Es ist das älteste Gewerbe der Welt – und dazu auch noch ein äusserst lukratives. In der Schweiz kaufen 350’000 Männer mindestens einmal pro Jahr Sex. Anders ausgedrückt ist das jeder fünfte erwachsene Mann. Um dieser grossen Nachfrage nachzukommen, prostituieren sich bis zu 20’000 Personen, von denen die meisten dem weiblichen Geschlecht angehören.
Die genannten Zahlen sind Schätzungen von Fachstellen, schreibt der «Tages-Anzeiger». Obwohl Sexarbeit legal ist, sei die Branche undurchsichtig.
Die Frauen müssen ihrer Arbeit unter schweren Voraussetzungen nachgehen. Täglich erfahren sie Gewalt, Menschenhandel ist keine Seltenheit und durch die organisierte Kriminalität wird dauernd Nachschub an jungen Frauen aus dem Ausland gesichert. Beispielsweise lockt die nigerianische Mafia Mädchen mit falschen Zusicherungen und schleust sie durch Europa in die Schweiz, wo sie zwangsweise verkauft werden.
Obwohl das Sexgewerbe ein riesiger Markt ist und Missstände an der Tagesordnung stehen, ist das Thema bislang politisch eher spärlich behandelt worden. Dies soll sich nun aber ändern: Aus der Mitte werden Stimmen laut, den Schutz für die Frauen zu erhöhen und die Freier und Bordellbesitzer dafür stärker in Rechenschaft zu ziehen. Die Mitte-Frauen haben kürzlich ein Grundlagenpapier dazu verabschiedet und bereiten nun verschiedene Vorschüsse vor – geprüft wird auch eine Volksinitiative für ein nationales Prostitutionsgesetz.
Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen, sagt dazu: «Nur wenige Menschen prostituieren sich freiwillig.» Die meisten der Frauen seien Opfer von Armut, Zwang, sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten, Gewalt oder sogar Menschenhandel. «Wir wollen uns für sie einsetzen», meint Bachmann-Roth. Sie und ihre Kolleginnen wollen eine nationale Reform anstossen, um das Sexgewerbe stärker zu kontrollieren und zu beschneiden.
Prostitution ist bislang vor allem kantonal geregelt. Auf Bundesebene ist Menschenhandel, Zuhälterei und bezahlter Sex mit Minderjährigen strafbar. Strengere Gesetze für Freier müssten ebenfalls national verankert werden.
Wenn es nach den Mitte-Politikerinnen ginge, würden Freier unter Strafandrohung dazu verpflichtet werden, das Alter und Arbeitsumfeld der Frauen sowie deren Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung genauer zu kontrollieren. Einen Verdacht auf Menschenhandel oder Zwangsprostitution müssten die Sexkäufer der Polizei aus eigener Initiative angeben.
Die Freier sollen ausserdem bestraft werden, wenn sie den Sex ausserhalb der definierten Strichzonen erwerben. Und auch Bordelle sollen stärker kontrolliert werden. Zusätzlich soll es eine Kondompflicht geben. Die Freier sollen zu Schulungen verpflichtet werden, falls sie gegen diese Regeln verstossen, meint Bachmann-Roth.
Mit den neuen Massnahmen sollen die Prostituierten schneller von der Gesundheits- und Altersvorsorge profitieren und staatlich finanzierte Programme sollen den Personen helfen, welche aus der Branche aussteigen wollen. Ausgebaut werden soll ebenfalls die Präventionsarbeit, bei welcher die Gefahren der Prostitution Thema seien.
Das Mitte Mai verabschiedete Papier war davor stark diskutiert worden. Die Mutterpartei hat noch keine festgelegte Haltung zum Thema, das Ganze stehe noch am Anfang.
Die neuen Forderungen erwecken Assoziationen an das sogenannte nordische Modell, das vor 26 Jahren in Schweden eingeführt wurde. Auch bei diesem Modell wurden Ausstiegsprogramme für Prostituierte sowie Präventionsarbeit gefördert. Nur eine Ausnahme gibt es: In Schweden gilt ein strenges Sexkaufverbot. Andere Länder wie Norwegen, Kanada oder Frankreich haben das gleiche Verbot verhängt.
«Wir wollen einen Schweizer Weg beschreiten, der den Sexkauf deutlich stärker regulieren, aber nicht ganz verbieten will», meint Bachmann-Roth. Schon 2022 ist ein Sexkaufverbot in der Schweiz im Nationalrat nicht durchgekommen. Eine grosse Mehrheit meinte damals, dass sich die Prostitution in die Illegalität verschieben würde und die Frauen noch gefährdeter wären.
Die Stimmen nach schärferen Massnahmen wurden in letzter Zeit aber lauter. Frauen aus verschiedenen Parteien und Kantonen bildeten die Gruppe Pro Reform, welche mit kantonalen Vorstössen den Missständen im Sexgewerbe Einhalt bieten will. Von den Frauen der Mitte-Partei gab es zuletzt ein halbes Dutzend Vorstösse, und auch Frauen von GLP, EVP und SP sind engagiert.
Olivia Frei, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Zürich, die ein Sexkaufverbot fordert und die Projektgruppe Pro Reform gegründet hat, sagt: «Wir sind heute weiter denn je in dieser Debatte – in den letzten drei Jahren hat sich viel getan.»
Es gebe jedoch auch Gegenstimmen: «Wir spüren, dass die Gegnerinnen eines Sexkaufverbots nervös werden. Die Auseinandersetzung wird heftiger», meint Frei. Die gewerkschaftlichen Vereinigungen Procore und Sexworkers Collective sowie die Fachstelle für Frauenhandel und -migration FIZ hätten schon gegen eine Lesung der Frauenzentrale demonstriert, bei der ein schwedischer Polizist aus seinem Buch über das nordische Modell las.
Lelia Hunziker, FIZ-Geschäftsführerin und Aargauer SP-Grossrätin, ist der Meinung, die Debatte werde «medial einseitig aufgebauscht und skandalisiert». «Nur der aktuelle, pragmatische und liberale Weg schützt die Sexarbeitenden, stärkt deren Rechte und bietet die Möglichkeit, gute Arbeitsbedingungen einzufordern», sagt Hunziker.
Deshalb hätten Betroffene bei der Lesung zu einer «Mahnwache» aufgerufen. «Sie wollen, dass mit ihnen – und nicht über sie – gesprochen wird.» Rebecca Angelini vertritt die Koalition für die Rechte von Sexarbeitenden und ist Geschäftsleiterin von Procore, dem Dachverband der Beratungsstellen. Sie sagt: «Keine uns bekannte Sexarbeiterin spricht sich für ein Sexkaufverbot aus – egal, wie schwierig ihre Situation ist. Ein Verbot beraubt diese Menschen ihrer Existenzgrundlage und ihres legalen Einkommens.»
Die Koalition stelle fest, dass in Ländern mit einem Sexverbot die ärmsten Sexarbeitenden im Illegalen weiterarbeiteten, jedoch mit mehr Gewalt, Risiken für die Gesundheit und Willkür, sagt Angelini.
Bei der Debatte handle es sich um zwei Meinungen von zwei Frauengruppen: Auf der einen Seite die Fürsprecherinnen eines Sexkaufverbots, die den Körper der Frau nicht für Geld zugänglich machen möchten und auf Zwang und Missbrauch hinweisen, auf der anderen Seite die Gegnerinnen, die Sexarbeit als eine Arbeit wie jede andere sehen.
Eine aktuelle Resolution der SP bezieht sich somit auf Letzteres. «Sexarbeit ist eine von vielen Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren.» Hunziker fügt hinzu: «Für manche Menschen ist Sexarbeit die beste oder sogar die einzige Option dafür. Sie gibt ihnen Wahlfreiheit und Selbstbestimmung.»
Auch wenn die Resolution angenommen wurde, gab es auch in der SP Gegenstimmen. Die Bündner Grossrätin Silvia Bisculm sagt dazu: «Ausgerechnet unsere Partei, die Frauenrechte hochhält, normalisiert Prostitution als Arbeit – dabei ist Sexkauf fast immer Ausbeutung und Zwang.»
Die Debatte betrifft nicht mehr nur das linke Spektrum, auch die Bürgerlichen klinken sich immer mehr in die Diskussion ein. Im Bundeshaus und in den Kantonen setzten sich immer mehr Männer dafür ein, dass sich die Gesellschaft mit dem Thema befasst. FDP-Ständerat Damian Müller findet beispielsweise in einer Interpellation, es bestehe dringender Handlungsbedarf in der Prostitution. Die Lage sei «besorgniserregend», die Mehrheit der Frauen befinde sich in einer Notlage, schreibt er im Vorstoss. Auch er erwähnt das nordische Modell und fordert eine Anpassung der Gesetze.
SP-Bundesrat Beat Jans ist bei dem ganzen Thema jedoch skeptisch. Er ist der Meinung, es gebe andere Massnahmen als das nordische Modell, um die Frauen besser zu schützen. Im Ständerat nennt er als Beispiel Präventionsmassnahmen. Müller sei davon «schockiert». «Ausgerechnet ein Sozialdemokrat verweigert sich bei diesem Thema der Arbeit. Dabei könnte Jans einen runden Tisch mit allen Kantonen einberufen, an dem über einen Schweizer Weg in der Prostitution diskutiert würde», meint Müller.
Die meisten Prostituierten seien Migrantinnen, die keinen anderen Weg sähen, sich zu verkaufen. «Sie müssen Alkohol und Drogen konsumieren, um die Tätigkeit zu ertragen», sagt Müller. Das sei keine selbstbestimmte Arbeit. Müller möchte das Thema nun im Bundeshaus ausführlicher diskutieren.
Jascha Müller möchte im Gegensatz zu Müller kantonal etwas durchsetzen: Der St.Galler EVP-Kantonsrat ist Mitbegründer des Vereins Norm182, welcher ebenfalls das nordische Modell als Ziel hat. Der Verein wolle mit Fachreferaten die Bevölkerung sensibilisieren. (kek)
Das wäre ja so, als müsste man als Gast an einem Foodtruck sicherstellen, dass der Koch eine Arbeitserlaubnis und für seinen Truck eine Standerlaubnis hat.
Gibt's dafür nicht das Ordnungsamt? 🫣
Mit solchen Vorschriften treibt man die Frauen immer mehr in die Illegalität und macht Freier quasi zu Kriminellen.
Dieser Menschenhandel ist nicht mit einfachen Gesetzen in den Griff zu kriegen, sondern nur mit gezielter Ermittlungsarbeit. Denn die Gesetze machen den Menschenhändlern im Hintergrund gar nichts.