opposition ist dabei – auf der Rechten Marine Le Pen, auf der Linken das «Unbeugsame Frankreich».
Dessen Anführer Jean-Luc Mélenchon versucht dem 10. September sogar ausdrücklich einen Generalstreik aufzupfropfen und die Führung der Proteste zu übernehmen. Zu dem Zweck hat er für Ende Monat bereits einen Misstrauensantrag in der Nationalversammlung angekündigt. Die Sozialisten, die Kommunisten und die Grünen würden vermutlich folgen, womit Bayrous Schicksal besiegelt wäre. Auch der geschwächte Macron würde einen neuerlichen Regierungssturz kaum mehr überleben.
Der Präsident und der Premier versuchen nun aber der Bewegung zuvorzukommen. Wie Bayrou am Montag an einer Pressekonferenz bekannt gab, will er nach Absprache mit Macron am 8. September, also zwei Tage vor der nationalen Blockade, eine ausserordentliche Parlamentssitzung einberufen. Dort wird er selber die Vertrauensfrage stellen. Bayrou sprach von einem «kalkulierten Risiko»: Er hofft, dass die Rechte dem linken Volkstribun Mélenchon die Gefolgschaft verweigert, wenn auf den Pariser Boulevards eine neue Gewaltorgie droht.
Um die Rechte – Lepenisten wie Republikaner – auf seine Seite zu ziehen, halten Macron und sein Premier Bayrou bewusst am Sparhaushalt fest, im Versuch, die Lage zu dramatisieren. Frankreich sei «überschuldet» und lebe über seine Verhältnisse, erklärte Bayrou am Montag. Der Schuldendienst für die Staatsschuld werde 2025 mit 66 Milliarden Euro erstmals den höchsten Budgetposten ausmachen, noch vor der Verteidigung.
Linkspolitiker konterten, in dem Fall solle Macron als erstes die von ihm 2017 abgeschaffte Vermögenssteuer für Superreiche wieder einführen. Der sozialistische Ex-Präsident François Hollande liess durchblicken, dass seine Partei der Regierung das Vertrauen aussprechen würde, wenn sie die sozialen Einsparungen von 44 auf 22 Milliarden Euro halbiert. Fürs Erste sind die Sozialisten aber eher versucht, die Regierung zu stürzen und damit Neuwahlen auszulösen. Das könnte als indirekte Folge letztlich auch Macron Kopf und Kragen kosten. (aargauerzeitung.ch)