Der Bundesrat hat am Mittwoch entschieden, dass das Volk am 14. Juni über vier Vorlagen abstimmen wird. Nicht berücksichtigt wurde der Bau eines zweiten Strassentunnels am Gotthard, obwohl die Gegner das Referendum mit 125'000 Unterschriften Mitte Januar eingereicht haben. Nun dürfte die Abstimmung wegen den Wahlen im Oktober erst 2016 stattfinden. Der Novembertermin wird in einem Wahljahr nur in dringlichen Fällen benutzt.
Die Gegner der zweiten Gotthardröhre vermuten, dass Verkehrsministerin Doris Leuthard diese Verzögerung absichtlich herbeigeführt hat. Die CVP-Bundesrätin wolle ihrer Partei eine Zerreissprobe mitten im Wahlkampf ersparen. Die CVP sei «in dieser emotionalen Frage gespalten», schrieb die «Schweiz am Sonntag». Eine ähnliche Vermutung äusserte Regula Rytz, die Co-Präsidentin der Grünen Partei, am Donnerstag gegenüber Radio SRF.
Ist der Gotthard für die CVP ein Berg des Anstosses? Filippo Lombardi, der Chef der Bundeshausfraktion, widerspricht vehement: «Wir waren in dieser Frage so einig wie selten», sagte der Tessiner Ständerat zu Radio SRF. Tatsächlich hat sich die CVP-Fraktion, in der ein breites Meinungsspektrum vertreten ist, bei der zweiten Röhre erstaunlich geschlossen gezeigt. In National- und Ständerat gab es nur je eine Nein-Stimme.
Neben dem Luzerner Ständerat Konrad Graber lehnte einzig die Zürcher Nationalrätin Barbara Schmid-Federer die umstrittene Vorlage ab. Für sie sei klar, «dass die zwei Röhren irgendwann vierspurig befahren werden», erklärte sie im letzten Herbst gegenüber watson. Ausserdem kritisierte sie die immensen zusätzlichen Kosten: «Gleichzeitig fehlen dann gerade in meinem Kanton Zürich die nötigen Gelder, um Engpässe und tägliche Staus zu bekämpfen.»
Die Tatsache, dass es in Bern nur zwei Abweichler gab, täuscht allerdings. Gerade in der Innerschweiz existiert unter CVP-Politikern eine breite Opposition gegen die zweite Röhre. Ein gewichtiger Name ist der frühere Urner Regierungs- und Ständerat Hansruedi Stadler, der mit seinem Einsatz für die Alpeninitiative vor 20 Jahren als «tanzender Landammann» national bekannt wurde. Während den Beratungen im Parlament hatte er sich zurückgehalten. Auf Anfrage von watson liess er letztes Jahr jedoch durchblicken, dass er sich im Abstimmungskampf für ein Nein engagieren wird.
Filippo Lombardi räumte ein, dass es in seiner Partei abweichende Meinungen gebe. Er glaube aber nicht, dass dies entscheidenen Einfluss auf die Wahlen haben werde. Aus Sicht des Bundes gibt es ohnehin einen simplen Grund, warum die Gotthard-Abstimmung nicht am 14. Juni stattfindet. Das Referendum sei nach jenem gegen die Billag-Gebühren eingereicht worden, deshalb habe die Zeit nicht gereicht, die Unterschriften zu kontrollieren und zu beglaubigen.
Vielleicht ist ohnehin alles ganz anders. Der Bundesrat habe die Abstimmung auf 2016 verschoben, weil er wegen der Frankenstärke mit einer Rezession rechne, lautet eine Vermutung. In einem solchen Umfeld könnte das Stimmvolk eher zu einem Ja bereit sein. Doch solche Spekulationen fallen definitiv in die Kategorie Verschwörungstheorie.