Formell sind alle 246 Mitglieder von National- und Ständerat gleichgestellt: Ihnen stehen die gleichen parlamentarischen Mittel zur Verfügung, und ihre Stimmen zählen gleichwertig.
Doch beim tatsächlichen Einfluss gibt es erhebliche Unterschiede: Die einen sind unauffällige Hinterbänkler, die im Gesetzgebungsprozess kaum Spuren hinterlassen, die anderen Strippenzieherinnen, die gewichtigen Vorlagen ihren Stempel aufdrücken. Die einen sorgen als Tenöre in den öffentlichen Debatten wöchentlich für neue Schlagzeilen, die anderen sind Leisetreterinnen, deren Namen nicht einmal eingefleischte Politnerds kennen.
Das Public-Affairs-Unternehmen Burson hat mit seinem «Influence Index 2024» versucht, diesen Einfluss zu vermessen. Er umfasst den Zeitraum vom 1. Dezember 2023 bis Ende September 2024. Mit einer datengestützten Methodik hat Burson zwei Rankings erstellt, eines zum Parlamentarischen Einfluss, das andere zur Einflussnahme in der Öffentlichkeit.
Beide Rankings seien gleichwertig zu betrachten, betont Dominik Banny, Leiter Public Affairs bei Burson Schweiz. Zu einer funktionierenden Demokratie gehöre neben der Arbeit im Parlament auch ein lebhafter öffentlicher Diskurs über die Themen, welche die Bevölkerung bewegen.
Das Ranking zum parlamentarischen Einfluss stützt sich auf eine Million Datenpunkte zu Indikatoren wie Führungspositionen innerhalb der Fraktion und den Kommissionen, die Netzwerkarbeit, die Fähigkeit, bestimmte Vorlagen bis ins Detail zu prägen sowie die Anzahl Dienstjahre im Parlament.
Der einflussreichste Parlamentarier gemäss Ranking ist der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann, der seit 2002 in der kleinen Kammer sitzt. Er löst damit Mitte-Ständerat Erich Ettlin (OW) ab, der im letztjährigen «Influence-Index» den Spitzenrang belegt hatte. Germann gehöre zu den Erfahrensten in Bundesbern, schreiben die Autoren der Studie. Auch sein Einsitz in drei Delegationen und drei wichtigen Kommissionen inklusive eines Vizepräsidiums (Gesundheitskommission SGK) trügen zu seinem Einfluss bei.
Auf Platz zwei der einflussreichsten Figuren im Parlament folgt SVP-Nationalrat Thomas Aeschi (ZG), Präsident der grössten Fraktion im Bundeshaus und der prestigeträchtigen Wirtschaftskommission (WAK). Rang drei belegt der Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin, Präsident der Finanzdelegation (FinDel). Aeschi und Hegglin verdrängen im Vergleich zum letztjährigen Index die Ständeräte Benedikt Würth (Mitte/SG) und Carlo Sommaruga (SP/GE) vom Podest.
«Ich freue mich natürlich über diesen Spitzenrang, ich fühle mich dadurch geehrt und in meiner Arbeit bestätigt», sagt SVP-Ständerat Germann auf Anfrage. Seine langjährige Erfahrung mit dem parlamentarischen Handwerk habe sicherlich zur Positionierung beigetragen, ebenso wie Verlässlichkeit in den Positionen und seriöse Arbeit. Auf sozialen Netzwerken halte er sich hingegen eher zurück.
Auch deshalb landet Germann im Ranking zum öffentlichen Einfluss lediglich auf Rang 127. Diese Rangliste stützt sich auf 6 Millionen Datenpunkte in drei Indikatoren: der Reichweite, Relevanz und Resonanz auf der Plattform X, der Anzahl Erwähnungen in Medien sowie den Google-Suchanfragen zu einzelnen Parlamentsmitgliedern.
Spitzenreiter in Bezug auf den öffentlichen Einfluss ist Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister, der als amtsältestes Mitglied des Nationalrats seit 2003 im Bundeshaus sitzt. Mit seiner eloquenten Art löst er auf dem Spitzenplatz den zurückgetretenen SVP-Nationalrat Roger Köppel (ZH) ab. Die Studienautoren heben Pfisters Talent für markante Worte hervor. «Er besitzt die Fähigkeit, mit einem einzigen Tweet die Redaktionen der Schweizer Verlagshäuser ins Schwitzen zu bringen.»
Auf den Rängen zwei und drei folgen mit Jon Pult (GR) und Co-Parteipräsident Cédric Wermuth (AG) zwei SP-Nationalräte. Jon Pult, der erst seit 2019 im Nationalrat sitzt, habe sich bereits als «feste Grösse» im Bundeshaus etabliert, so die Autoren. Zu seinem zweiten Platz dürfte auch die mediale Aufmerksamkeit beigetragen haben, die er für seine letztlich erfolglose Bundesratskandidatur erhielt. Wermuth fällt im Vergleich zum Vorjahr vom Platz zwei auf drei zurück. Vom Podest fällt die letztjährige Drittplatzierte Eva Herzog (SP/BS), die im damaligen Ranking von ihrer Bundesratskandidatur im Herbst 2022 profitiert hatte.
Gerhard Pfister schreibt auf Anfrage, er nehme das wie jedes Ranking zur Kenntnis, ohne es überbewerten zu wollen – und zitiert ein englisches Sprichwort: «One day you're a peacock, the next you're a feather duster» (in etwa: Am einen Tag ist man ein Pfau, am nächsten ein Staubwedel). Das öffentliche Auftreten gehöre zu den Aufgaben eines Parteipräsidenten: «Ich versuche das mit den Mitteln, die ich habe, angesichts dessen, dass die Mitte nicht auf die Unterstützung von Medien zählen kann wie die FDP oder die SVP.»
Das kann doch niemand mehr ernst nehmen. *abwink