Es war ausgerechnet eine neue Sicherheitsmassnahme, die dem Germanwings-Piloten Andreas Lubitz ermöglichte, seinen mörderischen Plan umzusetzen. Lubitz brachte am 24. März 2015 in den französischen Alpen einen Airbus zum Absturz und riss 149 Menschen mit in den Tod. Er wartete, bis der zweite Pilot auf die Toilette musste, und leitete dann den Sinkflug ein. Als sein Kollege zurück ins Cockpit wollte, liess ihn Lubitz nicht rein. Und weil die Cockpittüren in den meisten Passagierflugzeugen nach dem 11. September so umgebaut wurden, dass man sie nur noch von innen her öffnen kann, konnte niemand Lubitz stoppen.
Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (Easa) zog aus dem Vorfall Konsequenzen und empfahl den Fluggesellschaften, dass zu jedem Zeitpunkt eines Fluges zwei Personen im Cockpit sein müssen. Die Swiss setzte den Vorschlag sofort um. Seither kommt jedes Mal, wenn ein Pilot das Cockpit verlässt, ein Mitglied der Kabinen-Crew nach vorne.
Eine Umfrage der Easa, an der 3287 Piloten aus 56 Ländern teilnahmen, zeigt nun: 90 Prozent der Piloten sind nicht zufrieden mit dieser Regel. Sie geben an, dass durch die Zwei-Personen-Regel zusätzliche Sicherheitsrisiken entstanden seien, zum Beispiel psychologischer Stress, hohe Belastung für die Kabinen-Crew und Ablenkung der Piloten. Die Easa hat deshalb ihre Empfehlung angepasst. Neu schreibt sie, die Airlines sollen die Risiken der Zwei-Personen-Regel individuell auswerten und selbst entscheiden, ob sie sie weiterführen oder kippen wollen.
Haben die Piloten das Cockpit bald wieder für sich? Die Swiss hält vorläufig an der Zwei-Personen-Regel fest. Sprecherin Karin Müller erklärte, dass man die Bedingungen, unter welchen man die Regel abschaffen könnte, derzeit evaluiere und mit der Lufthansa-Gruppe abstimmen werde. «Ein Entscheid ist nicht vor Ende dieses Jahres zu erwarten.»
Beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl), das die Sicherheitsmassnahmen der Swiss prüft, sah man die Zwei-Personen-Regel von Beginn weg kritisch an. «Die Einführung war auch eine Reaktion aus politischen Gründen, weil man schnell auf den Germanwings-Absturz reagieren musste», sagt Bazl-Sprecher Urs Holderegger. Heikel sei insbesondere, dass durch die Regel auch Personen ins Cockpit gelangen, die keine aufwendigen Sicherheitschecks durchlaufen müssen. «Dass Kabinenpersonal nach vorne muss, wenn ein Pilot das Cockpit verlässt, kann zu einem neuen Risiko führen, weil die Flugbegleiter während der Ausbildung nicht durch dieselben Sicherheitsscreenings müssen wie die Piloten.»
Personen, die sich bei der Swiss als Flugbegleiter bewerben, müssen einen Strafregisterauszug der vergangenen fünf Jahre einreichen und detaillierte Auskunft darüber geben, welche Länder sie bereist und für wen sie gearbeitet haben. Dazu kommen ein Testtag und medizinische Abklärungen.
Trotzdem sehen die Piloten die Regel kritisch. «Die Verantwortlichen wissen, dass die Probleme nicht mit Flugbegleitern im Cockpit gelöst werden können», sagt Henning Hoffmann, Geschäftsführer des Pilotenverbands Aeropers. Nicht zuletzt deshalb, weil durch die Regelung die Cockpit-Tür länger offen stehe, was das gewalttätige Eindringen ins Cockpit theoretisch vereinfache.
Beim Pilotenverband setzt man viel mehr auf Prävention. Auslöser der Zwei-Personen-Regel sei schliesslich ein psychologisches Problem eines Piloten gewesen. «Es geht deshalb darum, die Sicherheitskultur für unsere Piloten zu verbessern. Das heisst, gute Arbeitsbedingungen erhalten und sicherstellen, dass man mit Problemen jederzeit zu einer geeigneten Ansprechperson gehen kann», sagt Hoffmann.