EU-Verträge Ja oder Nein? Ex-FDP-Präsident hat sich (fast) entschieden
Auch nach seinem Rücktritt als Parteipräsident bleibt Thierry Burkart einer der einflussreichsten Exponenten des Freisinns. Er ist in der FDP-Fraktion nach allen Seiten vernetzt – und verfügt über enge Beziehungen zu den Bundesratsmitgliedern Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis. Darum wartet man mit Spannung darauf: Wie positioniert sich Thierry Burkart in der zurzeit wohl wichtigsten politischen Frage, dem EU-Dossier?
An seiner letzten Delegiertenversammlung als FDP-Präsident vom 18. Oktober liess sich Burkart nicht in die Karten blicken. Als die Delegierten über die Haltung zu den EU-Verträgen und zum Ständemehr befanden, begab sich Burkart in die Rolle des Moderators. Er stimmte nicht ab. Die Delegierten votierten überraschend klar mit 76 Prozent für die Abkommen, und eine Mehrheit befand, das Ständemehr soll bei der Abstimmung nicht erforderlich sein.
Nun hat Thierry Burkart seine EU-Katze aus dem Sack gelassen. Allerdings sehr vorsichtig und in einem Fachmedium, sodass es von einer breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Am vergangenen Mittwoch schaltete die «Finanz und Wirtschaft» ein Interview online. Darin sagt Burkart zu den geplanten neuen EU-Abkommen:
«Es handelt sich um eine Güterabwägung zwischen wirtschaftlicher Integration und der faktischen Gesetzgebungsdelegation im Geltungsbereich der Abkommen an die EU. Dort, wo die Integrationsmethode gilt, müssten Rechtsentwicklungen der EU von der Schweiz sogar direkt telquel angewendet werden. Ein Veto unsererseits würde zu Ausgleichsmassnahmen führen. Diesen Einschnitt in unsere Souveränität erachte ich als zu weitgehend.»
Widerspruch zu den Wirtschaftsverbänden
Verrät der letzte Satz, dass Burkart sich gegen die EU-Verträge und damit auch gegen die Haltung der eigenen Partei stellt? Auf Anfrage von CH Media antwortet Burkart: «Ich habe mich noch nicht zu 100 Prozent festgelegt. Ich komme aber bislang in der Abwägung zum Schluss, dass die Beeinträchtigung der Souveränität und der demokratischen Prozesse schwerer wiegen als die wirtschaftlichen Aspekte.»
Heisst im Klartext: Burkart ist im Nein-Lager. Die Hintertür, noch zu einem anderen Schluss zu kommen, scheint maximal einen halben Millimeter weit offen.
Burkart hat auch bereits das Argumentarium bereit, warum er von der Positionierung der Wirtschaftsverbände abweicht, die traditionell FDP-nah sind. «Eine Harmonisierung der Regeln zwischen der Schweiz und der EU würde vielen exportorientierten Unternehmen das Leben erleichtern. Neues EU-Recht beträfe aber alle Unternehmen, nicht nur die Exportwirtschaft. Trotz enormer Zunahme der Bürokratie in der Schweiz ist die Überregulierung hierzulande deutlich geringer als in der EU. Mit der dynamischen Rechtsübernahme würden wir diesen Standortvorteil verlieren», sagt Burkart.
Der Aargauer Ständerat, sonst ein Mann der klaren Worte, ist aber in der Frage der Bilateralen auffallend ambivalent. Er ringt mit sich. Er räumt ein: Ein Nein zu den EU-Verträgen würde «Probleme» für exportorientierte Unternehmen mit sich bringen. Es gebe durchaus auch Argumente für ein Ja. «Wir brauchen ein langfristig stabiles Verhältnis zur EU.»
Gegen Abbruch der Bilateralen
Hat die SVP jetzt in Thierry Burkart ihren prominentesten Verbündeten ausserhalb der eigenen Partei im Kampf gegen die Verträge? Nominal wahrscheinlich schon, nur: Burkart scheint die Nähe zur SVP eher unangenehm. Er legt Wert darauf, dass er nichts von der 10-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP halte: «Ich bin gegen den Abbruch des bilateralen Wegs.»
Wie offensiv er sich im Abstimmungskampf engagieren wird, lässt Burkart offen. Er verweist auf die «Debattenregeln», die an der Delegiertenversammlung zur EU-Diskussion erlassen wurden. Eine Regel lautete: «Wir legen heute die vorläufigen Parteipositionierungen fest: Wir anerkennen, dass in der FDP keine Meinungsdiktatur herrscht. Jeder und jede darf weiterhin seine Meinung äussern. Entspricht sie nicht den heute festgelegten Parteipositionen, wird auf die Parteihaltung hingewiesen.»
Dieses freisinnige «Gesetz» erlaubt Nein-Abweichlern wie Burkart, im Abstimmungskampf trotz Ja-Beschluss der Delegierten aktiv zu sein. Und dass die Parteipositionierung «vorläufig» ist, zeigt noch etwas anderes: Der europaskeptische Flügel der FDP hofft darauf, dass das letzte Wort zu den EU-Verträgen noch nicht gesprochen ist.
Der Entscheid der DV bildet formell «nur» die Grundlage für die Vernehmlassungsantwort der Partei. Die Parolenfassung für die Volksabstimmung könnte auch anders ausfallen. Aus einigen Deutschschweizer Kantonalparteien, darunter aus Burkarts Aargauer Sektion, kommen Signale für ein Nein.
(aargauerzeitung.ch)
