Ein Vegi-Menü fehlt heutzutage in kaum einem Restaurant und keiner Kantine mehr. Doch häufig ist es einfallslos zubereitet und zudem irgendwo am Rande des Buffets angesiedelt. Die Botschaft ist klar: Normal sind Speisen, bei denen das Fleisch im Zentrum steht. Vegetarisch oder gar vegan ist für die Aussenseiter. Kein Wunder, dass sich unter diesen Bedingungen die meisten für ein Fleisch- oder Fischmenü entscheiden. Und einmal mehr fühlen sich die Köche in ihrer Ansicht bestätigt: Vegi ist kaum gefragt.
Doch der hohe Anteil an tierischen Produkten in unserer Ernährung schadet Umwelt und Gesundheit. Wie er in der Mittagsgastronomie gesenkt werden kann, wollten deshalb Forschende der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften herausfinden. «Bereits zwei Drittel der Erwachsenen essen über Mittag nicht zu Hause», sagt Co-Studienleiterin Priska Baur. Wenig bekannt sei auch, dass die Hälfte der gesamten Fleischmenge auswärts konsumiert werde.
Im Herbst 2017 haben die Wissenschafter an ihren beiden Kantinen in Wädenswil einen zwölfwöchigen Versuch gemacht. In Zusammenarbeit mit der Firma SV Schweiz, welche die Restaurants betreibt, haben sie das fleischlose Angebot während sechs Wochen vergrössert. Stehen normalerweise zwei Fleisch- und ein Vegi-Menü zur Wahl, so gab es in den sechs Interventionswochen nur noch ein fleischlastiges sowie ein vegetarisches und ein veganes.
Zudem waren Letztere nicht als solche gekennzeichnet. Vegi-Menüs hätten bei vielen einen schlechten Ruf, erklärt die Agrarökonomin. «Deshalb wollten wir testen, ob sich die Gäste eher für ein vegetarisches oder veganes Gericht entscheiden, wenn es nicht entsprechend angepriesen wird.» Dazu müsse allerdings die Qualität stimmen. Nur einfach Fleisch durch Gemüse zu ersetzen, funktioniere nicht. In den Versuchswochen standen zum Beispiel Bündner Capuns mit Wurzelgemüse, Linsen-Gemüsecurry mit Samosa oder Burrito auf dem Speiseplan.
Die Auswertung zeigte, dass in den Vegi-Wochen deutlich weniger Fleischmenüs gewählt wurden als in den Vergleichswochen. Bei den Frauen, die generell weniger Fleisch essen, ging der Anteil von knapp 40 auf gut 28 Prozent zurück und bei den Männern von 65 auf 50 Prozent. Gleichzeitig nahm die mittlere Klimabelastung pro Gericht um fast einen Viertel ab.
Rückschlüsse auf die Geschlechter erlaubten die über die Mensakarten erhobenen Daten. Wer seine Daten nicht preisgeben wollte, konnte bar bezahlen. Ein Rundmail und ein Schild an der Kasse informierten die Studierenden und Mitarbeitenden darüber, dass ein Versuch durchgeführt wurde, jedoch nicht genau in welcher Art, um die Resultate nicht zu beeinflussen.
Insgesamt konnten über 26'000 Menüverkäufe ausgewertet werden. Das sei einzigartig, sagt Baur: Es gebe erst wenige wissenschaftliche Untersuchungen zum tatsächlichen Essverhalten von Menschen generell sowie in der Gastronomie.
Bei der begleitenden Befragung von rund 1200 Personen auf dem Campus zeigte sich zudem, dass die Zufriedenheit nicht unter dem Fleischentzug gelitten hatte – entgegen den Befürchtungen der Verantwortlichen, welche einen Rückgang der Gäste sowie finanzielle Einbussen für möglich hielten.
Bemerkenswert fand Baur auch, dass einige angaben, nie vegetarisch oder vegan zu essen, obwohl die Daten zeigten, dass sie dies sehr wohl hin und wieder taten. «Bei einer gluschtigen Gemüselasagne zum Beispiel denken eben viele gar nicht in den festgefahrenen Kategorien. Es geht einfach um gutes Essen.»
Eine weitere interessante Erkenntnis war, dass lediglich eine sehr kleine Minderheit immer oder gar nie Fleisch wählte. «Eine wachsende Mehrheit gehört zu den Flexitariern», ist Baur zum Schluss gekommen. «Sie isst bewusst, findet einen moderaten Fleischkonsum aber in Ordnung.»
Dies widerspreche der verbreiteten Meinung, man esse entweder immer oder nie Fleisch – eine Vorstellung, die auch viele Koch-Lernende prägt, wie sich bei einer weiteren Teil-Studie mit Gruppeninterviews an der Berufsfachschule in Baden gezeigt hat.
Die Forschenden sind sich bewusst, dass die Klientel der untersuchten Kantine nicht vollends repräsentativ ist, weil sich an der Hochschule viele mit Umwelt- oder Ernährungsthemen befassen. Gerne möchten sie den Versuch später anderorts wiederholen.
Die Untersuchungen sind Teil des gross angelegten Forschungsprojekts Novanimal, das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde. Sieben Institutionen suchten gemeinsam nach Innovationen entlang der Versorgungskette – von der Landwirtschaft bis zum Angebot in der Gastronomie. Damit die Erkenntnisse Wirkung entfalten, möchte Priska Baur nun Kontakt mit Interessierten aus der Gastronomiebranche aufnehmen und zum Beispiel Workshops organisieren oder Tipps per Newsletter und Fachmagazine verbreiten.
Zudem müsste bei der Ausbildung der Köche angesetzt werden, findet die engagierte Wissenschafterin: «Angehende Köche werden zu wenig gut auf eine zeitgemässe Ernährung mit weniger Fleisch vorbereitet. Denn gut vegetarisch oder gar vegan kochen ist anspruchsvoll.»
bebby
-C-
Ist doch klar - solange nicht Unverträglichkeiten oder Lebenseinstellungen bestimmte Menüs aussschiessen, wählt jeder, worauf er am meisten Lust hat - also was genau ist die neue Erkenntnis?
Sherlock_Holmes
Mich selbst zähle ich ebenfalls zu den Flexitariern.
Mein Ziel sind nicht mehr als 200g Fleisch pro Woche. Das sind pro Jahr immer noch 10-12kg. Schätzungsweise liege ich bei gut 20kg.
Wertvoll sind für mich auch die Freude und der bewusste Genuss.
Diese kommen in der Ruhe zum Tragen.
Wie oft sind wir in Gedanken schon bei der nächsten Aufgabe oder im Stress.
Die Vielfältigkeit und sorgsame Zubereitung – auch von einfachen Speisen – fördert dies.
Letztlich tun wir damit nicht nur den Geschöpfen und der Umwelt etwas zu Liebe, sondern uns selbst.