Der Solidaritätsbeitrag für ehemalige Heim- oder Verdingkinder sei ein «Zeichen der Anerkennung des erlittenen Unrechts». So formuliert es der Bund. Gemäss Gesetz haben Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen Anspruch auf 25'000 Franken. Beschlossen wurde dies vom Parlament vor drei Jahren als Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungs-Initiative.
Viele Betroffene haben das Geld inzwischen erhalten. In einem Fall, über den das Schweizer Fernsehen SRF am Dienstag berichtete, musste die Betroffene den Behörden aber gleich wieder etwas abgeben: Das ehemalige Verdingkind wurde zur Rückzahlung von über 2700 Franken an bezogenen Ergänzungsleistungen (EL) aufgefordert. Ausserdem wurde die monatliche EL-Rente auf 220 Franken halbiert. Der «Beobachter» hatte im vergangenen Jahr einen ähnlichen Fall publik gemacht.
Dabei schrieb der Bundesrat in seiner Botschaft an das Parlament: «Es würde zu Recht als stossend empfunden, wenn der Staat mit der einen Hand Solidaritätsbeiträge (…) auszahlen und mit der anderen einen Teil dieser Beiträge (…) wieder zurückfordern würde». Deshalb solle der Solidaritätsbeitrag auch nicht besteuert werden und nicht zu Abstrichen bei der Sozialhilfe führen.
Gleichzeitig hielt der Bundesrat aber fest, der Beitrag werde bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen beim Vermögen berücksichtigt. Die Konsequenz: Übersteigt das Vermögen von Alleinstehenden durch den Solidaritätsbeitrag die im EL-Gesetz festgeschriebene Freigrenze von 37'500 Franken, kann es zu Kürzungen kommen. Bei Ehepaaren liegt die Grenze bei 60'000 Franken. Dies wurde vom Parlament dann auch so beschlossen.
Gemäss dem Urheber der Wiedergutmachungs-Initiative, Guido Fluri, wäre der Gegenvorschlag ohne diese Ausnahme nicht zustande gekommen. «Das wichtigste Ziel war, für die Tausenden älteren Betroffenen so schnell wie möglich ein Wiedergutmachungs-Gesetz durch das Parlament zu bringen.»
Er könne verstehen, dass sich Betroffene vor den Kopf gestossen und erneut ungerecht behandelt fühlten, so Fluri. Es handle sich aber um bedauerliche Einzelfälle, denn viele ehemalige Verdingkinder lebten in Armut. So werde die Schwelle beim Vermögen nur selten überschritten. «Mir sind zwei, drei Fälle bekannt.» Um einen Solidaritätsbeitrag ersucht haben etwas mehr als 9000 Personen.
Das Bundesamt für Justiz hat inzwischen sein Merkblatt für Opfer angepasst. Bisher hiess es darin lediglich, Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe dürften wegen der Auszahlung des Solidaritätsbeitrags «grundsätzlich nicht gekürzt werden». In der neuen Version ist von Kürzungen in Ausnahmefällen die Rede. Gemäss Guido Fluri ist gut beraten, wer sich mit dem Beitrag etwas Gutes tut:
Der Basler SP-Nationalrat Beat Jans hat gegenüber SRF einen Vorstoss angekündigt, der EL-Kürzungen wegen des Solidaritätsbeitrags ausschliessen soll. Bereits deponiert hat Jans einen Vorstoss zur Verlängerung der Einreichfrist. Diese lief Ende März 2018 ab, seither nimmt der Bund Gesuche um einen Solidaritätsbeitrag nur noch in «absoluten Ausnahmefällen» entgegen. Bis Ende Jahr sollen sämtliche Gesuche fertig bearbeitet sein.
Kommenden Montag wird eine unabhängige Expertenkommission unter der Leitung des ehemaligen Zürcher Regierungsrats Markus Notter nach vierjähriger Forschungsarbeit ihren Schlussbericht veröffentlichen – und dem Bundesrat auch Empfehlungen für den künftigen Umgang mit dem Thema unterbreiten.