Das sind nur zwei Beiträge von 235'627.
Nur zwei User von 77'425.
Zwei mutmassliche Straftaten von wer weiss wie vielen.
All das passiert auf der frei zugänglichen Internetseite AO-Forum.to, die seit 2007 online ist. Hier tauschen sich Schweizer Freier über Sexarbeiterinnen aus, bewerten sie, benutzen und brechen sie. Zwischen 400 und 500 Männer sind ständig online, wie das AO-Forum selbst ausweist. Männer, die «alles ohne machen» wollen. Das heisst nicht nur ohne Kondom. Sondern: ohne Schutz, ohne Kontrolle, ohne Respekt.
watson hat mit einer Sexarbeiterin über die Freier-Foren gesprochen. Melanie* ist 34 Jahre alt, ausgebildete Hotelfachfrau – und seit vier Jahren Sexarbeiterin. In der Pandemie sei sie eingestiegen – aus finanzieller Not in der Gastro. Heute arbeitet sie selbstständig, inseriert online, wählt ihre Kunden bewusst aus. Sie sagt: «Wer direkt nach ‹alles ohne› fragt, blockiere ich sofort.»
Freier-Foren wie AO kennt Melanie. «Wenn du dir als Sexarbeiterin den Tag versauen willst, musst du nur zwei Minuten auf diesen Seiten verbringen.» Viele Männer dort, sagt sie, kämen aber gar nie. Diese würden nur schreiben, um sich selbst «aufzugeilen». Melanie weiss:
Trotzdem bereiten diese Foren Melanie Sorgen. Sie, die fliessend Deutsch spreche, ein Studium begonnen habe und ihre Rechte kenne, könne sich gegen solche Männer wehren. Andere Frauen, die nicht freiwillig Sexarbeiterinnen sind, nicht. Wer keine Aufenthaltsbewilligung habe, keine Polizei rufen könne, sei den Männern ausgeliefert. «Und genau das nutzen gewisse Männer aus.»
Dabei gäbe es auch andere: Stammkunden, respektvolle Freier, Männer, die zuhörten. «Aber die schreiben keine Bewertungen.» Dennoch fordert Melanie mehr Rechte für Sexarbeiterinnen – und konkrete Hilfe für Frauen ohne gesicherten Aufenthalt. «Wir müssen helfen. Und zwar nicht, indem wir Sexarbeit illegalisieren, sondern indem wir sie sicher machen.»
Ein besonders verstörender Beitrag auf dem AO-Forum stammt vom User Direkt77*, der im Dezember 2024 über eine Begegnung mit einer «tschechischen» Sexarbeiterin in der Zentralschweiz schreibt. Der Mann schildert detailliert, wie er gegen den ausdrücklichen Willen der Frau ohne Kondom in sie eindringt – und stellt das als Triumph dar:
Als die Frau realisierte, was passiert sei, habe sie ihn beschimpft, dass er sie «hintergangen habe». Der Freier reagiert jedoch nicht mit Einsicht über seine begangene Straftat, sondern mit Spott. So schreibt er weiter:
Er endet seinen Beitrag mit einer Wegbeschreibung zur Wohnung der Frau, einem abwertenden Kommentar über ihren Körper – und veröffentlicht ihre Handynummer.
watson hat die beschriebene Frau kontaktiert. Wir nennen sie Ivana*. Sie sagt nur: «Natürlich kenne ich diese Foren.» Sie arbeite seit 20 Jahren im Gewerbe, da wisse man, was dort geschrieben werde. Auf den konkreten Beitrag angesprochen, reagiert sie angespannt: «Ich will dazu nichts sagen». Dann legt sie auf mit den Worten:
Wulf Rössler, emeritierter Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich, warnt:
Besonders gefährlich sei die gruppendynamische Wirkung solcher Plattformen. «Männer, die solche Fantasien hegen, bekommen hier Applaus. Dadurch verschieben sich ihre Grenzen.» So entstehe ein sozialer Sog, der zu immer extremeren Praktiken dränge.
Rössler sieht ähnliche Dynamiken wie bei Cybermobbing – «doch bei Sexarbeiterinnen kommt hinzu, dass die Gewalt nicht nur verbal bleibt – sondern sich im echten Leben fortsetzt».
Was im Netz als Fantasie beginnt, kann auch in einem Wohnblock im Kanton Solothurn enden, wie eine Videoreportage von watson zeigt.
Rössler verweist zudem auf Studien, die ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen bei Sexarbeiterinnen belegen – vor allem, wenn sie Gewalt durch Freier erleben. Die Folgen: Depression, Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung.
Freier-Foren wie jenes, das watson untersucht hat, sind für Rössler «eine Parallelwelt der Machtausübung mit echten Opfern». Parallelwelten, welche die Gewalt durch Freier befeuern können. Er sagt:
Auch 2019 berichtete der «Beobachter» über ein fast identisches Forum: «Sexy-Tipp.to». Dieses ist noch grösser: 102’000 User verzeichnet die Plattform, über 470’000 Beiträge. Betrieben wird die Website über Panama, gehostet in Tonga – und somit unantastbar für Schweizer Behörden.
watson hat die Cybercrime-Abteilung der Kantonspolizei Zürich kontaktiert, mit der Frage, ob solche Foren aktiv strafrechtlich geprüft und gescannt werden. Auf Anfrage teilt diese mit:
Die Kantonspolizei könne nur dann die «notwendigen Ermittlungen einleiten, wenn wir Kenntnis von einer Straftat haben».
Konkret: Wenn sich Betroffene nicht selbst melden, passiert nichts. Und so können sich die Freier in ihren «Täter-Foren» weiterhin frei bewegen.
*(Namen von der Redaktion geändert)
Das sind Abgründe und ich kann kaum glauben was ich hier gelesen habe.
Ich hoffe es gibt Karma …
Wichtiger als die Foren verbieten fände ich die Sexworkerinnen zu stärken und zwar nicht mit einem Sexkaufverbot. Diejenigen, die den Job freiwillig (nicht gerne, aber auch nicht unter direktem Zwang) machen, trifft ein solches viel härter als irgendwelche Menschenhändler, die Frauen schon heute illegal in die Schweiz bringen.
Über bessere Schutzmassnahmen als das Sexkaufverbot könnte man auch Mal ausführlich berichten. Diese würden vermutlich mehr bringen als Freierforen kontrollieren zu wollen.