Lisa Mazzone verpasste am 12. November wegen rund Tausend Stimmen die Wiederwahl als Ständerätin. Jetzt will die Genferin Parteipräsidentin der Grünen werden – obwohl sie nicht mehr dem Parlament angehört. Zwar läuft die Bewerbungsfrist noch bis zum 4. Februar. Doch Konkurrenz für Mazzone zeichnet sich nicht ab.
Der einzige Präzedenzfall endete in einem Debakel, das tiefe persönliche Wunden hinterlassen hatte. Erst ein Mal in der modernen Schweizer Politgeschichte wagte eine Partei das Experiment mit einer Präsidentin von ausserhalb des Bundeshauses. Im Juni 1997 wählte die SP Schweiz die Zürcher Stadträtin Ursula Koch als Nachfolgerin von Peter Bodenmann zur Parteipräsidentin – als erste Frau in diesem Amt.
Doch der streitbaren, langjährigen Zürcher Baudirektorin Koch fehlten die Bundeshauserfahrung und die notwendigen Verbündeten im männlich geprägten Berner SP-Establishment. Sie fremdelte mit den mächtigen Strippenziehern innerhalb der SP-Fraktion – und diese mit ihr. Ihr Einzug in den Nationalrat bei den Wahlen 1999 änderte daran nichts. Im April 2000 schmiss sie das Parteipräsidium und das Nationalratsmandat hin. Seither ist Koch komplett aus der Öffentlichkeit abgetaucht.
Eine Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone würde in vielerlei Hinsicht jedoch deutlich bessere Voraussetzungen mitbringen als Koch. Trotz ihrer erst 35 Jahren sei Mazzone eine erfahrene Parlamentarierin, sagt Nationalrat und Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Mazzone kenne die politische Arbeit im Bundeshaus aus eigener Erfahrung: «Dass Lisa Mazzone zweifellos eine fähige Politikerin ist, hat sie nicht zuletzt während ihrer vier Jahre im Ständerat unter Beweis gestellt.»
In einem wichtigen, aber medial zu wenig beachteten Aspekt der Arbeit an der Spitze einer Partei sei die Zugehörigkeit zum Parlament sowieso egal: Bei der Präsenz an der Basis, dem Austausch mit Orts- und Kantonsparteien. «Man muss vor Ort sein bei den Leuten, eine Partei lässt sich nicht von Bern aus per E-Mail-Kontakt führen», sagt Pfister.
Natürlich bringe Mazzones Situation auch gewisse Nachteile. Sie werde viel Fleissarbeit leisten müssen, um bei den wichtigsten Dossiers auf dem neusten Stand zu bleiben, sagt Pfister. «Aber das muss ich bei Geschäften ausserhalb meiner eigenen Kommissionen ebenfalls tun», schränkt er ein. Entscheidend seien die Gestaltungsmöglichkeiten, die Mazzone im aktuellen politischen Betrieb einbringen könne. Dafür brauche es die Absprache mit der Fraktion.
Fraktionschefin Aline Trede (BE) sieht darin kein Problem: «Wir werden uns organisatorisch so aufstellen, dass der Informationsaustausch sichergestellt ist. Lisa Mazzone kennt den Bundeshausbetrieb und wird jederzeit an den Fraktionssitzungen teilnehmen können.» Die Fraktion sei gut aufgestellt und habe Erfahrung. Eine Präsidentin von ausserhalb des Parlaments sei gut möglich.
«Am Anfang wird es Aufbauarbeit mit vielen Gesprächen zwischen Lisa Mazzone und den Fraktionsmitgliedern brauchen», sagt die Tessiner Nationalrätin Greta Gysin, Vizepräsidentin der Fraktion. Gysin hat eine Kandidatur als Parteichefin geprüft, aber sich am Ende dagegen entschieden. «Die Konstellation ist sicher ungewohnt und die Aufgabe für Mazzone eine Herausforderung», sagt Gysin.
Der Neuenburger Fabien Fivaz (NE) ist ein weiterer Fraktionsvize, der sich gegen eine Kandidatur fürs Präsidium entschieden hat. Er sagt: «In der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie findet Bundespolitik nicht nur im Parlament statt.»
Gysin und Fivaz begrüssen beide Mazzones Kandidatur. Gleichzeitig betonen sie, dass die Genferin gut und eng mit den Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten zusammenarbeiten müsse. Die Baselbieterin Florence Brenzikofer ist eine von drei Vizepräsidentinnen, die auf die Delegiertenversammlung von Anfang April zurücktreten. Es werde wichtig sein, die Vizepräsidenten zu stärken und ihnen konkrete Aufgaben zuzuweisen: «Die Grünen brauchen starke Strukturen und müssen in vielen Regionen noch Aufbauarbeit leisten.»
«Die grosse Herausforderung für die Grünen liegt bei der Zusammenarbeit mit der Basis», sagt Fraktionschefin Aline Trede. Hier gelte es, die Orts- und Kantonssektionen mit ihren vielen Neumitgliedern, die in den letzten Jahren der Partei beigetreten sind, zu stärken und zu aktivieren: «Da sehe ich mit Lisa Mazzone als Präsidentin eine grosse Chance.»
Dies sieht auch Mazzone selber so, die sich laut eigener Aussage gut mit Trede ergänzt. In den letzten Jahren habe der Fokus oft zu stark auf der parlamentarischen Arbeit gelegen: «Es fiel uns schwer, die Sprache der Leute zu sprechen», meint sie. Sie wolle die Verbindung zur Basis stärken. Es sei zwar wichtig, im Parlament vertreten zu sein: «Doch das geht zusammen mit unseren starken Überzeugungen.»
Sie wolle die Breite der Partei besser abbilden: «Wir sind im Sarganserland genauso engagiert wie im Zürcher Kreis 4. Vielleicht politisieren wir anders, aber für das gleiche Ziel». Die Grünen müssten mit den Menschen ins Gespräch kommen und ihnen zeigen, dass Klima- und Umweltfragen eine Chance seien.
Vor ihrem Entscheid für eine Kandidatur hat sich Mazzone mit dem deutschen Vizekanzler Robert Habeck ausgetauscht. Dieser übernahm 2018 aus der Landespolitik von Schleswig-Holstein kommend das Co-Präsidium der deutschen Grünen. Habeck habe ihr aufgezeigt, wie wichtig es sei, lokale Kampagnen zu begleiten und sich in verschiedenen Milieus zu bewegen, etwa in der Wissenschaft, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft: «Wir müssen erklären, wie wir Politik machen. So holen wir Ängste ab und zeigen, was für eine Chance eine grünere Zukunft ist.» (aargauerzeitung.ch)
Zwar scheint es durchaus möglich, eine Partei auch von ausserhalb des Parlamentes zu führen, wenn da nur die kürzliche Abwahl nicht wäre.
Frau Mazzones Vorteil ist der Frauenbonus (ohne den sie gar nicht erst zu kandidieren bräuchte). Wenn sie den ausspielen kann, ist Erfolg trotzdem möglich.
Ein zu grosses Wenn?