Weshalb es für die Armee so schwierig ist, mehr Geld zu bekommen
Die Warnungen, die der Bundesrat zu hören bekommt, sind deutlich wie nie seit 1989. Von einem «fundamentalen Wandel der geopolitischen Situation» ist am Freitag die Rede in der neuen sicherheitspolitischen Strategie. Russland könnte ab 2028 seine hybriden Aktionen intensivieren und weitere Staaten in Europa angreifen. Für die Schweiz habe sich die Sicherheitslage «erheblich verschlechtert».
Die Landesregierung segnet den brisanten Bericht von Verteidigungsminister Martin Pfister zwar ab. Mehr Geld will sie für die Armee aber nicht sprechen, obwohl Pfister die Mehrwertsteuer um 0,5 Prozentpunkte erhöhen möchte. Das hat mit einem Versäumnis von Pfister zu tun: Er liefert seinen Kolleginnen und Kollegen keine Liste der Rüstungsbeschaffungen für die nächsten Jahre – obwohl die Politik genau das seit Viola Amherds Zeiten fordert.
Die Landesregierung verknurrt Pfister zu einer Strafaufgabe: Er soll die Liste bis Ende Januar liefern, mit Antworten auf drei Fragen: Welche Systeme will die Armee beschaffen? Welche Priorität haben sie? Wie sollen sie finanziert werden?
Das Beispiel verdeutlicht zweierlei: Erstens wird die Sicherheitspolitik oft von der Finanzpolitik ausgebremst. Die Schuldenbremse bleibt wichtiger als mehr Geld für die Armee. Zweitens: Die Sicherheitspolitik trägt eine erhebliche Mitschuld, dass es so ist.
Das lässt sich auch an einem Beispiel aus dem Ständerat zeigen. Mitte-Politikerin Andrea Gmür beantragt im Budgetprozess der Dezembersession, der Armee jene 300 Steuermillionen aus Genf zu geben, die der Bund unerwartet aus Genf erhalten hat. Die Mittel der Armee reichten «bei weitem nicht» angesichts der Bedrohungslage, die sich dramatisch zugespitzt habe, argumentiert Gmür.
Es wäre für die Bürgerlichen ein leichtes, dieses bürgerliche Sicherheitsanliegen durchzubringen. Mitte, FDP und SVP verfügen im Ständerat mit 34 von 46 Stimmen über eine komfortable Mehrheit.
Nur: Gmürs Anliegen scheitert mit ebenso komfortablen Gegenmehr (13:30). Was ist da passiert? Eine Auswertung der Abstimmung führt zu drei Erkenntnissen.
Erstens: Die wichtigsten bürgerlichen Sicherheitspolitiker stimmen für Gmürs Anliegen. Sie werden aber von einer unheiligen Allianz bürgerlicher Finanzpolitiker mit linken Armeekritikern überstimmt.
Zweitens: Die Mitte neutralisiert sich selbst, obwohl der Antrag aus den eigenen Reihen kommt. Sechs Ratsmitglieder stimmen mit Gmür, sechs gegen sie.
Drittens: Parallel zum Nein für die Armeemillionen beschliesst der Ständerat, den Grossteil der Genfer Gelder in der Arbeitslosenversicherung (ALV) zu «parkieren». So kann das Parlament diese Gelder später für andere Anliegen nutzen. Ein Finanztrick.
Der grüne Ständerat Mathias Zopf, neuer Präsident der sicherheitspolitischen Kommission, spricht von einem «Penalty auf das leere Tor» für die Armeebefürworter, den sie vergeben hätten: «Es ist erstaunlich, dass viele bürgerliche Politiker den Antrag ablehnten. Man hätte die Beschaffung von bewilligten Rüstungsgütern beschleunigen können.» Auch für Finanzpolitiker Benedikt Würth (Mitte) ist der Entscheid «sicherheits- und finanzpolitisch nicht nachvollziehbar». Denn: «Die Armee hat einen Planungsüberhang von 700 Millionen Franken.»
Es fragt sich: Weshalb übersteuert die bürgerliche Finanzpolitik die bürgerliche Sicherheitspolitik dermassen?
Die Ohnmacht der Sicherheitspolitik
In den letzten Jahren gab es zahllose Vorstösse bürgerlicher Sicherheitspolitiker für mehr Armeegeld. Oft stammten sie aus der Mitte: von Viola Amherd selbst, von Nationalrat Martin Candinas und Ständerätin Marianne Binder (Fonds), von Ständerat Benedikt Würth (Mehrwertsteuer), von Andrea Gmür (Sicherheitsanleihen).
Sie scheiterten stets an der Phalanx der Finanzpolitik. Die Sicherheitspolitik denkt zu wenig strategisch und vernetzt sich zu wenig gut, gerade über die Ratsgrenzen hinweg. Gmürs 300-Millionen-Antrag ist ein Beispiel dafür. Er sei zu spät und ohne Allianz eingereicht worden, sagen sowohl Sicherheits- wie Finanzpolitiker. Und er lege das Versagen der Mitte-Sicherheitspolitik bloss. Zwar hat Gmür ihren Vorstoss in der Mitte-Fraktion angekündigt. Mitte-Nationalrat Reto Nause, Präsident der Allianz Sicherheit Schweiz, sagt aber: «Davon wusste ich im Vorfeld nichts.»
Nach dreissig Jahren Friedensdividende muss die Sicherheitspolitik erst wieder lernen, wie Lobbying funktioniert. «Wir Sicherheitspolitiker waren uns nicht gewohnt, dass wir im Zentrum von Entscheidungen stehen», analysiert SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf. Und was sagt Andrea Gmür? «Von Beginn weg war klar, dass mein Antrag einen schweren Stand haben würde. Das Anliegen bleibt.»
Die Macht der Finanzpolitik
«Die Finanzpolitiker sind gut vernetzt», anerkennt Sicherheitspolitiker Nause. «Sie können Mehrheiten machen.» Die Finanzpolitik ist heute das vielleicht am besten vernetzte Politikfeld.
Finanzpolitiker von Stände- und Nationalrat treffen sich jährlich zum zweitägigen finanzpolitischen Seminar. 2025 fand es in Basel bei SP-Nationalrätin Sarah Wyss statt. Es gibt regelmässige Sitzungen der Delegationsleiter über alle Fraktionen hinweg. Im Nationalrat orchestriert das bürgerliche Trio um Alex Farinelli (FDP) Lars Guggisberg (SVP) und Pius Kaufmann (Mitte) die Budgetdebatte. Zudem haben die Finanzpolitiker einen direkten Draht zu Finanzministerin Karin Keller-Sutter.
Sie beherrschen auch das Zusammenspiel zwischen den Räten. Das zeigt sich bei den Genfer Millionen. Alex Farinelli bringt im Nationalrat die Idee ein, 290 Millionen in der ALV zu parkieren. Damian Müller (FDP) beantragt im Ständerat ähnliches. Das Vorgehen ist abgesprochen.
Die Rolle der Regierung
Zwar hat der Mythos der Macht von Karin Keller-Sutter im Präsidialjahr gelitten. Dennoch gibt sie in der Debatte um die 300 Genfer Millionen den Takt vor. Es sei zwar der Entscheid des Parlaments, wie es die 300 Millionen verwende. Sollte das Parlament aber darüber hinaus der Armee mehr Geld geben wollen, «muss dies der Schuldenbremse entsprechen».
Mitte-Nationalrat Nause ortet das Dilemma der Sicherheitspolitik darin, «dass wir im Bundesrat eine Vierer-Achse haben, welche die Schuldenbremse über alles stellt». Dazu komme Karin Keller-Sutter «als erratischer Block». Nauses Folgerung: «Das sind bedeutende Startvorteile für die Finanzpolitik.» Sein Parteikollege Pius Kaufmann bestätigt das indirekt: «Für mich als Finanzpolitiker ist in der Sicherheitspolitik entscheidend, was der Gesamtbundesrat verabschiedet hat.»
Die Sicherheitspolitik hat grosse Mühe, die Mauer der Finanzpolitikk zu durchbrechen. Ob das Martin Pfister Ende Januar im Bundesrat gelingt, gilt als eine der spannendsten Wetten in Bundesbern. Reto Nause übt sich schon mal in vorsorglichem Zynismus: «Immerhin können wir unser Land Putin schuldenfrei übergeben.»
Wie es gehen kann, haben in der Dezembersession Nationalrat Gerhard Andrey (Grüne) und Ständerat Werner Salzmann (SVP) vorgemacht. Ihnen gelingt das Husarenstück, den Etat des Bundesamts für Cybersicherheit im Verteidigungsdepartement um 25 Millionen aufzustocken. Gegen den Willen von Karin Keller-Sutter.
Wie sie das geschafft haben? Sie haben alle vernetzt: Sicherheits- und Finanzkommission und Fraktionen. Und spielten zwischen National- und Ständerat über die Bande. Von ihnen können viele lernen. Auch Martin Pfister. (aargauerzeitung.ch)
