Es ist eine Urangst der SVP: Dass sie einen strammen Parteisoldaten, der in den Bundesrat gewählt wird, früher oder später an die Bundesverwaltung verliert. Dass er sich den Argumenten der Beamten und Hausjuristen seines Departements öffnet, dass er im Regierungskollegium Kompromisse eingeht – mit Zugeständnissen sogar an die Linken. Dass er, um es mit dem Kampfbegriff zu sagen, zu einem halben SVP-Bundesrat verkümmert.
Gesucht ist aus Sicht der Partei also jemand, dem das nicht passiert. So einer wie einst Christoph Blocher – der freilich nicht zuletzt wegen seiner Kompromisslosigkeit abgewählt worden ist. Oder wenigstens einer wie Ueli Maurer. Der hörte zwar durchaus auf seine Beamten und beugte sich allerlei Sachzwängen, wie die Reform der OECD-Mindeststeuer gerade zeigt – auch wenn er in den vergangenen Jahren immer wieder so tat, als täte er das nicht. Ein Schein-Rebell im Auftrag der SVP.
Es ist diese Urangst, die in den Kreisen der SVP-Hardliner Vorbehalte gegen Albert Rösti, gegen den haushohen Favoriten für die Nachfolge Maurers, weckt. Viele SVPler ergehen sich bloss in Andeutungen. So werden neue Kriterien ins Spiel gebracht, etwa dass der neue Bundesrat aus einem Kanton stammen solle, der in den Finanzausgleich einzahlt und nicht daraus kassiert – also sicher nicht aus Bern, wie Rösti.
Am klarsten formuliert die Vorbehalte Weltwoche-Verleger und Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel. In seiner täglichen Videobotschaft hat er kürzlich ausführlich über «berechtigte Fragezeichen zur Kandidatur Rösti» referiert.
Dieser sei ein «netter» und «freundlicher» und werde in den Medien über alle Massen gelobt – Eigenschaften, die in der SVP-Führungsriege nicht als Auszeichnungen gelten. Mit Rösti verbänden sich die Hoffnungen der Nicht-SVP-Sympathisanten, dass der neue Bundesrat «nicht die klaren Linien der SVP vertreten» würde, so Köppel.
Der Weltwoche-Chef kommt auch auf Röstis Rücktritt als Parteipräsident Ende 2019 zu reden. Nach den Wahlen 2019, bei denen die SVP deutlich Wähleranteile verloren hatte, hätten sich manche in der SVP angesichts von Röstis zahlreichen Mandaten gefragt «ob da einer die eigene Karriere optimiert», ob er mehr an sich oder wirklich an die Partei und die Schweiz denke.
Weiter berichtet Köppel, dass es «das SVP-Epizentrum Zürich-Herrliberg» (Christoph Blocher, Anmerkung der Redaktion) gewesen sei, «wo die Bestrebungen entfesselt wurden», die ihn schliesslich das Amt als Parteichef kosteten. Er frage sich, ob da beim Berner nicht «ein Groll» zurückgeblieben sei, und sich Rösti, sobald er einmal Bundesrat sei, der Partei nicht mehr genügend verpflichtet fühle.
Es zeigt sich: Entgegen der verbreiteten Wahrnehmung hat Rösti das Rennen noch nicht gemacht. Oder wie es ein altgedienter Berner SVP-Politiker sagt: «Diejenigen, die Rösti nicht mehr als Präsident wollten, wollen ihn jetzt auch nicht als Bundesrat.» Nämlich? «Die Zürcher.»
Diese reden freilich beim ersten offiziellen Akt der Wahlkampagne nicht mit. Heute Donnerstagabend versammelt sich der knapp vierzigköpfige Vorstand der Berner SVP zur Nominationsversammlung. Für Rösti sollte das ein Heimspiel sein.
Kantonalpräsident Manfred Bühler rechnet damit, dass beide Berner Aspiranten, Rösti und SVP-Ständerat Werner Salzmann, als Kandidaten nominiert werden, «alles andere würde mich erstaunen». Denn «Rösti ist der bestgewählte Nationalrat des Kantons und Salzmann hat für uns den zuvor verlorenen Ständeratssitz zurückerobert».
Zweifel an der Parteitreue Röstis hegt Bühler keine. «Er ist ein konsequenter SVPler», auch wenn er «vielleicht etwas weniger direkt ist als andere», sagt er:
Ein anderer profilierter Vertreter der Berner SVP, der nicht namentlich zitiert werden will, erinnert an die Binsenweisheit, «dass es mehr braucht als die Stimmen der SVP-Fraktion in der Bundesversammlung, um gewählt zu werden». Deshalb müsse die SVP Kandidierende präsentieren, die über die eigene Fraktion hinaus wählbar seien.
Daran dürfte Röstis Kandidatur nicht scheitern. Seit Tagen erhält er Lob aus anderen Parteien: Er sei verlässlich und bereit, dazuzulernen, halte sich an Abmachungen. Dass er in der letzten Session mit SP-Fraktionschef Roger Nordmann einen Deal vereinbarte zum Ausbau der Grimsel-Staumauer, und dass er diesen dann auch noch gegen den Widerstand von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi durch die Fraktion brachte, wird ihm in anderen Parteien als Meisterleistung ausgelegt.
Scheitern kann Rösti folglich nur an den Widerständen innerhalb seiner eigenen Partei. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Findungskommission unter der Leitung von alt Fraktionspräsident Caspar Baader. Einsitz haben unter anderen auch Thomas Aeschi sowie alt SVP-Präsident Toni Brunner.
Die Kommission führt Hearings durch und prüft die von den Kantonalparteien nominierten Kandidierenden auf Herz und Nieren: Schulden? Affären? Die politische Verlässlichkeit, so heisst es, stehe hier nicht zur Debatte.
Über diese zu urteilen, das obliegt schliesslich der SVP-Fraktion im Bundeshaus: In einem geheimen Wahlverfahren bestimmt sie das offizielle Ticket. Wenn also Rösti und die anderen Kandidierenden jetzt von ihren Parteifreundinnen und -freunden hören, dass diese sie sicher nominieren werden, können sie so sicher nicht sein. Denn schon jetzt gilt: Nie wird im Bundeshaus so viel gelogen wie vor Bundesratswahlen.
Kommt die Parteiausschluss-Klausel dazu, welche die SVP nach der Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf eingeführt hat: Ein SVP-Mitglied, das seine Wahl annimmt, obwohl es nicht nominiert worden war, wird aus der SVP ausgeschlossen. Auf die Frage, ob er eine Wahl auch als wilder Kandidat annehmen würde, gab Rösti bei der Lancierung seiner Kandidatur keine klare Antwort.
Das übernimmt jetzt bemerkenswerterweise der ehemalige Berner SVP-Nationalrat Adrian Amstutz, auch er ein Hardliner und – wie in der Berner SVP zu hören ist – «kein besonders enger Freund von Rösti». Er sagt auf Anfrage: «Albert Rösti würde eine Wahl als ‹Wilder›, als nicht offizieller Kandidat der SVP-Fraktion, nie annehmen, dafür lege ich die Hand ins Feuer.» Auf die Frage, warum er da so sicher sei sagt der langjährige SVP-Fraktionspräsident: «Weil ich ihn kenne. Weil er so etwas gegen den Willen seiner Fraktion nie und nimmer macht.»
Man kann das als Vertrauensbeweis lesen. Oder als kaum verhüllte Drohung, dass die Partei einen wild gewählten Rösti nie und nimmer als Bundesrat akzeptieren, sondern als Verräter verstossen würde. (cpf/aargauerzeitung.ch)
Lausige Partei.