Der Frauenstreik mit den über 500 000 Frauen, die am 14. Juni auf die Strasse gingen, verändert die politische Landschaft. Bundespräsident Ueli Maurer ist mit seinen neuen Ideen ein Beispiel dafür. Der Finanzminister will das AHV-Alter nicht nur für die Frauen (von 64 auf 65 Jahre) erhöhen. Sondern auch für die Männer (von 65 auf 66 Jahre).
Er spricht sich damit für die generelle Erhöhung des Referenz-Rentenalters um ein Jahr aus. Gleichzeitig will Maurer damit aber massiv sparen. Weder Frauen noch Männer sollen Ausgleichsmassnahmen für das höhere Pensionsalter erhalten. Der Bund könnte 2.5 Milliarden bei der AHV sparen, sagt Maurers Rechnung.
Mit Maurers Vorschlag, den drei Quellen bestätigen, trügen die Frauen die Last einer AHV-Reform nicht mehr weitgehend allein. Ohne den Frauenstreik wäre kaum ein bürgerlicher Politiker auf eine derartige Idee gekommen, glauben Insider.
Der Bundesrat beugte sich an seiner Sitzung vom Freitag über ein Aussprachepapier zur AHV-Reform von Innenminister Alain Berset. Es habe sich «um eine erste Diskussion zur Reform der Altersvorsorge» gehandelt, bestätigt André Simonazzi, Sprecher des Bundesrats. «Sie wird in einer der nächsten Sitzungen fortgesetzt.»
Innenminister Berset war mit drei zentralen Anträgen in die Sitzung gestiegen: Erstens soll das Rentenalter der Frauen von 64 auf 65 Jahre erhöht und damit jenem der Männer angeglichen werden. Um diese Erhöhung abzufedern, müssten die Frauen zweitens mit 800 Millionen Franken entschädigt werden. Und drittens sieht Berset eine Zusatzfinanzierung der AHV vor: Die Mehrwertsteuer würde um 0.7 Prozentpunkte erhöht.
Wie Recherchen zeigen, lief Berset mit seinen Anträgen aber auf. Umstritten waren vor allem die Ausgleichsmassnahmen von 800 Millionen für die Anhebung des Rentenalters der Frauen. Berset entschied sich damit in der ersten Diskussion dafür, die höhere der beiden Varianten für Ausgleichsmassnahmen zu beantragen. Die tiefere Variante liegt bei 400 Millionen.
Wie umstritten die AHV-Reform politisch ist, zeigt sich darin, dass gleich vier Bundesräte Mitberichte zum Aussprachepapier Bersets einreichten. Ueli Maurer (SVP) will das Rentenalter von Männern und Frauen um je ein Jahr anheben. Sein Parteikollege Guy Parmelin fordert auch eine strukturelle Reform.
Am 27. Juni 2018 gab der Bundesrat den Vorentwurf des Reformprojekts zur Stabilisierung der AHV (AHV 21) in die Vernehmlassung. Sie war am 17. Oktober beendet. Innenminister Alain Berset wollte noch die Abstimmung zur Steuerreform und AHV-Finanzierung vom 19. Mai abwarten, bis er ein Aussprachepapier in den Bundesrat bringt. Am Freitag kam es in der Regierung zu einer ersten Diskussion. Bis Ende August will der Bundesrat dann die Botschaft zur AHV-Reform verabschieden.
Er will die Überbrückungsleistungen für Arbeitslose über 60 Jahre, die der Bundesrat vor kurzem beschlossen hat, ebenfalls im Rahmen des AHV-Pakets diskutiert haben. Viola Amherd (CVP) wiederum fordert für Ehepaare und Konkubinatspaare dieselbe Altersrente. Damit müsste die Rente von Ehepaaren von 150 auf 200 Prozent aufgestockt werden und käme so auf das Niveau der Konkubinatsrenten.
Die CVP hatte schon in ihrer Vernehmlassung zur AHV-Reform gefordert, die diskriminierende Heiratsstrafe bei der AHV müsse aufgehoben werden. Sie sei dazu bereit, betonte sie, einen Teil der 800 Millionen, die für Ausgleichsmassnahmen an Frauen vorgesehen seien, «für die Verminderung der Benachteiligung von Ehepaaren und Paaren in eingetragener Partnerschaft gegenüber Nichtverheirateten in der AHV zu verwenden».
Sommaruga setzt ein ZeichenDie CVP ging in der Vernehmlassung noch weiter. Sie signalisierte Bereitschaft, die Ausgleichsmassnahmen von 800 Millionen vorübergehend auf eine Milliarde Franken zu erhöhen, um die Abschaffung der Heiratsstrafe in der AHV zu erreichen. Der Betrag würde dann, schrieb die CVP, gestaffelt wieder gesenkt.
Die Avancen der CVP mögen Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga (SP) dazu gebracht haben, in ihrem Mitbericht die Ausgleichsmassnahmen für die Frauen noch deutlich höher anzusetzen: auf 1.1 Milliarden statt auf 400 (Variante 1) oder 800 (Variante 2) Millionen. Die Frauen hätten dies verdient, argumentiert Sommaruga. Auch bei ihr zeigen sich damit vor allem die Folgen des Frauenstreiks.
Schon einmal hatte ein Bundesrat unmittelbar vor den Wahlen die Erhöhung des Rentenalters propagiert. FDP-Regierungsmitglied Pascal Couchepin brachte 2003 die Erhöhung des AHV-Alters auf 67 Jahre in die Diskussion. Die Wähler straften die FDP dafür sehr schmerzhaft ab. Der Freisinn büsste 2.6 Wählerprozente ein, sackte von 19.9 (1999) auf 17.3 Prozent ab. Ein kleines Erdbeben für Schweizer Verhältnisse.
Kann der SVP mit Maurers Vorschlägen bei den Nationalratswahlen 2019 im Oktober Ähnliches widerfahren? Ein SVP-Politiker jedenfalls hat gar keine Freude an Ueli Maurers Ideen. «Ich bin vehement gegen diese Vorschläge», sagt Sozialpolitiker Ulrich Giezendanner. «Sie kommen für mich nicht infrage.» Er befürchtet, dass das Rentenalter zu einem SVP-Problem wird. (bzbasel.ch)