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Die Schweiz leitet den UN-Sicherheitsrat – aber ihr Image bröckelt

Die Schweiz leitet ab heute den UN-Sicherheitsrat – aber ihr Image bröckelt

Die Schweiz hat an diesem Montag erstmals den Vorsitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen übernommen. Allerdings bröckelt ihr Image. Das hat vor allem mit der Schweizer Politik seit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu tun.
01.05.2023, 13:3801.05.2023, 13:38
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Pascale Baeriswyl, Permanent Representative of Switzerland to the United Nations, speaks at a Security Council meeting on nuclear non-proliferation regarding the Democratic People's Republic of K ...
Die Schweiz rund um UN-Botschafterin Pascale Baeriswyl hat seit Montag den Vorsitz im Weltsicherheitsrat.Bild: keystone

Historischer Tag: Die Schweiz leitet seit Montag erstmals den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen. Das Land will in dieser Rolle seinem Ruf als Vermittlerin und Brückenbauerin gerecht werden, wie UN-Botschafterin Pascale Baeriswyl in Medien sagte - aber das Ansehen der traditionell neutralen Schweiz hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gelitten.

Wenn die Schweizer wieder ihre Neutralität ins Feld führen und eine Sonderrolle beanspruchen, rollen ausländische Diplomaten und Politiker immer öfter mit den Augen. Das Ansehen der Schweiz bekommt Risse. «Unsere Nachbarn werden sich in Zukunft noch stärker fragen, wie weit man der Schweiz politisch entgegenkommen will», sagt Politikwissenschaftler Christoph Frei von der Universität St. Gallen:

«Wir sind auf dem Weg, Freunde zu verlieren.»

Ausland erwartet mehr von der Schweiz

Stichwort Sanktionen gegen Russland: Als der Krieg begann, meinte die Regierung in Bern erst, die Schweiz sei neutral und werde nicht mitmachen. Auf Druck aus dem Ausland kam schnell die Kehrtwende, auch wenn Frei sagt, sie ziehe nur halbwegs mit. «Zum Beispiel beim Rohstoffhandel tun die Behörden so, als wüssten sie nicht, wie wichtig der Handel über die Schweiz für Russland ist», sagt er der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Stichwort Oligarchengelder: Bis Ende 2022 wurden knapp acht Milliarden Franken von Russen blockiert, die Präsident Wladimir Putin nahestehen. Es werden aber viele weitere Milliarden in der Schweiz vermutet.

Stichwort Waffen: Die Schweiz verweigert die Weiterleitung von Munition, die sie an Verbündete verkaufte, an die Ukraine. In Berlin ist auch das Durchwinken von Migranten nach Deutschland sauer aufgestossen, in der Finanzwelt das Aushebeln der Aktionärsrechte bei der Rettung der Credit Suisse. Zahlreiche Klagen sind im Anzug.

Prominente Kritiker

Kritische Töne will das Schweizer Aussenministerium aber nur in den Medien wahrgenommen haben. «Die Medien haben zwar einen gewissen Einfluss auf das Image eines Landes, doch ist dies nicht der einzige Faktor», teilt es auf Anfrage mit. «Bislang haben wir keine Hinweise auf eine deutliche Verschlechterung unserer Gesamtwahrnehmung, die nachhaltige negative Folgen hätte.»

Dabei kommt die Kritik aus prominenten Ecken: Etwa Jens Stoltenberg, Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses Nato: «Es geht nicht um Neutralität. Es geht um das Recht auf Selbstverteidigung», sagte er im Januar in Davos. «Die Neutralität stammt aus meiner Sicht aus dem vergangenen Jahrhundert», sagte der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. Die Schweiz müsse helfen, die internationale Rechtsordnung zu verteidigen.

«Sanktionen sind nur so stark wie der politische Wille dahinter», sagte US-Botschafter Scott Miller der «Neuen Zürcher Zeitung». Die Schweiz könnte bei Oligarchengeldern sicher 50 oder 100 Milliarden Franken mehr blockieren.

«Wir erwarten von der Schweiz, dass sie in bestimmten Stellen über ihren neutralistischen Schatten springt», sagte der deutsche Botschafter Michael Flügger im Fernsehen. «Die Schweiz hat ihren Ruf massakriert», befand Nationalrat Gerhard Andrey (Grüne/FR), als das Parlament beschloss, das Verbot der Munitionsweiterleitung an die Ukraine nicht aufzuheben.

Öffentliche Kritik gab es diese Woche auch vom ehemaligen Schweizer Botschafter Thomas Borer. In einem Meinungsartikel in der «Washington Post» forderte er die Abschaffung der Neutralität. Diese habe ausgedient, sei schädlich und erfülle die Funktion nicht mehr.

Vom «Sonder- zum Störfall»

Im Ukraine-Unterstützungs-Tracker des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel steht die Schweiz Stand 24. Februar unter 40 Ländern auf Platz 21. Es geht um humanitäre, finanzielle und militärische Hilfen.

Die Schweiz nimmt immer eine Sonderrolle für sich in Anspruch. Sie macht politisch gerne ihr eigenes Ding - ausser, wenn es um die Wirtschaft und Marktzugänge geht. In die Vereinten Nationen trat sie erst 2002 ein. Mitten in Europa gelegen lehnt sie einen Beitritt zur EU ab und hat 2021 jahrelange Verhandlungen über eine Aktualisierung der bilateralen Verträge abgebrochen. «Wir sind vom Sonderfall zum Störfall geworden und müssen aufpassen, mit unserem Klammern an Geschichten von gestern nicht zum Sozialfall zu werden», warnt Frei.

Credit Suisse belastet Image - Schweiz bleibt aber hoch im Kurs

Auch das CS-Debakel, bei der Aktionärsrechte per Notrecht ausgehebelt wurden, könne das Image beeinträchtigen, sagt Diana Ingenhoff, Professorin für Organisationskommunikation und Public Diplomacy an der Schweizer Universität Freiburg der dpa. «Es gibt Transfer-Effekte: Die Schweiz positioniert sich als starker Finanzplatz, die Schweizer Banken profitieren vom Image der Schweiz. Die Credit Suisse trug den Landesnamen sogar im Titel. Wenn dann etwas schief geht, färbt das auch auf das Image des Landes ab.»

Im Umfragen steht die Schweiz allerdings weiter hoch im Kurs. Johanna Gollnhofer, Direktorin des Instituts für Marketing der Universität St. Gallen, sagt: «Der Ruf einer Marke oder eines Landes, das sind Assoziationen im Kopf. Die verändern sich sehr langsam, da müsste über Jahre etwas passieren, sonst bleibt am Ende wenig hängen. Man kennt die Schweiz als sicheren Hafen, als naturverbunden und verlässlich, das wird nicht kurzfristig zerstört werden.»

Für die Förderung des Images der Schweiz im Ausland ist die Abteilung Präsenz Schweiz im Aussenministerium zuständig. Alles prima, meldete sie nach der jüngsten Umfrage im Dezember 2022, die Schweiz liege vor Deutschland, Schweden, Grossbritannien und anderen an der Spitze. In der Ipsos-Umfrage zur Wahrnehmungen von Ländern in aller Welt stand Deutschland im November 2022 an der Spitze, die Schweiz auf Platz 7.

Schweiz auf dem Weg, «ein normales europäisches Land zu werden»

Frei sieht Handlungsbedarf: «Als wohlhabendes, vielfach privilegiertes Land müssen wir endlich deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, sowohl für humanitäre Hilfe als auch für Sicherheit.» Er wirbt für einen Schweizer Beitrag zur Nato. Die Schweiz profitiere davon, dass die Nato rundum die Sicherheit finanziere. «Die Nato ist gewissermassen ein Donut - und die Schweiz das Loch in der Mitte», meinte dazu der US-Botschafter Miller.

«Die Schweiz hält an ihren Positionen meist so lange fest wie es geht, und reagiert häufig erst auf starken Druck von aussen», sagt Ingenhoff. «Unter den heutigen gesellschaftlichen und medialen Bedingungen wäre es mit Blick auf das Image der Schweiz ratsamer, sich stärker proaktiv als innovativer, kreativer Helfer zu positionieren und sich in der Konfliktprävention, Friedensförderung und humanitäre Hilfe stärker einzusetzen», sagt sie.

Und für Politikwissenschaftler Frei ist klar: «Wir müssten vom hohen Ross runterkommen und akzeptieren, dass auch wir auf dem Weg sind, ein normales europäisches Land zu werden.» (dpa/abi) (bzbasel.ch)

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48 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Knut Knallmann
01.05.2023 14:51registriert Oktober 2015
Meine ganz persönliche Meinung: Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs war die Neutralität eine billige Ausrede, um keine Position zu beziehen und sich bei keinen Diktatoren oder dubiosen Geschäftsmännern und Firmen unbeliebt zu machen. Man will ja weiterhin Geschäfte machen. Jahrzehntelang war die Schweiz Fluchtort für die Gelder von Dikatoren, Steuerhinterziehern und neuerdings als Steueroase für internationale Unternehmen und Superreiche - Man muss sich nicht wundern, wenn man sich damit unbeliebt macht…
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Swen Goldpreis
01.05.2023 15:26registriert April 2019
Die Neutralität ist nicht das primäre Problem. Es würde genügend Möglichkeit geben, die Neutralität so zu gestalten, dass sie nicht Aggressoren und Diktaturen unterstützt.

Zudem muss man auch sagen, dass der Ukrainekrieg ein bisschen ein Spezialfall ist. Selten ist bei internationalen Konflikten dermassen klar, wer im Recht und wer im Unrecht ist. Meistens ist die Situation verzwickter.

Nein, das Problem ist, dass ein paar Geschäftsleute bei ihren Geschäften mit Diktaturen den Hals nicht voll genug bekommen können und denen egal ist, wenn sie das ganze Land in den Abgrund reissen.
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mstuedel
01.05.2023 15:28registriert Februar 2019
Die kulturelle und religiöse Diversität war in der Vergangenheit ein Hauptgrund für das Festhalten an der Neutralität: So lange sich Deutschland und Frankreich in den Haaren lagen, hätte das Bekenntnis zum einen oder anderen Nachbarn die Schweiz zerrissen. Da war es essentiell, sich aus dem Händel rauszuhalten. Seit unsere Nachbarländer politsch am gleichen Strang ziehen und die Schweiz mit profitiert, ist die Neutralität bloss noch als Mythos zu gebrauchen.
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