Da wurde offenbar in ein Wespennest gestochen. Nachdem die «Sonntagszeitung» über eine Studie berichtete, die angeblich enthüllt, dass Linke gegenüber anderen Meinungen besonders intolerant sind, ging es in den Kommentarspalten hoch zu und her.
«Bewusst war uns das schon länger, jetzt ist es belegt», jubelt dort stellvertretend ein Kommentator. «Diese linken Gesellschaftsspalter sollte man zur Rechenschaft ziehen für das, was sie der Gesellschaft antun», doppelt ein anderer nach. Und ein Dritter sah seine Meinung bestätigt: «Die Intoleranz der ach so Toleranten sieht man regelmässig.»
Mindestens so laut folgte die Gegenrede. «Wie tolerant ja die Konservativen sind, wenn es plötzlich linke Mehrheiten gibt, sieht man in Zürich deutlich», kontert eine Leserin. Eine andere kommentiert: «Man kann Intoleranten gegenüber nicht tolerant sein.» Deutlich wütender ist da ein dritter Leser: «Die Toleranzgrenze gegenüber Rassismus, Konspirationstheorien, offenem Sexismus, Klimaskeptikern und so weiter ist null, da die vertretenen Meinungen wissenschaftlich, sozial, politisch und wirtschaftlich objektiv gesehen falsch und moralisch untragbar sind.»
Dann hast Du die Studie schlecht gelesen. Das lange Kapitel mit den thematischen Differenzierung der aP beginnt mit dem zentralen Thema europäischen Migration. Das Ergebnis ist nicht überraschend, keine Gruppe ist hier so stark affektiv polarisiert wie „Rechte un Rechtsextreme“.… pic.twitter.com/EJPJH4LVpE
— Claude Longchamp (@claudelongchamp) July 31, 2023
Aber nicht nur halbanonyme Kommentarschreiber gaben sich ob der Studie aufs Dach, auch zwei der bekanntesten Politologen der Schweiz gerieten sich in die Haare. Claude Longchamp wirft Michael Hermann vor, dass dieser «die Studie schlecht gelesen» habe. Hermann wird im Artikel der «Sonntagszeitung» zitiert. Er sagt darin unter anderem, dass wer in den Augen der Linken zur Kategorie der Bösen oder Unterdrücker zähle, für den oder die würden die Regeln der Empathie nicht gelten.
Polit-Fuchs Longchamp stört sich vor allem daran, dass die Studie seiner Meinung nach falsch interpretiert wurde. So komme das Wort «Intoleranz» gar nie vor, sondern es gehe um affektive Polarisierung. Wer affektiv polarisiert sei, könne eine gegenteilige politische Meinung nicht nachvollziehen, müsse deswegen aber nicht zwangsläufig Personen mit einer solchen Meinungen ablehnen.
Auch einer der Studienautoren kann mit den Schlussfolgerungen aus dem Artikel nur begrenzt etwas anfangen: «Das Fazit ist etwas anders», sagt Hans Vorländer, Professor für politische Theorie an der Technischen Universität Dresden gegenüber «SRF».Die Untersuchung habe aufgezeigt, dass Linke wie auch rechte Gruppierungen besonders affektiv polarisiert seien. Sie sind es einfach bei anderen Themen.
Während Wählerinnen und Wähler der Linken etwa beim Klimawandel andere Meinungen ablehnen, ist es bei den Sympathisanten der Rechten das Thema Migration, bei dem sie keine abweichenden Meinungen nachvollziehen können. «Ähnliche Muster zeigen sich links und rechts auch bei anderen Themen wie Sozialleistungen und Wohlfahrtsstaat, Gleichstellung von Frauen und Männern oder Schutz sexueller und anderer Minderheiten», so Vorländer.
Ganz grundsätzlich sieht aber auch der Studienautor eine stärkere Polarisierung in den urbanen Ballungszentren. «Gut ausgebildete, in Städten lebende Personen oft mit höherem Einkommen sind zum Teil stärker polarisiert als Menschen, die formal weniger gut ausgebildet sind», sagt Vorländer. Möglicherweise, so sagt er, hätten sie eine stärkere Überzeugung, mehr politischen Gestaltungswillen und bewegten sich in stärker ausgebildeten Blasen. «Sie glauben zu wissen, was zu tun ist und sind darum ablehnender gegenüber Andersdenkenden.»
Die Studie wurde übrigens in zahlreichen Ländern durchgeführt, nicht aber in der Schweiz. Die Resultate variieren zwischen den einzelnen Ländern durchaus stark. Während Politologe Hermann in der «Sonntagszeitung» glaubt, dass man hierzulande «grundsätzlich zu ähnlichen Resultaten kommen würde», erhebt Politologe Longchamp im «Blick» Einspruch. Es gebe schlicht keine aktuellen Untersuchungen.
«Was ich feststelle, ist eine sachbezogene Polarisierung bei Abstimmungen. Da geben wir uns teilweise schon wüst um die Ohren», so Longchamp. In der Schweiz verhindere aber unter anderem das Mehrparteiensystem eine komplette Polarisierung, da geben sich Parteien zwar immer mal wieder gegenseitig «aufs Dach», würden kurz darauf aber wieder neue Allianzen bilden. Wichtig sei es, den politischen Gegner nicht zu verunglimpfen, sagt Longchamp.
(chm//aargauerzeitung.ch)
Die politischen Pole sind naturgemäss polarisierter, deswegen sind sie ja auch politische Pole.
Letztendlich streitet man sich gar nicht über die Studie als solches, sondern über Schlagzeilen und gesuchten Interpretationen über diese.