Blochers letzte Schlacht: «Wir werden über den Tisch gezogen»
Der grösste Saal des Kantons Nidwalden ist gefragt: In der Mehrzweckhalle in Stans drängen sich an diesem Oktoberabend 650 Gäste. Sie lauschen den Worten von Christoph Blocher – dem Zürcher SVP-Mann, der das Volk aufruft, die Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen und nicht an Europa abzutreten. Der vom Widerstand gegen die Classe politique spricht, vom Kampf David gegen Goliath. «Wie in einer Kirche haben Sie dem Missionar zugehört», lobt er zum Schluss das Publikum.
Das war im Jahr 1992. Blocher zog damals als Wanderprediger gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) durchs Land – und brachte das Volk fast im Alleingang auf seine Seite. Zumindest jene 50,3 Prozent, die den EWR-Beitritt an der Urne ablehnten.
Der spitze Vergleich zum F-35
Jetzt, 33 Jahre später, wirft der alt Bundesrat erneut seinen Hut in den Ring, um die institutionelle Annäherung der Schweiz an Europa zu stoppen. Er will die Verträge, die der Bundesrat mit der EU ausgehandelt hat, bodigen. «Wir haben 1992 gegen alle gewonnen, die sogenannt Rang und Namen haben. Und so wird es auch jetzt wieder herauskommen», sagt Blocher am Montagnachmittag im Hotel Bern.
Während der 85-Jährige heute seine Ellbogen auf dem Tisch abstützt und gelegentlich vom Manuskript abliest, ist sein Hauptargument unverändert: Mit den neuen Verträgen würde sich die Schweiz der EU «unterwerfen». Schon der Umfang von 900 Seiten rufe nach einer Ablehnung, findet Blocher. Er beweist mit einer spitzen Bemerkung zum Preisdebakel um den F-35-Kampfjet, dass er politisch à jour geblieben ist. «Wir können ja nicht einmal ein paar Flieger kaufen in den USA. Schon ein solches ‹Verträglein› führt dazu, dass wir über den Tisch gezogen werden.» Bei einem Vertrag von 900 Seiten sei das erst recht der Fall.
Blocher will den Geldbeutel öffnen
Das Votum von Christoph Blocher erfolgt im Rahmen einer Medienkonferenz von Pro Schweiz, der Nachfolgeorganisation der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Der EU-kritische Verein hat zum Ende der laufenden Vernehmlassung seine (wenig überraschende) Ablehnung der neuen EU-Verträge bekannt gegeben. Pro Schweiz fordert zudem, dass bei der Abstimmung neben dem Volks- auch das Ständemehr zur Anwendung kommen soll.
War das der Auftakt Blochers zu einer erneuten Ochsentour durch die ganze Schweiz? «Ich werde mich voll engagieren», antwortet der alt Bundesrat auf eine entsprechende Frage von CH Media. Wie genau müsse er noch sehen. Sicher wird Blocher die Kampagne finanziell unterstützen – auch wenn er keinen konkreten Betrag nennen will.
In seinen Augen präsentiert sich die Ausgangslage «besser» als 1992. Damals habe er zuerst die eigene Fraktion überzeugen müssen. Heute gebe es ein breites Spektrum an Personen, die auf Podien auftreten könnten. «Ich dränge mich nirgends auf. Aber wenn ich gefragt werde, dann komme ich», stellt Blocher klar.
Hat der 85-Jährige noch genügend Energie?
Zuletzt hatte der SVP-Parteivater seine öffentlichen Auftritte reduziert. Bei der alljährlichen Albisgüetli-Tagung hält er seit diesem Jahr keine Rede mehr. Mittlerweile sei er «ja schon fast ein Passivmitglied» der SVP, meinte er vor zwei Wochen in einem Blick-Interview zu seinem 85. Geburtstag. Im Widerstand gegen die EU-Verträge will Blocher nun aber nochmals Vollgas geben, um sein Lebenswerk zu verteidigen. Hand in Hand mit seiner Tochter, SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, die sich innerhalb der SVP zur Wortführerin im EU-Dossier gemausert hat.
Dass Christoph Blocher heute nicht mehr als Einzelkämpfer agiert, ist altersbedingt auch nötig. Bekannt ist, dass er 1992 nach der gewonnenen Abstimmung völlig erschöpft war. Der damals 52-Jährige zog sich im Frühjahr 1993 drei Wochen in ein abgelegenes Jagdhaus im österreichischen Vorarlberg zurück.
Heute sagt Blocher, er sei froh, wenn er in der bevorstehenden Kampagne nicht jeden Tag ausrücken müsse. Er tue einfach, was die Kräfte noch hergeben. «Nach dem Kampf kann ich Ihnen dann sagen, ob die Energie gereicht hat.»
