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Prozess gegen Blatter und Platini: So geht es weiter

epa10058661 The former president of the World Football Association (FIFA), Joseph Blatter (R), is surrounded by media representatives, as he gives statements at the last day of his trial, when the ver ...
Sepp Blatter im vergangenen Juli.Bild: keystone

Prozess gegen Blatter und Platini: Die höchsten Kantonsrichter übernehmen – per Los

Die mutmassliche Befangenheit der Berufungskammer am Bundesstrafgericht unter Richter Thormann führt zu helvetischem Justiz-Novum.
19.11.2022, 19:3419.11.2022, 19:35
Henry Habegger / ch media
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Das Strafverfahren der Bundesanwaltschaft gegen die beiden ehemaligen Fussball-Funktionäre Sepp Blatter (86) und Michel Platini (66) treibt schon wieder merkwürdige Blüten, die international zu reden geben werden.

Im Betrugsprozess waren die beiden im Juli vom Bundesstrafgericht in Bellinzona auf der ganzen Linie freigesprochen worden. Die Zahlung von 2 Millionen im Jahr 2011 von der Fifa an Platini war demnach rechtens.

Weil aber die Bundesanwaltschaft und neuerdings auch die Fifa von Gianni Infantino den Richterspruch anfechten, kommt in zweiter Instanz in Bellinzona die Berufungskammer zum Zug.

Die Mehrfachrolle von Chefrichter Thormann

Aber da gibt es ein gröberes Problem: Präsident dieser Berufungskammer, die aus vier hauptamtlichen und zehn nebenamtlichen Richterinnen und Richtern besteht, ist ausgerechnet Bundesstrafrichter Olivier Thormann (FDP). Dieser hatte das Strafverfahren, um das es hier geht, 2015 noch selbst eröffnet; er war damals noch Leitender Staatsanwalt des Bundes.

Thormann wurde zudem beim erstinstanzlichen Verfahren von der urteilenden Strafkammer als Zeuge und Auskunftsperson einvernommen. Wegen dieses Auftritts hat Thormann zudem eine Strafanzeige von Platini unter anderem wegen Verdachts auf falschE Zeugenaussage am Hals. Thormann, für den die Unschuldsvermutung gilt, ist zudem Beschuldigter in der Affäre um die Geheimtreffen zwischen Fifa-Chef Gianni Infantino und dem ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber.

Jetzt muss Alberto Fabbri den Spruchkörper auslosen

Diese Konstellation um Richter Thormann hat jetzt Folgen. «Eine Verfahrenspartei hat Ende Oktober gegen sämtliche Mitglieder des Spruchkörpers sowie gegen sämtliche Richterinnen und Richter der Berufungskammer ein Ausstandgesuch gemäss Artikel 56 der Strafprozessordnung eingereicht», hält auf Anfrage Estelle de Luz fest, Sprecherin des Bundesstrafgerichts.

Mit diesem Ausstandsgesuch gegen sämtliche Mitglieder der von Thormann geleiteten Berufungskammer – Thormann selbst war laut früheren Ankündigungen von sich aus in den Ausstand getreten – kommt ein aussergewöhnlicher Gesetzesparagraf zum Zug.

Um die Unabhängigkeit des Entscheidgremiums zu gewährleisten, müssen die Richterinnen und Richter ausgelost werden. Auf den Losen bei dieser «lotteria ticinese» stehen dabei nicht Namen von Mitgliedern des Bundesstrafgerichts in Bellinzona. Sondern die Namen der Obergerichtspräsidentinnen und -Präsidenten jener Kantone, die in der Sache nicht beteiligt sind.

So verlangt es Artikel 38c des Strafbehördenorganisationsgesetzes StBOG, der laut Titel bei «Unmöglichkeit einer gültigen Verhandlung wegen Ausstands» zum Zug kommt. Laut diesem Artikel muss Alberto Fabbri nun «durch das Los so viele ausserordentliche nebenamtliche Richter und Richterinnen (bestimmen), als erforderlich sind, um die Ausstandsfrage und nötigenfalls die Hauptsache selbst zu beurteilen.»

Vorkehrungen zur Auslosung sind eingeleitet

Als hätte die Schweizer Strafjustiz rund um Fifa-Prozesse wie das verjährte «Sommermärchen» oder die «Schweizerhof»-Affäre um Lauber und Infantino nicht schon genügend Kapriolen geschlagen. Fabbri, bis 2021 Erster Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt, zuvor selbst Staatsanwalt des Bundes, ein Mann von bisher tadellosem Ruf, muss jetzt also eine Richter-Lotterie mit kantonalen Obergerichtsvorsitzenden veranstalten, um einen unabhängigen Spruchkörper zu generieren. Dieser muss dann entscheiden, ob die Mitglieder von Thormanns Berufungskammer in den Ausstand müssen.

Falls ja, beurteilen die kantonalen Oberrichter laut Gesetz auch gleich «die Hauptsache». Sie führen nötigenfalls auch gleich die Berufungsverhandlung durch.

Estelle de Luz, Sprecherin des Bundesstrafgerichts, bestätigt, dass dieser Artikel 38c zur Anwendung kommt. «Die entsprechenden Vorkehrungen wurden bereits in die Wege geleitet», richtet sie auch aus. Derzeit lasse sich nicht abschätzen, «wann die Berufungsverhandlung angesetzt wird», hält sie zudem fest.

Fest steht: Kuriositäten wie Richter Thormanns Mehrfachrolle als Staatsanwalt, Zeuge, Auskunftsperson und Berufungsrichter kommen die öffentliche Hand finanziell und die Schweizer Justiz in Bezug auf ihren internationalen Ruf gerade ziemlich teuer zu stehen.

(aargauerzeitung.ch)

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8 Kommentare
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alfredos
19.11.2022 22:58registriert August 2018
Kann ich noch die Senderechte für "lotteria ticinesi" kaufen? Ich würde Vorschlagen wir machen daraus eine Samstagabendsendung mit Christa Rigozzi. David Beckham und Franz Beckenbauer ziehen in kleinen Fussballkügelchen die benötigten Richter. Zwischendurch darf dann Baschi noch "Chom bring ihn hei" singe.
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