Normalerweise sind 39 Prozent der Sitze der Vereinigten Bundesversammlung von Frauen besetzt. Nicht so kommenden Freitag und Samstag. Im Rahmen der Frauensession 2021 werden es 100 Prozent sein.
246 Frauen aus allen Regionen der Schweiz werden dann in den getäfelten Räumen im Bundeshaus Platz nehmen und über ihre politischen Anliegen diskutieren. Damit soll die Frauensession einer echten Parlamentssitzung so nahe wie möglich kommen. Und die diskutierten Vorstösse sollen anschliessend dem Bundesrat und dem Parlament übergeben werden.
Im Vorfeld der Frauensession haben acht verschiedene Kommissionen Anträge ausgearbeitet, die dann am 29. und 30. Oktober im Plenum besprochen werden. Hier eine Auswahl der eingereichten Vorstösse:
«Die Frau wurde in der Wissenschaft lange als kleinere Version des Mannes angesehen – mit fatalen Folgen», sagte die Kardiologin Vera Regitz-Zagrosek 2019 gegenüber watson. In der Medizin habe man lange geglaubt, dass man geschlechtsneutral praktizieren könne, so die Medizinerin. Doch dem ist nicht so. Zum Beispiel haben Frauen bei Herzinfarkten andere Symptome als Männer und werden deshalb häufig nicht sofort erkannt.
Genau bei dieser Problematik will die Kommission für sexuelle Gesundheit und Gender-Medizin in der Frauensession ansetzen. In einer Motion fordern die 22 Mitglieder, dass der Bund ein nationales Forschungsprogramm zu Gendermedizin in Auftrag gibt.
Das biologische und soziokulturelle Geschlecht habe ganz klar Auswirkungen auf den Verlauf oder die Therapie von Krankheiten, schreiben die Kommissionsmitglieder. «Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede werden allerdings in der Schweizer Forschung noch immer zu wenig berücksichtigt», heisst es weiter. Ein nationales Forschungsprogramm soll das ändern und die Forschung zur Gendermedizin voranbringen.
2018 hat der Bund die Strategie zu einer «Digitalen Schweiz» und einen dazugehörigen Aktionsplan präsentiert. Darin geht es in einigen Punkten auch um eine geschlechtergerechte Digitalisierung. Für die Kommission für Digitalisierung wurde der Bundesrat aber zu wenig konkret.
Er greife zwar wichtige Themen auf, verkenne aber, dass es bei der Digitalisierung «nicht nur um Startups und internationale Wettbewerbsfähigkeit geht, sondern eben auch um die Zukunft der Pflegerin, die Arbeitsbedingungen der Mutter im Home-Office oder um die beruflichen Entwicklungsperspektiven einer Kassiererin.»
Die 13 Mitglieder der Kommission fordern deshalb in einer Motion, dass alle Gremien und Teams, die sich beim Bund mit der Digitalisierungsstrategie befassen, zu mindestens 30 Prozent aus Frauen bestehen müssen. Zudem fordern sie, dass klare Standards zu ethischen, nicht-rassistischen und nicht-sexistischen Algorithmen in die Strategie aufgenommen werden müssen.
In einer weiteren Motion geht die Kommission für Digitalisierung auf Frauen in naturwissenschaftlichen und technischen Arbeitsfeldern (MINT-Berufe) ein. Die Frauen seien dort mit nur 15 Prozent deutlich untervertreten.
Der Frauenanteil in den MINT-Berufen soll bis 2030 mit verschiedenen Massnahmen auf 50 Prozent gesteigert werden. So zum Beispiel sollen in Berufs- und Laufbahnberatungen Geschlechterstereotypen abgebaut und Lehrpersonen spezifisch für diese Themen sensibilisiert werden.
40 Prozent aller in der Schweiz registrierten Gewalttaten passieren im häuslichen Umfeld. Bei den Tötungsdelikten sind es 63 Prozent. Genau dagegen will die Kommission für Rechtsfragen und Schutz vor Gewalt vorgehen und schreibt in einer Motion: «Das Thema geschlechtsspezifische Gewalt wird in der Schweiz immer noch zu wenig beachtet. Es handelt sich um ein grosses Sicherheitsproblem, das unbedingt mit den erforderlichen Mitteln angegangen werden muss.»
Die 26 Mitglieder fordern, dass die Schweiz jährlich 0,1 Prozent ihres BIP in den Schutz vor geschlechterspezifischer Gewalt investieren soll. 2020 wären das 706 Millionen Franken gewesen.
Aktuell werden im Rahmen einer Verordnung zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt drei Millionen zur Verfügung gestellt. Das sei jedoch viel zu wenig, monieren die Kommissionsmitglieder. «Dieser Betrag entspricht dem Budget für die Bekämpfung von häuslicher Gewalt im Kanton Genf und deckt in keiner Weise den Hilfebedarf von Tausenden von Frauen in der ganzen Schweiz.»
Mit den 0,1 Prozent des BIP sollen Präventionsmassnahmen lanciert und Frauen- und Männerhäuser sowie Opferberatungsstellen finanziell unterstützt werden.
In St.Gallen gibt es seit 2015 einige Personen, die in ihrer Freizeit ältere Menschen in ihrem Alltag freiwillig unterstützen und sich dabei um ihre eigene Altersvorsoge kümmern. Denn die Zeit, die sie dafür aufwenden, wird ihnen von der Stiftung Zeitvorsorge gutgeschrieben. Sind die Freiwilligen selbst alt und brauchen Unterstützung oder Kameradschaft im Alter, können sie auf die Gutschriften zurückgreifen.
Von diesem Ostschweizer Zeitgutschrift-Modell ist auch die Kommission für Anerkennung von Freiwilligen- und Care-Arbeit begeistert. In einer Motion fordern die 24 Mitglieder, dass der Bundesrat eine Vorlage ausarbeiten soll, die Freiwilligenarbeit mit genau solchen Zeitgutschriften abgelten soll.
Man wolle die Freiwilligenarbeit nicht direkt entlöhnen, so die Kommission, aber eine neue 4. Säule schaffen, auf die man im Alter zurückgreifen kann. «Die Rolle des Bundes bestünde namentlich darin, eine einheitliche Administration und die Freizügigkeit in der ganzen Schweiz sicherzustellen», heisst es im Antrag.
Ein weiteres wichtiges Thema in der Frauensession werden die Rechte der Frauen sein, die in der Landwirtschaft arbeiten. Die vorberatende Kommission für Landwirtschaft arbeitete dafür vier Vorstösse aus.
70 Prozent der weiblichen Familienangehörigen, die auf einem Landwirtschaftsbetrieb arbeiten, kriegen für ihre Arbeit weder Geld noch sind sie versichert. Die 15 Mitglieder der Kommission fordern deshalb unter anderem vom Bundesrat, dass die betroffenen Personen genügend sozial abgesichert sind und bei Bedarf auf eine Beratung zurückgreifen können.
Ein Antrag will zudem vom Bundesrat wissen, ob er weiss, wie viele landwirtschaftliche Betriebe an Söhne und wie viele an Töchter vererbt werden. Derzeit sind 94 Prozent aller Bauernhöfe in männlicher Hand. Eine Sensibilisierungskampagne könnte dieses Ungleichgewicht ändern, suggeriert der Antrag.
Ich glaube es steht jeder Frau frei, sich in ein MINT-Fach einzuschreiben, oder?