Schweiz
Gesellschaft & Politik

«Wir Albaner sind ein Teil eurer Zukunft»

Kreshnik Kryeziu in einem Musik-Video von 2012.
Kreshnik Kryeziu in einem Musik-Video von 2012.screenshot: youtube
Aargauer Rapper «Kresh» im Interview

«Wir Albaner sind ein Teil eurer Zukunft»

Das Thema Integration ist omnipräsent. Kreshnik Kryeziu erzählt aus der anderen Perspektive, warum die Schweiz eine Heimat für ihn geworden ist. Der Albaner spricht über die SVP und weshalb ihm die Faszination junger Albaner Angst macht.
20.12.2014, 08:1120.12.2014, 08:16
Aline wüst / aargauer zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Es brauchte viel Überzeugungsarbeit, bis Kreshnik Kryeziu ins Gespräch einwilligte. Nach einem ersten Telefongespräch gingen die SMS hin und her. Kryeziu schrieb: «Ich will nicht in einem Artikel sein, wo oben Muslime steht.» In einem anderen schrieb er: «Wir Albaner wollen so sein wie ihr, aber wir können nicht, weil wir Leute haben, die uns davon abhalten mit alten primitiven Gedanken.»

Wir haben uns über die Rahmenbedingungen geeinigt und trafen uns Anfang Dezember in Aarau. Es wurde ein langes Gespräch. Rapper Kryeziu hat etwas zu sagen. Über die jungen Kosovo-Albaner, über Heimat, Integration und den Islam. Ihm zuzuhören hilft, die Menschen besser zu verstehen, deren Heimat der Kosovo ist und deren Pass oft ein weisses Kreuz ziert. 

Was Kreshnik Kryeziu besonders bewegt, sagt er noch vor der ersten Frage: «Die Leute, die das lesen, sollen wissen, dass ich jeden Glauben akzeptiere. Aber sie sollen auch wissen, dass ich von den Zehen bis zu den Haarspitzen ein Albaner bin. Wenn ich sage, ich bin ein Albaner, heisst das nicht, dass ich alle anderen hasse und nur die Albaner liebe. Es heisst, dass ich meine Werte zu schätzen weiss. Darum weiss ich auch die Werte der Schweizer zu schätzen. Mich nervt, dass sich hier viele junge Albaner mehr für den Islam interessieren als für ihre eigenen Wurzeln. Denn erst wenn du deine eigene Familie und dein eigenes Land liebst, bist du fähig, ein anderes Land zu lieben. Erst wenn du weisst, wer du bist, weisst du auch, wohin du gehst. Nur dann kannst du dich integrieren.»

Kreshnik, du bist Schweizer und trotzdem immer der Albaner, wie du selber sagst. Stört dich das?
Kreshnik Kryeziu: Nein, ich bin einfach de Albaner. Lustig ist, dass die Leute im Club immer zur Seite gehen, wenn sie mich sehen. Wir Albaner sind aber selber schuld daran, wir sind ja wirklich Schlägertypen.

Wieso seid ihr Schlägertypen? 
Ich hatte eine strenge Erziehung – ohne Fäuste und Ohrfeigen, es war eher militärisch. In der Pubertät dachte ich immer, mein Vater sei viel zu streng. Heute weiss ich, er hat es gut gemacht. Jeden Abend hat er mir und meinen Brüdern Lehrstunden über Heimatliebe gegeben, nicht über Religion. Er hat auch immer gesagt: Seid anständig, macht keinen Seich, grüsst die Leute auf der Strasse. Viele Albaner haben aber einen Vater, der ihnen sagt: «Wenn dich einer blöd anschaut, dann schmiere ihm eines.» 

Woher kommt das? 
Die meisten albanischen Väter sind so aufgewachsen, dass sie keine Schwächen zeigen dürfen – obwohl sie so viele Schwächen haben. Viele Albaner leben immer noch mit der Vorstellung, dass du gross und breit sein musst, um stark zu sein. Das kommt davon, dass wir immer Krieg hatten. Im Krieg zählen innere Werte nicht, da zählt bloss der Körper. Die Väter wollen nicht, dass ihr Kind Schwäche zeigt, weil es sonst schwul werde. Solche Sachen gibt es bei uns. Und die Mutter kann mit den Kindern nicht offen und ehrlich reden, weil ihr als Frau beigebracht wurde, den Mund zu halten. Aber das ist nicht unsere Kultur. Das ist eine andere Kultur.

Was meinst du damit? 
Die vielen Kriege und die vielen fremde Einflüsse haben unserer Kultur geschadet. In meiner Kultur ist eine Frau nicht weniger wert als ein Mann. Viele junge Albaner wollen sich aber lieber an einer Kultur orientieren, die von 10 000 Kilometer weit weg kommt, als sich auf ihre eigene zu besinnen. 

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Der rappende Albaner 
Kreshnik Kryeziu (25) ist im Alter von acht Jahren in die Schweiz gekommen. Mit seinen Eltern und zwei Brüdern ist er in Küttigen aufgewachsen und wohnt heute in Biberstein, er ist eingebürgert. Kryeziu ist gelernter Logistiker, Unteroffizier und Rapper. Als «Kresh» erlangte er regionale Berühmtheit. Soeben hat er seinen neuen Clip «De Albaner 2» auf Youtube veröffentlicht. In allen seinen Clips nimmt Kryeziu humorvoll die Vorurteile rund um Albaner auf die Schippe – also die Angst vor grossen Hunden und die Liebe zu BMWs.

Warum fasziniert der Islam so viele junge Albaner? 
Wenn du mit einem jungen Albaner im Kosovo über den Islam redest, sagt er: Hau ab damit, ich will einen Job. Aber hier in der Schweiz findet er alles so mega Islam und wird plötzlich zum Religionswissenschafter. Es ist doch so: Einer hat einen Scheiss gemacht, hat ein schlechtes Gewissen und wird dann voll religiös. Oder es geht im schlecht und er wünscht sich 72 Jungfrauen. Das macht mir Angst. Der Glaube spaltet die jungen Albaner. Wenn du zum Beispiel auf Facebook eine albanische Flagge beleidigst, kratzt das niemanden, wenn du aber Muslime kritisierst, dann bist du einfach nur noch schlecht und alle kritisieren dich.

Hassen junge Albaner die Schweiz? 
Mich ärgert es, wenn Albaner die Schweiz verfluchen. Denn wir Albaner sollten den Schweizern nicht danken, nein wir sollten ihnen die Füsse küssen. Wenn man weiss, wie arm der Kosovo ist und was die Schweiz uns wirtschaftlich bringt – ich meine, das Geld, das die Schweizer Albaner heimschicken. Die Schweiz hilft uns unglaublich stark, vielleicht nicht absichtlich. Denn die Schweizer denken ja nicht: Die Albaner sind super, jetzt helfen wir ihnen. Die Schweizer haben auch Interessen, wir Albaner putzen auch WC und arbeiten auf der Baustelle. Ich will darauf hinaus, dass wir der Schweiz etwas schulden.

Was schuldet ihr der Schweiz? 
Dass wir uns anpassen. Doch um sich anpassen zu können, muss man die Schweiz verstehen. Dann wird man nicht wütend, wenn man eine Rechnung bekommt für irgendetwas und sagt dann «Scheiss Schwiiz». Sondern man versteht, warum man in der Schweiz Rechnungen bekommt und die bezahlen muss: Ganz einfach, weil es gar nicht anders funktioniert. 

Warum verstehen das nicht alle Albaner? 
Du musst schon im Kindergarten verstehen, warum du in die Bez und nicht in die Real gehen musst. Wenn du in die Bez gehst, kannst du einen besseren Beruf lernen, kannst vielleicht studieren. Das müssen die Eltern wissen und den Kindern beibringen. Aber die Generation Eltern von uns jungen Albanern, die versteht das einfach vorne bis hinten nicht. 

Warum verstehen die Eltern das nicht? 
Mein Vater ist ein intelligenter Mensch, er ist voll der Demokrat. Aber mein Vater ist in einer anderen Welt aufgewachsen. Er kann mir nicht sagen, wie es hier wirklich läuft. Ich musste das als Kind zusammen mit meinen Brüdern alles selber lernen.

Krehs Musikvideo «Lowrider »von 2012.video: youtube

Was hast du als Kind gelernt über die Schweiz? 
Hier funktioniert es auch in der Familie wie in einer Firma. Bei uns nicht. Bei den Albaner sagt die Mutter: Räum dein Zimmer auf. Dann sagt das Kind: Ich will nicht. Die Mutter kommt, haut ihm eines. Das war es dann. Sie sagt nichts mehr. Sie kennt die Regeln der Schweizer nicht. Bei den Schweizern sagt die Mutter jeden Tag: Räum dein Zimmer auf. Es gibt Regeln. Ich hatte Glück, dass ich etwas militärisch aufgewachsen bin, darum habe ich auch Regeln gelernt.

Viele Albaner kennen aus dem Elternhaus keine Regeln? 
Ja, darum haben sie jetzt Mühe, sich zu integrieren. Vielleicht wird es einmal besser, aber da müssen auch die Schweizer mithelfen. Es gibt 340 000 Albaner in der Schweiz. Wir sind ein Teil eurer Zukunft.

«Ich werde meine Kinder besser erziehen können. Nicht besser als meine Eltern. Aber anders, weil ich die Schweiz kenne.»

Wie können Schweizer mithelfen?
Wir müssen mehr miteinander reden. Es gibt aber viele Schweizer, die wollen gar nicht reden. Dazu gehört auch die SVP. Ich schätze an der SVP, dass sie die Werte der Schweiz schützt. Aber so etwas wie die Ausschaffungsinitiative darf man nicht machen. 

Warum nicht? 
Diese Initiative gibt dummen Menschen das Gefühl, dass du sie nicht willst. Also macht er umso mehr Seich und stiftet auch noch seinen Cousin an. Ich weiss, wie wir sind: Wir können nichts zugeben. Wir können keinen Fehler zugeben, so sind wir. Wir wollen dann nur noch mehr zuschlagen. Die Ausschaffungsinitiative hat niemandem etwas gebracht.

Wo ist deine Heimat?
Mein Zuhause ist klar die Schweiz. Meine Eltern hatten ein ganz anderes Leben als ich. Mein Vater hat immer nur gearbeitet und Geld heimgeschickt. Die Leute in Albanien waren arm und hatten nichts zu essen, mein Vater hat mit seinem Lohn eine 20-köpfige Familie ernährt. Der hatte gar keine Zeit, sich dafür zu interessieren, was es hier für eine Disco gibt. Der hat nicht einmal einen Kaffee getrunken im Restaurant. Ich muss niemandem Geld schicken. Ich lebe plötzlich wie ein Schweizer. Ich werde meine Kinder besser erziehen können. Nicht besser als meine Eltern. Aber anders, weil ich die Schweiz kenne. 

Aber du fühlst dich mit dem Kosovo sehr verbunden. 
Ich würde am liebsten das Schweizer System nehmen und es in den Kosovo bringen. Wenn ich aus den Ferien im Kosovo zurückkomme und sehe, wie perfekt hier alles ist, dann merke ich bis in die Knochen rein, was es eigentlich heisst, zu leben. Ich spürte das schon, als ich acht Jahre alt war und aus diesem damals so kaputten Land in die Schweiz kam. Dort warst du nur ein Stück Fleisch. Hier spürt man, dass man eine Seele hat. 

«Ich will doch nicht, dass jemand meine schöne Stadt Aarau kaputtmacht.»

Was ist dein Traum? 
Ich würde gern ein Projekt machen und die ungebildeten Ausländer in der Schweiz anlocken und ihnen sagen, wie es hier läuft. Ihnen sagen: «Hör auf Mist zu machen. Du machst dich selber kaputt. Du hast keine Chance. Die Schweizer wollen, dass du es so und so macht. Also macht es so. Es kommt besser für dich.» Bildung ist so wichtig. Als ich als Kind in die Schweiz kam, habe ich schnell gemerkt, dass die Leute hier gebildeter sind – daran, wie sie angezogen waren, wie sie redeten, worüber sie lachten. Die Leute hier waren für mich irgendwie schöner. Vielleicht macht es Menschen schön, wenn sie gebildet sind. 

Du bist Schweizer. Fühlst du dich trotzdem manchmal ausgegrenzt?
Ich spüre, dass mich die Schweizer gern haben, weil ich nett bin. Aber ich spüre auch, dass ich nie ganz dazugehören werde. Doch wenn Krieg ausbrechen würde, dann würde ich kämpfen. Ich habe hier ein Leben, ich atme hier. Das prägt einen doch, das macht einen doch aus. Das ist meine Heimat, wo soll ich sonst hin? Ich will doch nicht, dass jemand meine schöne Stadt Aarau kaputtmacht. Und was unbedingt noch rein muss: Die albanische Kultur ist und muss europäisch sein. Denn wer unsere Geschichte kennt und weiss, wer wir eigentlich sind, der sieht auch, dass es zum Weinen ist, wer wir heute sind und wie schlecht unser Ruf ist.

Mit diesem Artikel verabschiedet sich Reporterin Aline Wüst von der «Aargauer Zeitung».

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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shivertrip
20.12.2014 11:13registriert Dezember 2014
Toller Artikel. Sollte einigen die Augen öffnen.
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Babalu
21.12.2014 00:09registriert Mai 2014
Er wurde jeden Abend vom Vater in Heimatliebe unterrichtet? Das ist ziemlich krank, da hätte der Kinderschutz ran sollen. Nationalismus jeglicher Art kotzt mich an und der albanische Nationalismus ist nicht besser als die SVP-Urschweizer-Variante, denn beide basieren auf der Vorstellung, dass durch die Herkunft einer Gruppe Eigenschaften da sind, welche diese Gruppe besser machen als den Rest. Diese Eigenschaften sind völlig fiktiv und finden Anklang bei Loosern, die als Individuen nichts taugen und sich Selbstbewusstsein in den Gruppeneigenschaften holen.
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MergimMuzzafer
20.12.2014 11:02registriert Februar 2014
Danke für dieses grossartige Interview!
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