Bundesrat werden? Nein, danke. In der Mitte-Partei nimmt sich ein Favorit nach dem anderen aus dem Rennen um die Nachfolge von Bundesrätin Viola Amherd. Die Freiburger Ständerätin Isabelle Chassot? Hat keine Lust. Der St.Galler Ständerat Beni Würth? Will nicht. Noch-Parteipräsident Gerhard Pfister? Absage.
Am Montag hat mit dem Bündner Nationalrat Martin Candinas nun auch der letzte verbliebene Mitte-Topshot, dem Ambitionen nachgesagt worden waren, seinen Verzicht bekannt gegeben. «So einzigartig und reizvoll das Amt des Bundesrates auch ist, entfacht es derzeit kein inneres Feuer in mir», begründete Candinas sein Nein. Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy sowie die Ständeräte Heidi Z'graggen aus Uri und Pirmin Bischof aus Solothurn wollen ebenfalls nicht.
Die Absagen sind bemerkenswert. Einst das Ziel der meisten Politikerinnen und Politiker unter der Bundeshauskuppel, ist das Bundesratsamt für viele zur Strafaufgabe verkommen. Wieso bloss?
Pfister, der jahrelang als möglicher Bundesrat gehandelt worden war, führt die aktuellen Machtverhältnisse in der Regierung als Grund für seinen Verzicht an. So hat Mitte-Bundesrätin Viola Amherd dem Vernehmen nach unter der Übermacht von FDP und SVP im Bundesrat gelitten. Ein Insider beklagt, dass sich «das rechte Kartell» vor den Bundesratssitzungen systematisch abspreche und mit seiner Vierermehrheit faktisch die Entscheide fälle.
Die Marschrichtung bestimmten dabei die Alphatiere Albert Rösti (SVP) und Karin Keller-Sutter (FDP). Rösti bringe seinen Parteikollegen und Wirtschaftsminister Guy Parmelin auf Kurs, Keller-Sutter kümmere sich um den FDP-Aussenminister, sagt ein Beobachter.
Die Stärke des rechten Blocks ergibt sich aber auch durch die relative Schwäche der linken Bundesräte, sagen andere. Mit dem einstigen Gesundheitsminister Alain Berset hatte auch die SP lange eine starke Figur im Bundesrat, die zu taktieren wusste. Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans hingegen haben dem Viererblock, ist zu hören, wenig entgegenzusetzen.
Das Powerplay von FDP und SVP spielt laut Quellen im Umfeld des Bundesrats praktisch in allen Bereichen – und sei mit ein Grund für Amherds Rücktritt. Die Erzählung ist aber auch mit Vorsicht zu geniessen: Sie dient letztlich der Legitimation für einen Angriff auf einen der beiden FDP-Sitze, um den Viererblock aufzubrechen.
Dass das Amt an Attraktivität verloren hat, dürfte indes auch mit der zunehmenden Polarisierung zu tun haben. Die Diskussionskultur wird rauer, Angriffe persönlicher. Auf lokaler Ebene ist es schon lange enorm schwierig, Freiwillige für politische Ämter zu finden. Nun ist der Fachkräftemangel offenbar auch im Bundesrat angekommen. Eine Person aus dem Umfeld des Gremiums sagt: «Man muss sich heute schon fragen: Warum soll ich mich abrackern dafür, dass ich ständig der Buhmann bin?» Man müsse sich gut überlegen, ob man sich das antun wolle.
Bei vielen Absagen kommt die Unvereinbarkeit mit der Familie hinzu, die nun auch Männer erreicht. So begründete Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy seine Absage mit seinen Kindern (drei- und achtjährig): «Ihre ersten Lebensjahre erlebe ich nur einmal.»
Offenbar sind Politikerinnen und Politiker nicht mehr bereit, ihr Privatleben komplett dem politischen Amt unterzuordnen. Die Work-Life-Balance, Schlagwort der Generation Z, ist auch für Bundesratsanwärter ein Thema.
Und wär das nicht der Gründe genug, gibt's noch ein weiteres Argument, das abschreckt: Mit dem Verteidigungsdepartement wird das unbeliebteste aller Departemente frei – veränderte geopolitische Ausgangslage hin oder her. Zwar kann der oder die Neue mehrere Milliarden zusätzlich ausgeben, doch wofür, ist umstritten. Fast im Wochenrhythmus werden neue Beschaffungs-Flops bekannt, die Probleme türmen sich.
Kein Wunder, fehlt da nicht nur Martin Candinas das «innere Feuer». Die Rennleitung gibt sich betont gelassen. Die Mitte verfüge über eine breite Auswahl an hervorragend qualifizierten Persönlichkeiten, die für das Amt geeignet seien, betonten Parteipräsident Gerhard Pfister und Fraktionschef Philipp Bregy am Montagnachmittag gegenüber den Medien. Dabei unterstrichen sie auffällig die Tatsache, dass die Partei über viele Regierungsrätinnen und Regierungsräte verfügt.
Wer also traut sich?
Eine mögliche Kandidatin wäre beispielsweise die Nidwaldner Justizdirektorin Karin Kayser-Frutschi. Die Partei habe mit ihr Gespräche aufgenommen, sagt sie zu CH Media. Noch habe sie keinen Entscheid gefällt. «Ich muss abwägen, ob es der richtige Zeitpunkt für mich ist und ob ich überhaupt will.» Der Aargauer Regierungsrat Markus Dieth wollte sich bisher ebenfalls nicht äussern. Und auch der einstige CVP-Präsident und heutige Walliser Staatsrat Christophe Darbellay lässt sich nicht in die Karten blicken.
Zwar stellt sich Darbellay am 2. März bereits der Wiederwahl in den Walliser Staatsrat – gerade einmal zehn Tage vor dem voraussichtlichen Termin für die Bundesratswahlen. Doch für ihn ist das kein Hinderungsgrund. Die Walliser Bevölkerung würde verstehen, wenn er sich im Fall der Fälle für den Bundesrat und gegen den Staatsrat entscheiden würde, ist Darbellay überzeugt.