Das Problem ist längst bekannt. Bereits vor der Pandemie wurde auf den Personalmangel im Pflegeberuf hingewiesen. Und dass sich dieser aufgrund der demografischen Entwicklung Jahr für Jahr verschärfe. Covid-19 rückte das Thema in den Fokus. Ausgelaugte Pflegepersonen erzählten vom Druck, der psychisch und physischen Überlastung, dem tiefen Lohn. Dies hatte zur Folge, dass die Schweizer Bevölkerung am 28. November vergangenen Jahres der Pflegeinitiative deutlich zustimmte.
Längst benötigte Massnahmen sollen nun also eingeleitet werden. Bund und Kantone müssen sicherstellen, dass genügend diplomierte Pflegefachpersonen zur Verfügung stehen. Arbeitsbedingungen, Löhne, die berufliche Entwicklung sollen besser geregelt werden. Mit finanziellen Mitteln will man die Aus- und Weiterbildung fördern. Wie genau, ist allerdings noch unklar. Das Parlament sitzt derzeit an der Umsetzung der Initiative.
Die Mühlen der Politik mahlen also – stetig zwar, aber gewohnt langsam. Währenddessen verschlechtert sich die Lage beim Pflegepersonal weiter. In den vergangenen Wochen meldeten mehrere Spitäler, darunter auch Universitätskliniken, dass sie die Kapazitätsgrenzen erreicht hätten. Das Kantonsspital Aarau musste laut der «Aargauer Zeitung» Patienten an andere Spitäler überweisen. Es fehle an Personal an allen Ecken und Enden.
Der Schweizer Spitalverband H+ bestätigte gegenüber dem «Tages-Anzeiger», die Situation sei praktisch in der ganzen Schweiz angespannt. Etliche Spitäler und Kliniken hätten Mühe, Gesundheitspersonal zu finden. Und nur mit genügend Personal könnten auch genügend Betten betrieben werden. Christina Schumacher, stellvertretende Geschäftsführerin des Berufsverbands der Pflegefachpersonen (SBK) sagt, sie höre derzeit von Spitälern, die bis zu 20 Prozent der Betten nicht benutzen könnten, weil das entsprechende Personal fehle.
Genau beziffert werden kann die Personalknappheit in der Pflege nicht. Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium analysiert (Obsan) die Lage nur alle fünf Jahre. Der letzte Bericht stammt aus dem Jahr 2021. Da lautete die Prognose, dass den Schweizer Gesundheitsinstitutionen bis 2030 rund 20'000 ausgebildete Pflegekräfte fehlen werden.
Eine genauere Vorstellung vom derzeitigen Engpass in den Spitälern gibt der aktuelle Jobradar, der vierteljährlich die ausgeschriebenen Stellenangebote untersucht. Per Ende drittes Quartal waren 7317 Stellen von diplomierten Pflegefachpersonen nicht besetzt. Für alle Pflegeberufe, also auch solche ohne Diplom, gab es 14'828 ausgeschriebene Stellen. Das waren so viele wie noch nie. Keiner Branche fehlt mehr Personal. Unter den Top 25 der meisten ausgeschriebenen Berufe in der Schweiz belegt die Pflegefachperson laut dem Jobradar den ersten Rang.
«Das ist ein Podestplatz, den wir gerne nicht hätten», sagt Schumacher vom Berufsverband SBK. Sie anerkennt zwar die Bemühung des Parlaments, mit der Pflegeinitiative vorwärtszumachen. «Doch es steigen weiterhin jeden Monat 300 Personen aus dem Pflegeberuf aus. Personen, die jetzt, mit der heranrollenden Grippewelle und den erneut steigenden Corona-Zahlen dringend benötigt werden.»
Auch in den Kinderkliniken ist das Personal stark gefordert. Vergangene Woche warnte die Fachorganisation der Schweizer Kinderkliniken vor einem Versorgungsmangel in Hinblick auf den Winter. Die Kindernotfall-Stationen würden wegen zunehmenden Personalmangels und steigender Notfallkonsultationen immer häufiger an ihre Belastungsgrenze geraten.
Auch Schumachers Prognose für die kalte Jahreszeit ist düster. «Ich befürchte, dass es sehr, sehr schwierig wird.» Bereits jetzt müssten geplante Eingriffe wieder zurückgestellt werden. Von einem drohenden Kollaps zu sprechen, sei allerdings falsch. Vielmehr sei der Personalnotstand eine Erosion, die bereits vor Jahren begonnen habe, sich stetig und immer schneller fortsetze. «Das hat zur Folge, dass die Gesundheitsversorgung in der Schweiz immer schlechter wird. Dieser Prozess hat schon längst eingesetzt.»
Darum brauche es jetzt Sofortmassnahmen. Dazu hat der SBK zusammen mit den Gewerkschaften einen Fünf-Punkte-Plan ausgearbeitet und der Politik vorgelegt. Das Ziel sei, die Berufsausstiege mit besseren Arbeitsbedingungen zu stoppen. Mehr Freizeit, mehr Entlastung, mehr Lohn, kurzum: Mehr Geld. Schumacher sagt: «Die entscheidende Frage ist am Schluss, wie viel das Schweizer Gesundheitswesen der Politik wert ist.»
Gewinne schöpfen - Verluste abgeben?
Das war ein weiterer Schuss ins Knie der Politiker!
Und trotzdem möchte ich keinen anderen Beruf…
Denn angeblich kann sich das Spital nicht mehr Personal leisten. Wenn dem wirklich so ist, braucht es definitiv einen höheren Beitrag der Kantone, denn die Idee der Wochenarbeitszeitreduktion wäre ja eigentlich super und würde den Beruf sicher wieder attraktiver machen.