Manchmal liegt Mekka in Berlin – in diesen Tagen gilt das zumindest für die Eisenbahnbranche. Wer Rang und Namen hat, pilgert derzeit in die deutsche Hauptstadt, um bei der Fachmesse «Innotrans» mit den neusten Innovationen bei Bahn und Verkehrstechnik vertraut zu werden. Eines der dort diskutierten Themen: selbstfahrende Züge. Was derzeit noch futuristisch klingt, könnte in mittlerer Zukunft Realität werden.
Unabhängig von der Berliner Technikmesse kommt aus der eisenbahnaffinen Schweiz nun ein Einwurf, der in der Branche nicht unerhört bleibt: Wie Radio SRF gestern berichtete, plant die Südostbahn (SOB) auf ihrem Streckennetz ein Pilotprojekt mit automatisch betriebenen Zügen. Bereits vor zwei Wochen wurde ein ähnliches Projekt der basellandschaftlichen Waldenburgerbahn bekannt, die sich aber in wesentlichen Punkten vom Projekt in der Ostschweiz unterscheidet.
Auf Nachfrage präzisiert SOB-Direktor Thomas Küchler die Pläne: Ein automatischer sei nicht zwingend mit führerlosem Fahrbetrieb gleichzusetzen. So sei durchaus denkbar, dass auch in Zukunft ein Lokführer im Führerstand sitze, dieser aber in erster Linie die Technik überwache – ähnlich wie ein Pilot im Flugzeug.
In der Testphase – die auf einer Strecke zwischen St. Gallen und Luzern, aber nicht mit dem Voralpenexpress stattfinden soll – will die SOB nun eruieren, welches System für sie am tauglichsten ist. «Es sind weniger ökonomische Gründe, die uns dazu bewegen, sondern personal- und kapazitätstechnische», sagt Direktor Küchler. Das heisst: Wenn Züge automatisch betrieben werden, können sie regelmässiger hintereinander fahren. Es gibt weniger «Stop and Go», der Takt wird dichter. Das kann auf Streckenabschnitten, die von verschiedenen Bahnbetrieben benutzt werden, von entscheidendem Vorteil sein.
Hinzu kommt, dass die Unternehmen bereits heute Mühe haben, geeignetes Personal zu rekrutieren. «Wenn ich 12 Lokführer anstellen will, muss ich mir 140 bis 180 Leute anschauen», sagt Küchler. Je weniger Personal also künftig im Führerstand gebraucht wird, desto einfacher wird die Suche nach den noch notwendigen Lokführern.
Wohl auch aus diesem Grund nimmt der Verband der Schweizer Lokomotivführer die Pläne der SOB erstaunlich gelassen. «Wir sind gespannt, was diese Tests ergeben. Viele Fragen sind in unseren Augen einfach noch ungeklärt», sagt Präsident Hubert Giger. Neben juristischen Hürden meint er damit vor allem technische Aspekte: Wie verhält sich ein führerloser Zug bei Nebel und in Kurven? Wer erlaubt die Weiterfahrt nach einer Vollbremsung? Was passiert in Notsituationen? «Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bald spruchreif sein wird», summiert Giger.
Die Eisenbahner-Gewerkschaft SEV ist kritischer: «Unsere Erfahrung zeigt, dass die Kunden sehr froh sind um Personal im Zug», sagt Regionalsekretär Felix Birchler. Bereits heute seien viele Regionalzüge unbegleitet. «Wenn man ihnen mit dem Lokführer auch noch ‹den letzten Mann› wegnimmt, ist vielen Leuten unwohl», sagt er.
Ohnehin sind die Pläne der SOB noch nicht komplett spruchreif. Frühestens in zwei bis drei Jahren soll die Testphase beginnen – doch dafür braucht es zuerst eine Bewilligung des Bundesamtes für Verkehr (BAV). Dort will man sich «sicher nicht der Diskussion verschliessen». Zuerst müssten die interessierten Bahnen aber eine Machbarkeitsstudie einreichen, heisst es bei der Medienstelle. Danach werde entschieden, ob man grünes Licht gebe. Wo derzeit die grössten Hürden sind, kann das BAV nicht abschätzen – denn es gibt in der Schweiz mangels Erfahrung noch gar keine entsprechenden Normen.